Die achtsame Schule. Daniel Rechtschaffen
3 Siehe: http://lindastone.net/
4 Sonja J. Lupien, Bruce S. McEwen, Megan R. Gunnar und Christine Heim, Effects of stress throughout the lifespan on the brain, behavior and cognition. In: Nature Reviews Neuroscience, 2009: 10, 434–445.
5 Goleman, D., Emotional Intelligence. New York: Bantam, 1995; siehe auch: http://www.cfchildren.org/advocacy/social-emotional-learning/the-cost-of-emotional-illiteracy-part-1.aspx; vgl. dt. Ders., Emotionale Intelligenz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 19: 2007.
7 Linda Lantieri, persönliche Kommunikation; siehe auch: Dies., Building Emotional Intelligence: Technics to Cultivate Inner Strength in Children. Boulder, CO: Sounds True, 2008. vgl. dt. Dies., Emotionale Intelligenz für Kinder und Jugendliche. München: Ariana Verlag, 2009.
8 Siehe: Mindfulness in the Classroom. In: Kabat-Zinn, M. und Kabat-Zinn, J., Everyday Blessings: The Inner Work of Mindful Parenting, Hyperion, New York, 1997; 2014 (vgl. dt. Dies., Mit Kindern wachsen, Arbor-Verlag, Freiburg, 2015). Siehe auch: http://mindfuleducation.org/Mindfulnessintheclassroom-JKZ.pdf
9 Barbezat, D.P. und Bush, M., Contemplative Practices in Higher Eduation: Powerful Methods to Transform Teaching and Learning. New York: Jossey-Bass, 2014.
10 Davidson, R., Dunne, J., Eccles, J.S., Engle, A., Greenberg, M., Jennings, P., Jha, A., Jinpa, T., Lantieri, L., Meyer, D., Roeser, R.W. und Vago, D., Contemplative Practices and Mental Trainings: Prospects for American Education. In: Child Development Perspectives, 6 (2), 2012, 146–153. Roeser, R.W., Schonert-Reichl, K.A., Jha, A., Cullen, M., Wallace, L., Wilensky, R., Oberle, E., Thomson, K., Taylor, C. und Harrison, J., Mindfulness Training and Reductions in Teacher Stress and Burnout: Results From Two Randomized, Waitlist-Control Field Trials. In: Journal of Educational Psychology, 2013, Abstract. Frank, J. L., Jennings, P. A. und Greenberg, M. T., Mindfulness-Based Interventions in School Settings: An Introduction to the Special Issue. In: Research in Human Development, 2013, 10:3, 205–210 (DOI:10.1080/15427609.2013.818480; http://dx.doi.org/10.1080/15427609.2013.818480).
11 Siehe: http://theyworkforyou.com/whall/?id=2013–12–10a66.0
Einleitung
Aus irgend einem Grund sah diese eine E-Mail aus dem Weißen Haus anders aus, als der übliche politische Junk, der sonst immer in meinem Posteingang landete. Meine Entscheidung, sie nicht umgehend im Papierkorb zu versenken, sollte sich als durchaus bedeutsam herausstellen. Die Nachricht begann folgendermaßen: „Wir freuen uns, Sie zu einem Runden Tisch mit Mitgliedern der Obama-Administration einzuladen.“ Sie hatten mich als Vertreter einer Bewegung eingeladen, die sich für „Mindfulness in Education“, für „Achtsamkeit in der Schule“ einsetzte, um von den erstaunlichen Auswirkungen zu berichten, die wir bei den jungen Menschen durch die Anwendung dieser Praktiken beobachten konnten.
Ehe ich mich versah, wurde ich durch den Eingang des Weißen Hauses geschleust und hatte meinen Platz an einem Tisch zusammen mit strammen Generälen, Beamten des Heimatschutzministeriums, des Gesundheitsministeriums und einer Reihe von anderen Ministerien eingenommen. Schon 20 Jahre zuvor, als ich meine ersten Erfahrungen mit der süßen inneren Stille der Achtsamkeit machen durfte, war ich zu dem Schluss gelangt, dass wir unsere Gesellschaft grundlegend wandeln könnten, wenn es uns gelänge, diese Praxis an kleine Kinder, Patienten und – ja, warum eigentlich nicht? – Politiker weiterzugeben, doch der Gedanke, dass unsere Regierung diesen Schritt wagen könnte, war mir nie gekommen.
