Kreta Reiseführer Michael Müller Verlag. Eberhard Fohrer
sieht man das Kultbecken des Thronsaals.
Über eine Treppe 14 gelangt man von der erhöhten Piano-Nobile-Terrasse hinunter in den Zentralhof. Gleich links neben der Treppe lagen in mehreren Stockwerken übereinander die ehemaligen Amtsräume des Palastes. Nur noch das Erdgeschoss mit dem berühmten Thronsaal ist erhalten. Heute darf man nur noch den Vorraum 15 zum Thronsaal betreten, muss dafür aber meist im Hof Schlange stehen. Durch die Füße der zahllosen Besucher ist der gut erhaltene Alabasterboden blank gescheuert, mittlerweile ist er durch einen darüber gelegten Laufgang geschützt. An der Seitenwand steht die hölzerne Nachbildung des ältesten Throns Europas. Hervorstechend ist der markante, wellenförmige Rand der Lehne, vor allem aber ist der Sitz der Körperform eines Menschen hervorragend angepasst.
Durch die Türöffnungen kann man in den Thronsaal 16 hineinsehen. Von Alabasterbänken eingerahmt steht hier der echte „Thron des Mínos“ aus der Älteren Palastzeit noch an der ursprünglichen Stelle. In der Mitte des Raumes ist ein großes Porphyrbecken erhalten, an den Wänden sind prächtige Fabelwesen aus spätminoischer/mykenischer Zeit aufgemalt - sog. Greifen mit Adlerkopf, Löwenkörper und Schlangenschwanz (sie versinnbildlichen die allumfassende Macht des Mínos im himmlischen, irdischen und unterirdischen Bereich). Auf den Bänken saßen die Priester bzw. Berater des Herrschers (vermutete Evans). Auf der anderen Seite des Saals, abgetrennt durch rekonstruierte Säulen, sieht man ein bestens erhaltenes Kultbad mit darüber liegendem Lichtschacht (Raum mit Fresken darüber). Diese Reinigungs- oder Lustrationsbecken hat man in allen minoischen Palästen gefunden, ihr genauer Zweck ist ungeklärt. Zum Baden wurden sie jedenfalls nicht verwendet, denn Boden und Wandverkleidungen sind nicht abgedichtet. Evans fand diesen Raum in chaotischem Zustand. Überall standen Kultgefäße verstreut, ein großer Ölkrug lag umgeworfen in der Ecke ... Evans Idee dazu: Versuchten hier die verzweifelten Priester in letzter Minute, schon während der großen Katastrophe, die Erdgottheit gnädig zu stimmen? Innerhalb weniger Stunden muss alles vorbei gewesen sein, der Palast ein Trümmerhaufen, der Thronsaal konserviert für Jahrtausende.
Auf der anderen (rechten) Seite der Treppe vom Piano Nobile in den Zentralhof stehen die Reste der Fassade des dreiteiligen Heiligtums 17. Es ist überdacht und kann nicht betreten werden. Hinter dem Vorraum mit Bänken erkennt man die Türöffnungen der sog. Pfeilerkrypten 18. Je ein massiver viereckiger Pfeiler steht dort in der Mitte der beiden Räume, eingeritzt sind kleine Symbole der heiligen Doppeläxte. Um die Basen der Pfeiler sind flache Gruben für das Blut von Opfertieren ausgehoben. Rechts vom Vorraum liegt im letzten ummauerten Abschnitt die Schatzkammer 19 des Heiligtums. In den rechteckigen Gruben hat man u. a. die berühmten „Schlangengöttinnen“ gefunden (Arch. Museum Iráklion).
Zentralhof: Der lang gestreckte Hof in der Mitte des Palastes diente der Belüftung und Beleuchtung der sich anschließenden Gemächer. Von seiner Pflasterung sind noch Spuren erhalten. Vielleicht fand hier neben anderen Kulthandlungen und Festen auch das berühmt-berüchtigte Stierspringen statt (→ Geschichte). Einige großartige Fresken sind erhalten, die das Gewimmel auf den Tribünen zeigen.
