Gott und die anderen Großen. Ernst Peter Fischer
wenige Wissenschaftler verfügen über den Bekanntheitsgrad des Italieners Galileo Galilei (1564–1642), was vermutlich aber weniger an seinen fachlichen Qualifikationen und sachlichen Einsichten, sondern mehr an seinem polternden Auftreten und polemischem Engagement liegt, die beide zudem mit einem unübersehbaren Geltungsbedürfnis gepaart waren. Galilei ging es vor allem um die Priorität von Ideen und Entdeckungen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er heute ein gefragter und gern gesehener Gast in televisionären Talkrunden wäre, der sich lärmend und stets selbstsicher über Gott und die Welt auslassen und alles besser wissen würde.
Es sind wohl vor allem diese menschlichen Eigenschaften gewesen, die den Poeten Bertolt Brecht auf die Idee brachten, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Theaterstück über das „Leben des Galilei“ zu schreiben, in dem der lebendige Dichter dem toten Forscher wunderbare Sätze wie den folgenden in den Mund legt:
„Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.“
Brecht lässt seinen Galilei zum einen als leidenschaftlichen Wissenschaftler erscheinen, der „wie ein Liebender, wie ein Betrunkener“ herausbrüllt, was er erfahren hat und den eine große Sehnsucht auszeichnet: „Ich denke manchmal: ich ließe mich zehn Klafter unter der Erde in einen Kerker einsperren, zu dem kein Licht mehr dringt, wenn ich dafür erführe, was das ist: Licht“, lässt Brecht Galilei sagen.
Auf der anderen Seite führt der deutsche Dichter in seinem Theaterstück einen eher aggressiven Galilei vor, der gegen die unübersehbare öffentliche Dummheit kämpft und denjenigen in hoher Erregung „keine Gnade“ gewähren will, „die nicht geforscht haben und doch reden.“
Der letzte Satz passt ganz vorzüglich auf die vielen Ethiker und andere Philosophen, die in unseren Tagen etwa den biologischen und chemischen Wissenschaften unentwegt mit moralisch erhobenen Zeigefingern in die praktische Quere kommen wollen, ohne selbst auch nur das geringste Wissen erworben zu haben oder anbieten zu können, das den zahlreichen bedürftigen Personen unserer Tage die zitierte „Mühseligkeit der menschlichen Existenz“ tatsächlich nehmen kann (statt sie unnötig zu vergrößern).
Der Blick an den Himmel
Wer den Namen Galilei hört, denkt vermutlich zuerst daran, dass der Forscher doch mit der katholischen Kirche in Konflikt geraten ist und dann sogar die hässlichen Hände der unnachgiebigen Inquisition zu spüren bekommen hat, die ihm schwer zugesetzt und zu einem unnötigen Widerruf gezwungen haben.
Erst im Anschluss an dieses Trauerspiel fällt vielen Menschen bei dem Namen Galilei ein, dass dieser Physiker und Astronom Ansichten über die Bewegungen und das Aussehen von verschiedenen Himmelskörpern entwickelt hat, wobei Galilei als einer der ersten Astronomen seine Objekte nicht mehr nur mit bloßem Auge betrachten konnte, sondern dass ihm dabei maßgeblich die damals neue Konstruktion eines Fernrohrs zu Hilfe gekommen ist, das der Wissenschaft im Besonderen und der Menschheit im Allgemeinen ab 1609 eine stark erweiterte Sicht des Universums erlaubte.
Übrigens – für „Fernrohr“ kann man auch „Teleskop“ sagen, und es gehört zu meinen liebsten und leider nicht erfundenen Anekdoten, dass eine bekannte Philosophin in ihren Vorträgen über Galilei und andere Beobachter der Sterne in seiner Zeit stets von dem wunderbaren Teleskop mit einem „o“ in der Mitte sprach, das der italienische Physiker und seine Kollegen an den Himmel gerichtet haben. Mir gefällt das deshalb ausnehmend gut, weil in dem theologischen Versprecher die faktische Ferne (Tele) durch ein sinnvolles Ziel (Telos) ersetzt wurde und den Gedanken suggeriert, man habe mit dem Fernrohr einen Ort für den lieben Gott gesucht.
Natürlich zeigt sich selbst bei dem Einsatz neuester technischer Mittel weder der gewünschte Herr, noch war Galileis teleskopischer Blick an den Himmel im theologischen Sinn des Wortes zielgerichtet. Dem Helden von Brechts Theaterstück ging es nicht um einen Gottesbeweis, sondern schlicht und einfach um Beobachtung und eine Wissenschaft der Sterne mit besseren Methoden.
