ACT der Liebe. Russ Harris

ACT der Liebe - Russ Harris


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wir doch sind. Aber ungeachtet des Widerspruchs, den Ihr Verstand erheben mag, werden Sie beim Durcharbeiten dieses Buches in Ihrem Inneren ein Gefühl der Ganzheit und Vollkommenheit erleben, das von jeder anderen Person unabhängig ist. Dies wird es Ihnen ermöglichen, sich in Ihrer Beziehung stärker selbst treu zu sein: sich ehrlich zu äußern, um das zu bitten, was Sie brauchen, und für sich selbst einzutreten, ohne sich aus Furcht vor Zurückweisung oder Verlassenwerden zurückzuhalten.

       Dritter Mythos: Liebe sollte einfach sein

      Liebe sollte einfach sein. Hmmmmm. Schauen wir uns diese Aussage einmal genauer an.

      Wenn Sie über einen langen Zeitraum hinweg intim mit einem anderen Menschen zusammenleben, der (a) andere Gedanken und Gefühle hat, (b) andere Interessen hat, (c) andere Erwartungen in Bezug auf Hausarbeit, Sex, Geld, Religion, Erziehung, Ferien, sinnvoll genutzte Zeit und das Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben hat, (d) andere Kommunikations-, Verhandlungs- und Ausdrucksstile hat, (e) andere Reaktionen auf die Dinge zeigt, die Sie genießen oder fürchten oder verabscheuen, (f) einen anderen Drang nach Essen, Sex, Sport, Spiel und Arbeit hat, (g) andere Ansprüche an Sauberkeit und Ordnung hat, (h) Freunde und Verwandte hat, mit denen Sie nicht so gut zurechtkommen, (i) lebenslange, tief verwurzelte Gewohnheiten und Eigenarten hat, die Sie stören … sollte es einfach sein?

      Klingt das für Sie überzeugend?

      Natürlich weist unser Verstand schnell darauf hin, dass unsere Beziehung viel einfacher wäre, wenn unser Partner besser zu uns passen, sich nicht so stark von uns unterscheiden würde. Das ist zwar ein Argument, aber nun sind wir wieder genau beim ersten Mythos: dem vom perfekten Partner. Tatsache ist, dass es in einigen oder allen der oben genannten Bereiche sowie in vielen anderen immer erhebliche Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Partner geben wird. Das ist der Grund, warum Beziehungen nicht einfach sind. Sie erfordern Kommunikation, Verhandlung, Kompromisse und viel Akzeptanz von Unterschieden; sie erfordern ebenfalls, dass Sie für sich selbst eintreten, dass Sie im Hinblick auf Ihre Wünsche und Gefühle ehrlich sind und dass Sie sich – in einigen Situationen, in denen etwas auf dem Spiel steht, das äußerst wichtig für Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden ist – absolut weigern, Kompromisse zu schließen. Das ist eine ziemliche Herausforderung. Aber solange Sie von Ihrem Partner erwarten, so zu denken und zu fühlen und zu handeln wie Sie, können Sie sich auf Enttäuschung und Frustration gefasst machen.

      Nun lässt es sich nicht bestreiten, dass es bei einigen Paaren mehr Gemeinsamkeiten gibt als bei anderen. Manchmal sind beide Partner von Natur aus optimistisch, ruhig und gelassen. Manchmal verfügen beide über ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeiten. Manchmal haben beide sehr ähnliche Interessen. Und seien wir ehrlich, wenn Sie beide leidenschaftlich gerne klettern, ist die Urlaubsplanung sehr viel einfacher, als wenn einer von Ihnen gerne am Strand in der Sonne liegt und der andere dies absolut nicht ausstehen kann. Aber ganz gleich, wie viel Sie miteinander gemein haben, wird es immer Unterschiede geben, die Sie herausfordern. Glücklicherweise konzentriert sich die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, wie der Name schon andeutet, sehr stark auf Akzeptanz. Und wenn Sie lernen, die Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Partner wirklich zu akzeptieren, werden Sie merken, dass Ihre Frustration, Ihr Groll oder Ihre Wut sich aufzulösen beginnen, sodass Sie die vielen Freuden genießen können, die eine gesunde Beziehung ihnen bietet. (An dieser Stelle eine kleine Erinnerung: „Akzeptanz“ ist nicht das einzige wichtige Wort bei der Akzeptanz- und Commitment-Therapie; da ist auch noch das Wort „Commitment“ – dieser englische Begriff, für den es keine direkte Entsprechung im Deutschen gibt, bezeichnet eine freiwillige Verpflichtung, eine innere Festlegung auf ein Verhalten, ein Ziel oder einen Wert. In diesem Buch geht es nicht nur um Akzeptanz – es geht auch darum, dass man eine innere Verpflichtung eingeht und effektiv handelt, um seine Beziehung zu verbessern.)

