Die Ewigkeit ist jetzt. Ayya Khema
Wir sollten nicht denken: «Oje, jetzt ist es fort.» Oder: «Das war gut. Wie kann ich es bloß von neuem hervorrufen?» Denn dies entspräche dem gängigen Reaktionsmuster.
Dem Dhamma gemäß zu leben und die entsprechenden Erfahrungen zu machen ist ungewöhnlich. Es ist die Umkehrung dessen, was die große Mehrheit der Menschen tut und eine eigene Sicht der Dinge. Als der Buddha vor seiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum saß, brachte Sujata ihm Milchreis in einer goldenen Schale, die sie ihm schenken wollte. Buddha warf die leere Schale hinter sich in den Fluss und erklärte, falls die Schale stromaufwärts schwimme, werde er erleuchtet werden. Natürlich schwamm die Schale stromaufwärts. Kann denn irgendetwas stromaufwärts schwimmen? Diese Geschichte besagt, dass wir gegen den Strom schwimmen müssen, unseren natürlichen Instinkten und Neigungen entgegengesetzt, wenn wir uns auf den Weg des Dhamma begeben. Wir müssen uns gegen das wenden, was so einfach und angenehm ist, dass jedermann es tut. Es ist viel schwieriger, gegen den Strom zu schwimmen, als sich von der Strömung treiben zu lassen.
Das wohltuende Verweilen, das angenehme Empfinden, das man zuerst im Körper und dann auch im Geist wahrnimmt und schließlich als ganz und gar friedvoll empfindet, muss ebenfalls vorübergehen. Wir müssen seine Vergänglichkeit anerkennen. Erst dann können wir es einem bestimmten Zweck nutzbar machen. Erkennen wir seine Vergänglichkeit nicht an, dann wollen wir es bloß zum eigenen Nutzen verwenden. Doch alles, was wir nur für uns allein besitzen, stärkt unser Ego, und wir lösen uns nicht von ihm, wie es den grundlegenden Lehren des Buddha entspräche.
Alles in den Lehren des Buddha ist darauf ausgerichtet, dieses Ego aufzugeben. Er hat gesagt: «Nur eins lehre ich: Das Vorhandensein von Leid und wie ihr ihm ein Ende setzen könnt.» Das heißt allerdings nicht, dass alles Leid auf der Welt ein Ende erreicht. Es bedeutet, wenn kein Ich da ist, das auf Leid reagiert, wird es kein Leid mehr geben. Wenn niemand ein Problem hat, wie können dann Probleme existieren? Setzen wir allerdings das wohltuende Verweilen als Mittel für das eigene Wohlbefinden ein, so ist dies der falsche Weg.
Kehren wir immer wieder zur Beobachtung des Atems zurück, so führt dies dazu, dass wir zur Ruhe kommen. Der achte Schritt auf dem Edlen Achtfachen Pfad – die Rechte Sammlung – bedeutet meditative Vertiefung. Der Versuch, beim Atem zu verweilen, weist in diese Richtung. Doch in diese meditative Vertiefung kann man nicht dadurch eintreten, dass man sich mit der Absicht, sie zu erreichen, ein- oder zweimal zum Meditieren hinsetzt. Das braucht Zeit. Alles das, was während der Konzentration auf den Atem auftaucht, sollte zur Einsicht genutzt werden. Gedanken, die in der Meditation auftauchen, sind weder ein Störfaktor noch ein Hinweis darauf, dass man nicht zum Meditieren taugt; oder dass es zu heiß oder zu kalt, zu unbequem, zu spät oder zu früh ist – nichts von alldem trifft zu. Gedanken wollen uns nicht stören. Sie sind Lehrer, die uns etwas beibringen wollen. Letzten Endes sind wir alle selbst unser Lehrer und unser Schüler, und das ist gut so. Wir müssen allerdings wissen, worauf wir zu achten haben, damit wir etwas lernen können.
Jeder Gedanke ist ein Lehrer. Zuallererst lernen wir etwas über die Unlenkbarkeit der Gedanken. Wir merken, dass unser Geist unzuverlässig ist. Gedanken tauchen auf, die wir überhaupt nicht denken wollen, weil wir viel lieber ruhig und gesammelt wären. Als Erstes können wir lernen, dass unser Geist nicht so wunderbar ist, wie wir immer angenommen haben – bloß weil wir etwas gelernt und ein Gedächtnis haben und bestimmte Fakten und Begriffe verstehen. In Wirklichkeit ist der Geist schwer in den Griff zu kriegen und unzuverlässig, weil er absolut nicht das tut, was wir von ihm erwarten.
Als Zweites müssen wir verstehen, dass wir unserem Geist nicht alles glauben sollten. Wir müssen nicht an alle Gedanken glauben, die da auftauchen. Sie sind ohne unser Zutun aufgetaucht, und so werden sie auch wieder verschwinden. Sie haben wenig Sinn – erst recht in der Meditation. Einige davon sind mehr als zwanzig Jahre alt. Einige sind reine Fantasie. Andere können ganz und gar unangenehm sein, und wieder andere sind Träume. Und manche sind so flüchtig, dass wir sie gar nicht richtig wahrnehmen. Aber alle tauchen so schnell auf, dass wir sie kaum etikettieren können. Warum also an all dies Zeug glauben, das uns gewöhnlich durch den Kopf geht?