Als das besagte und wahrscheinlich in Holland zuerst gebaute Instrument im frühen 17. Jahrhundert Männern wie Galilei zur Verfügung stand und nach und nach – nicht zuletzt von ihm selbst – verbessert werden konnte, zeigten sich rasch zahlreiche Befunde am Himmel, die es zu verstehen und mit dem herrschenden Weltbild einer vornehmlich christlichen Menschheit zu versöhnen galt. Unter anderem offenbarte zum Beispiel der Mond eine merkwürdige Struktur seiner Oberfläche mit runden Kratern und länglichen Bergrücken, was ihm auf jeden Fall den Nimbus einer perfekten Kugel nahm, der ihm zukam, solange viele Götter oder ein Gott für ihn zuständig waren.
Weiter ließ die Sonne auf ihrer Oberfläche Flecken erkennen, was sie in einem göttlichen Sinn unrein machte, weshalb das auf Schmutz verweisende Wort „Sonnenfleck“ ja überhaupt als Fachausdruck gewählt wurde. Und um den Planeten Jupiter konnte man einige Monde kreisen sehen, was den Astronomen und anderen Erkundern des Himmels viel Stoff zum Denken gab, da es offenbar zu den Regelmäßigkeiten am Himmel gehörte, dass kleinere Objekte um ein größeres zirkulierten – wobei an dieser Stelle für heutige Leser sicher nicht eigens erwähnt zu werden braucht, dass es sich in wissenschaftlichen Kreisen längst herumgesprochen hatte und als Tatsache akzeptiert wurde, dass die Erde sehr viel kleiner als die sogar als riesengroß angesehene Sonne war, die sich der kirchlichen Lehre und päpstlichen Überzeugung zufolge angeblich um unseren eher winzigen Heimatplaneten drehen sollte.
Das Buch der Natur
Bevor es das Fernrohr für den Himmel gab, war Galilei mehr mit irdischen Dingen und ihrer Physik beschäftigt, wie sie sich etwa in pendelnden Kronleuchtern oder den Bewegungen von fallenden oder schwimmenden Körpern zeigt. Er versuchte nach vielen Experimenten mittels zahlreicher Vorrichtungen die fleißig beobachteten und gemessenen Zahlen mit Hilfe der dazugehörenden Sprache zu verstehen, also mit den Formeln und Gleichungen, die die Mathematik den Menschen zur Verfügung stellt.
Galilei gewann dabei eine Überzeugung, die er in seinem Buch Il Saggiatore (Der Goldwäger) bis 1623 in einer Art Glaubensbekenntnis aufschrieb, dem die moderne Wissenschaft bis heute anhängt, obwohl es in vielen Disziplinen – etwa bei der Erforschung des Lebens – nicht unbedingt in der beschworenen Strenge haltbar ist und irgendwann von den praktizierenden Wissenschaftlern einmal gründlich bedacht und bezweifelt werden sollte:
„Das Buch der Natur kann man nur verstehen, wenn man vorher die Sprache und die Buchstaben der Mathematik gelernt hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in mathematischer Sprache geschrieben, und die Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, und ohne diese Hilfsmittel ist es menschenunmöglich, auch nur ein Wort davon zu verstehen.“
Mit anderen Worten, Galilei verkündet als seine feste Überzeugung, dass Gott ein Mathematiker ist. Viele Zuhörer sind bis heute von dieser Botschaft so sehr angetan und begeistert, dass niemandem auffällt, wie gewaltig Galilei hier aufschneidet. Was er sagt, heißt nämlich in moderner Sprache, dass es mathematisch fassbare Naturgesetze für Bewegungen wie etwa die des freien Falls von Kugeln und anderen Gegenständen gibt, um die sich Galilei höchstpersönlich und höchst emsig bemüht hat – leider ohne jeden Erfolg.
Galilei lag keinerlei Beweis für seine oben zitierte starke Behauptung vor, das Buch der Natur sei mathematisch verfasst, und sein Diktum sollte sich frühestens am Ende des 17. Jahrhunderts als relevant und akzeptabel herausstellen, nachdem der schon einmal angekündigte Isaac Newton sein berühmtes Gesetz für die Schwerkraft finden konnte, wie im nächsten Kapitel geschildert wird.
Kurzum, was Galilei über die Mathematik schreibt, entspricht und entspringt vielleicht seinen Wünschen und verdient vielleicht unsere Bewunderung als eine kühne Vision, hat aber leider mit dem ihm und seiner Zeit verfügbaren Wissen nichts zu tun. Dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit brachte unseren Helden dann auch in den gefährlichen Konflikt mit der Kirche, den nur die Institution gewinnen konnte.
Wie gesagt, es dauerte einige Zeit, bis Galilei seine Augen von der Erde abwandte und sie durch ein Fernrohr an den Himmel schauen ließ, aber in dem Zusammenhang begann er sich auch so allmählich der Frage zuzuwenden, ob Kopernikus mit seinem heliozentrischen System besser beschreibt, wie sich die Planeten und ihre