      Vierter Mythos: Ewige Liebe

      Gibt es wirklich ewige Liebe? Das ist eine schwierige Frage. Wenn Menschen von Liebe sprechen, meinen sie normalerweise einen emotionalen Zustand: eine wunderbare Mischung aus Gedanken, Gefühlen und Empfindungen. Das Problem mit dieser Definition von Liebe liegt darin, dass Gefühle nicht sehr lange währen. Genau wie sich die Wolken über uns fortwährend verändern – wie sie schrumpfen, wachsen, sich auflösen und wieder auftauchen –, so verändern sich auch unsere Emotionen. Solange wir Liebe also als ein Gefühl definieren, kann sie nicht ewig dauern. In der Anfangszeit einer Beziehung sind diese Gefühle der Liebe selbstverständlich intensiver, bleiben sie länger bestehen und kommen sie schneller zurück als zu einem späteren Zeitpunkt. Wir bezeichnen diesen Abschnitt, in dem wir bis über beide Ohren verliebt sind und vollkommen berauscht von diesen Romeo-und-Julia-Gefühlen, gemeinhin als „die Verliebtheitsphase“ einer Beziehung. Sie hält nicht lange an – in den meisten Beziehungen im Schnitt sechs bis achtzehn Monate und nur selten, wenn überhaupt, länger als drei Jahre. Und wenn sie vorbei ist, empfinden wir normalerweise ein Gefühl von Verlust. Denn schließlich fühlt sie sich ja gut an! So gut sogar, dass viele Menschen sich von ihrem Partner trennen, wenn die Verliebtheitsphase endet, und schlussfolgern: „Das war’s. Ich bin nicht mehr verliebt, also ist dies eindeutig nicht der richtige Partner für mich. Ich hau ab.“

      Das ist sehr schade. Nur wenige Menschen erkennen, dass eine authentische, liebevolle, bedeutsame Beziehung sich normalerweise erst entwickelt, wenn die Verliebtheitsphase vorbei ist (eine weitere Tatsache, derer sich die Liedermacher, Dichter und Popstars nicht bewusst zu sein scheinen). In der Verliebtheitsphase ist es so, als stünden Sie unter dem Einfluss einer Droge, die Sie berauscht und mit Ihren Sinnen spielt. Wenn Sie high sind, scheint Ihr Partner wundervoll zu sein. Aber Sie sehen nicht die Realität; Sie sehen lediglich ein durch die Droge hervorgerufenes Fantasiegebilde. Erst wenn die Wirkung der Droge nachlässt, sehen Sie Ihren Partner so, wie er wirklich ist. Und erkennen plötzlich, dass des Ritters glänzende Rüstung voller Rostflecken ist und es sich bei seinem weißen Pferd in Wirklichkeit um einen grauen Esel handelt. Oder dass der Jungfrau Kleid aus reiner Seide nur billiges Nylon ist und es sich bei ihren goldenen Locken in Wirklichkeit um eine Perücke handelt. Natürlich ist das ein kleiner Schock. Aber hieraus ergibt sich die Chance, eine authentische intime Beziehung zwischen zwei Menschen aufzubauen, die einander so sehen, wie sie wirklich sind. Und bei der Entwicklung dieser Beziehung wird es neue Gefühle der Liebe geben – vielleicht nicht so intensiv und so berauschend, aber unendlich viel reicher und erfüllender.

      Angesichts all dessen möchte ich Ihnen eine hilfreichere Vorstellung von Liebe vorschlagen. Betrachten Sie Liebe nicht als ein Gefühl, sondern als eine Handlung. Das Gefühl der Liebe kommt und geht nach Lust und Laune; Sie können es nicht steuern. Aber unabhängig davon, wie Sie sich fühlen, können Sie die Handlung der Liebe ausführen. Ein Beispiel: Manchmal, wenn meine Frau und ich uns streiten, fahren und schreien wir uns an, werden lauter und lauter und beenden die Auseinandersetzung schließlich damit, dass wir in unterschiedliche Zimmer des Hauses stürmen. Das ist weder hilfreich noch nützlich. Es bringt uns einander nicht näher und es löst das Problem nicht; es ist reine Zeitverschwendung und entzieht unserer Beziehung das Leben. Je schneller wir den Schaden reparieren können, umso besser ist es für beide von uns; das haben wir auf die harte Tour gelernt. Manchmal ist es meine Frau, die den ersten Schritt macht und versucht, eine Lösung herbeizuführen – und manchmal bin ich es. Immer aber tut es binnen Kurzem der eine oder andere.

      Das ist nicht einfach. Hierfür müssen Sie sich öffnen und Platz für Ihre Wut schaffen, ohne sich von ihr verzehren zu lassen. Sie müssen alle Ihre Gedanken darüber loslassen, wie sehr Sie im Recht sind und Ihr Partner im Unrecht ist. Sie müssen sich wieder mit Ihren Werten verbinden: sich daran erinnern, welche Art von Partner Sie sein möchten und welche Art von Beziehung Sie aufbauen möchten. Und dann müssen Sie handeln.

      Vor einigen Wochen hatten meine Frau Carmel und ich einen Riesenkrach, und bei der Gelegenheit war ich derjenige, der den ersten Schritt machte und versuchte, eine Versöhnung herbeizuführen. Ich war immer noch wütend und ich glaubte immer noch, ich sei im Recht und sie im Unrecht, aber es war mir wichtiger, unsere Beziehung wieder mit Leben zu erfüllen, als „im Recht zu sein“. Also ging ich ins Schlafzimmer, in dem Carmel am Lesen war, entschuldigte mich für mein Schreien und fragte, ob sie kuscheln wolle. Sie sagte: „Nein, aber wenn du kuscheln willst, können wir’s tun.“ So lagen wir auf dem Bett und kuschelten.


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