In der Meditation haben wir Gelegenheit, den Geist – die dauernde gedankliche Aktivität – kennenzulernen, und vor allem können wir lernen, uns nicht mehr auf jeden Gedanken, der da kommt und geht, einzulassen. Entsprechendes gilt für unsere Gedanken im Alltag: Sollten wir all diesen Gedanken Glauben schenken und uns auf sie einlassen? Wir glauben unserem Geist, wenn er behauptet: «Dieser Mann ist entsetzlich.» – «Diese Frau lügt.» – «Davon bin ich so enttäuscht.» – «Das langweilt mich unendlich.» – «Das da muss ich unbedingt haben.» – «Da muss ich unbedingt dabei sein.» All das glauben wir einfach. Warum eigentlich? Um genau den gleichen Prozess handelt es sich bei der Meditation. Gedanken tauchen auf, verharren für kurze Zeit und verflüchtigen sich wieder – ohne Sinn und Verstand.
Haben wir dies erst einmal wirklich begriffen, so können wir diese ungebetenen Gedanken in solche umwandeln, die wir tatsächlich denken wollen. Genau das wird geschehen, wenn wir nicht mehr unbedarft alles glauben, was unser Geist uns weismachen will, sondern nur noch die Denkprozesse beobachten. Es ist genau das Gleiche mit der Luft um uns herum. Wir können sie uns nicht aneignen und behaupten, sie gehöre uns. Dennoch – gäbe es sie nicht, könnten wir nicht leben. Sie ist da. Genauso verhält es sich mit den Gedanken. Der Denkprozess ist für den Geist vollkommen natürlich, und er dauert an, solange wir leben. Aber er ist nicht zuverlässig und nicht glaubwürdig. Ganz im Gegenteil: Es wäre weit besser, den größten Teil der Gedanken aufzugeben.
Noch etwas können wir über den Geist lernen. Wenn sich in der Meditationssitzung keine Sammlung einstellt, sondern nur Gedanken, wenn wir uns träge fühlen und es an Aufmerksamkeit mangelt, dann könnten wir daraus lernen: Fehlt es dem Geist an Unterhaltung, dann schlafen wir ein. Der Geist will unterhalten werden. Er will lesen, fernsehen, arbeiten – irgendetwas tun, um beschäftigt zu sein und Unterhaltung zu haben. Ganz auf sich allein gestellt, ist er nicht glücklich und zufrieden: Eine interessante neue Einsicht, die sich einstellt, wenn wir meditieren.
Stellt euch vor, ihr wäret eine Woche lang in einem leeren Zimmer, ganz allein. Die Menschen halten das für eine furchtbare Zumutung – zu Recht, denn der Geist weiß damit nicht umzugehen. Genau wie der Körper verlangt er dauernd nach Nahrung. Er braucht Anregung, weil er sich selbst nicht genug ist. Das ist eine weitere Entdeckung, die wir in der Meditationssitzung machen können.
Gedanken sind unbeständig. Sie kommen und gehen. Sie bleiben nicht da – genau wie der Atem. Wenn ihr ganz aufmerksam seid, könnt ihr feststellen, wie sie auftauchen. Ihr könnt sicher ihr Verschwinden beobachten, denn das ist einfach. Das Auftauchen dagegen ist etwas schwerer zu erkennen. Aber ihr könnt keinen dieser Gedanken festhalten.
Unbeständigkeit und Besitzlosigkeit: Aber eigentlich wollt ihr all diese Gedanken gar nicht behalten, weil sie es nicht wert sind. Nur ganz wenige Gedanken sind etwas wert, weshalb soll man sie alle also festhalten? Warum soll man versuchen zu denken: «Das bin ich»? Warum nicht einsehen, dass es da nur ein natürliches Kommen und Gehen gibt? Und wie ist es mit dem Körper? Bin das wirklich ich? Zugrunde liegt ein natürliches Entstehen (durch Empfängnis) und ein natürliches Vergehen (durch den Tod). Ein Naturgesetz und eine universelle Tatsache, die unser Ego nicht wahrhaben will.
Ich-Bezogenheit oder Hochmut bedeutet nicht, dass wir allesamt eingebildete Menschen sind. Hochmut heißt lediglich, dass wir nicht erleuchtet sind. Nur Arahants sind frei von Ich-Bezogenheit. Wir betrachten uns selbst und die Welt von einem Ich-Standpunkt aus, und darum erscheinen andere Menschen und die Welt oft als so bedrohlich. Dieses Ich ist zerbrechlich und sehr verletzlich.
Alle jene Gedanken, die in unserer Meditation auftauchen, schenken uns Einsicht in uns selbst, in die Vergänglichkeit dieser Erscheinung von Körper und Geist. Wir sehen, dass wir nicht ihr Eigentümer sind. Wären wir wirklich die Besitzer unserer Gedanken, wären wir dann nicht lieber Besitzer von etwas Wertvollerem? Niemand legt Wert darauf, alten Krempel zu besitzen. Wir alle versuchen wertvolle Dinge zu besitzen. In der Meditation findet man heraus, dass Gedanken nichts Wertvolles sind.
Drittens können wir aus dieser Gedankenaktivität lernen, dass es sich hier um Dukkha handelt, um Unerfülltheit. Dukkha bedeutet nicht nur Leiden. Dukkha bedeutet auch Unbefriedigtsein, Unerfülltheit.