Als Familientherapeut und Schulpsychologe begann ich 2006 die transformierende Praxis der Achtsamkeit zu unterrichten, um Kindern mit Ängsten, Impulsivität, Aufmerksamkeitsschwäche und Depressionen zu helfen und sie dabei zu unterstützen, ein glückliches und erfüllendes Leben zu leben. Ich hatte keine Ahnung, dass es bereits eine Bewegung für die achtsame Schule gab. Später hörte ich dann von Projekten wie „Mindful Schools“, die in Schulen in der Nähe der California Bay Area unterrichteten, dem „Mind Body Awareness Project“, einem Projekt für inhaftierte Jugendliche und „Mindfulness without Borders“, die sich an Studenten auf der ganzen Welt richtete. Begeistert davon, dass ich mit meinem Anliegen offensichtlich nicht alleine war, begann ich Achtsamkeit an Schulen in Kalifornien zu unterrichten und half verschiedenen Organisationen dabei, einen auf Achtsamkeit basierten Lehrplan zu entwickeln.
Und nun habe ich einen Job, den ich noch vor zehn Jahren für undenkbar gehalten hätte. Ich fliege um die Welt und berate Verantwortliche diverser Schulsysteme bezüglich der Schaffung achtsamer, emphatischer und inspirierender Lernbedingungen. In der einen Woche bin ich in Thailand und leite eine internationale Konferenz für Lehrer, die Achtsamkeit und sozial-emotionales Lernen in ihr Heimatland bringen wollen; die Woche darauf bin ich bereits in Atlanta an einer K-12 Schule* und trainiere dort mit dem örtlichen Baseballteam Achtsamkeit, Embodiment und Team-Kommunikation; die Woche danach bin ich wieder in Kalifornien, wo ich ein Retreat für Pädagogen leite, die Teilnehmer des einjährigen Lehrgangs am Mindful Education-Institut sind. Glücklicherweise unterrichte ich selbst Achtsamkeit und weiß, dass die kontinuierliche eigene Arbeit an Präsenz, Herzensöffnung und Aufmerksamkeit unabdingbar ist, um gut unterrichten zu können, denn sonst würde meine jetzige Lebensweise doch sehr an mir zehren. Wenn man mich am Flughafen fragt, ob ich geschäftlich oder zum Vergnügen unterwegs bin, antworte ich in der Regel mit einem nachdrücklichen: „Ja!“
Ich unterrichte Pädagogen, administratives Personal und Kinder in den grundlegenden Prinzipien der Achtsamkeitspraxis. Wenn man jemandem beibringen will, wie man Auto fährt, dann setzt man ihn hinters Lenkrad und stellt sicher, dass ihm die wesentlichen Verkehrsregeln bekannt sind. In der Kindererziehung vermitteln wir zwar, wie man sich in dieser Welt bewegt, doch meist überspringen wir dabei die Bedienungsanleitung. Wie funktioniert unser Geist, unser Herz und unser Körper? Wie schulen wir unsere Aufmerksamkeit? Wie gehen wir liebevoll mit uns und anderen um? Selten werden Kindern von Eltern oder in der Schule angeleitet, wie sie die von ihnen vertretenen ethischen Grundhaltungen tatsächlich entwickeln können, denn in der Regel hat auch uns niemand mit dieser unbezahlbaren Praxis vertraut gemacht. So könnten wir den Schluss ziehen, dass unser Glücklichsein ein Zustand ist, der im Großen und Ganzen dem Zufall überlassen bleibt, und nicht etwas, das man wie einen Muskel trainieren und kräftigen kann. Sobald wir selbst zu dieser Einsicht gelangt sind, können wir unsere Schüler in ihrer Aufmerksamkeit, Zufriedenheit und ihren ethischen Werten wirkungsvoll trainieren.
Im Jahre 2008 entschied ich mich, die Mindfulness in Education-Konferenz am Omega-Institut, einem ganzheitlichen Bildungszentrum in Rhinebeck, New York, ins Leben zu rufen. Diese einmal im Jahr stattfindende Konferenz bringt Lehrer wie Daniel Siegel, Jon Kabat-Zinn, Linda Lantieri, Goldie Hawn, Danny Goleman, Susan Kaiser-Greenland und viele andere führenden Persönlichkeiten im Bereich Achtsamkeit und Bildungswesen an einen Tisch. Für mich hat diese Konferenz am Omega-Institut eine besondere Bedeutung, denn ich selbst habe dort meine Achtsamkeits-Lehrzeit verbracht.
Das Omega-Institut wurde 1977 von meinen Eltern Elizabeth Lesser und Stephan Rechtschaffen gegründet. Meine Mutter und mein Vater leisteten Pionierarbeit und machten Meister der Meditation, des Yoga und anderer kontemplativer Traditionen der amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich. Meine frühen Kindheitserinnerungen beinhalten Shaolin-Mönche, die auf Schwertklingen balancierten, Yogis, die ihren Körper zu einem Knoten verbiegen konnten, Meditationsmeister, die stundenlang vollkommen regungslos dasaßen, und Lehrer, die in Trance versetzt irgendwelche Aliens channelten. Das alles schien mir völlig normal. Ich befand mich in der Regel mit Freunden