Großes Treppenhaus: Das überdachte Treppenhaus 20 ist der zentrale Abschnitt des Ostflügels von Knossós (s. u.) und das wohl großartigste Bauwerk des Palastes. Es ist nicht zugänglich, aber von oben kann man ein Stück weit hineinschauen. Die Treppenfluchten sind breit und ausladend, ein geräumiger Lichtschacht führt von oben nach unten und beleuchtet jedes Stockwerk. Die Absätze auf den einzelnen Stockwerken sind mit einer niedrigen Balustrade vom Lichtschacht abgetrennt, auf der wieder die rekonstruierten, leuchtend roten Säulen stehen. Eigenartigerweise bestehen die Stufen aus Alabaster, einem weichen, gipsartigen Material, das sich schnell abtritt. Diese Tatsache hat den deutschen Geologen Hans Georg Wunderlich zu seiner mittlerweile widerlegten Theorie über die Funktion des Palastes von Knossós als Totenstadt (Nekropole) geführt. Die Wände seitlich der Treppe waren wahrscheinlich mit Fresken bemalt. Weiter unten liegt die sog. Rampe der Königlichen Wache mit Fresken, die eigenartige Schilde in Form der Zahl Acht zeigen (die Aussparung in der Mitte diente der Gewichtsverringerung, noch Homer schreibt 800 Jahre später von ihnen!). Vielleicht waren hier die Wärter untergebracht, die den Zugang zu den königlichen Gemächern bewachten.
Das Megaron der Königin: luftig und lebensfroh
Südflügel: Vom großen Treppenhaus geht man über den Zentralhof in den südlichen Flügel. Im Korridor 21, der hier in den Hof führt, sieht man hinter Glas das bekannte Fresko des Prinzen mit den Lilien, heute natürlich ebenfalls eine Kopie (Original im Arch. Museum Iráklion). Es wurde so benannt wegen der schmucken Blumen- und Pfauenfedernkrone des jungen Mannes. Von hier aus steigt man, vorbei an dem Schrein der Doppeläxte 22, wo man Steinäxte und Idole gefunden hat, hinunter zu den sog. Königsgemächern im Ostflügel.
Ostflügel: Ursprünglich war er wohl fünf Stockwerke hoch - zwei Stockwerke ragten über den Zentralhof hinaus, drei weitere sind an den Rand des Hügels gebaut, der an dieser Seite steil zum Flussbett abfällt. Ein weit ausladendes, heute für Besucher gesperrtes Treppenhaus (s. o.) führt hinunter ins einstige Zentrum der Macht, wie Evans vermutete.
Hinweis: Megaron der Königin und Nebenräume, Megaron des Königs und Saal der Doppeläxte sind für Besucher gesperrt, können aber im Vorbeigehen von außen besichtigt werden.
Vom Südflügel aus erreicht man zunächst das sog. Megaron der Königin 23, das man durch die offene Fensteröffnung gut betrachten kann. Mit seinen Fresken, Ornamenten und leuchtenden Farben ist es heute zweifellos der Raum mit der dichtesten Atmosphäre - schon allein wegen des wunderschönen Delphinfreskos: dunkelblau auf hellblauem Grund, dazu Fische und stachlige Seeigel. Es besitzt eine rundum laufende Bank, außerdem mehrere Fenster und Lichthöfe an zwei Seiten. Evans empfand es als weiblich, deshalb das „Megaron der Königin“. Hier sind auch noch Evans’ frühe Holzrekonstruktionen zu sehen - und auch, wie der Zahn der Zeit daran genagt hat. Dies war der Grund, weshalb er im Weiteren ausschließlich mit Beton arbeitete.
Nebenan schließt sich ein winziges, von außen nicht einsehbares Zimmer an, nach Evans das Badezimmer der Königin! Die tönerne „Badewanne“, die hier steht, besitzt jedoch keinen Abfluss. Wunderlich hat das zum Anlass genommen, die Wanne als Sarkophag zu deuten - doch die minoischen Sarkophage hatten Abflusslöcher (zur besseren Verwesung).
Ein schmaler Gang führt in das sog. Ankleidezimmer der Königin 24, das ebenfalls nicht einsehbar ist. Und hier hat man etwas besonders Überraschendes gefunden - eine Toilette mit Wasserspülung! In der Wand gibt es eine Vorrichtung für einen hölzernen Sitz, unten ist ein Loch, das in Verbindung mit der Kanalisation steht, neben dem Sitz Platz für ein Gefäß zum Spülen. Die Röhren der Kanalisation führten zum benachbarten Fluss. Hinter der Toilette lag ein Archiv für Tontäfelchen.
Wenn man weitergeht, kommt man am Megaron des Königs 25 vorbei. Einfallsreich und charakteristisch für die minoische Bauweise ist die architektonische Gestaltung. In drei Wänden des Raumes befinden sich breite Türöffnungen. Wenn man die Holztüren öffnete, verschwanden sie fast völlig in den seitlichen Vertiefungen. Der Raum wirkte dann, als ob er nur von Säulen umgeben wäre, und muss