ACT der Liebe. Russ Harris

ACT der Liebe - Russ Harris


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sagt oder tut. Und unser Verstand liebt nichts mehr, als uns in die Vergangenheit zurückzuversetzen und all diese alten Kämpfe, Auseinandersetzungen und Beschwerden noch einmal abzuspielen; all diese Male wieder aufleben zu lassen, die wir verletzt oder enttäuscht wurden; all diese alten Wunden zu öffnen und sie erneut bluten zu lassen. Manchmal versetzt er uns in die gute alte Zeit zurück, und dann verhöhnt er uns und sagt, sie sei längst vorbei. Oder er versetzt uns in die Zukunft und zeigt uns, wie schlimm unser Leben sein wird, wenn wir in dieser Beziehung bleiben – oder wie gut unser Leben sein wird, wenn wir gehen.

      Nun ist nichts davon ein Problem, wenn Sie effektiv mit Ihrem Verstand umzugehen wissen. Das Problem ist, dass die meisten von uns nicht wissen, wie sie das anstellen sollen. Unsere Standardeinstellung ist die, in-unserem-Verstand gefangen zu sein: ihm all unsere Aufmerksamkeit zu widmen, ihn sehr ernst zu nehmen, die Dinge zu glauben, die er uns erzählt, und dem zu gehorchen, was er uns sagt. Wenn Sie in-Ihrem-Verstand sind, verlieren Sie sich im Smog Ihrer eigenen Gedankenprozesse. Und je dicker dieser Smog wird, umso mehr verschwimmt Ihr Partner, bis Sie ihn durch all Ihre Urteile, Ihre Kritik und Ihre Beschwerden hindurch kaum noch sehen können. Und natürlich können Sie nicht effektiv handeln, wenn Sie nicht klar sehen können.

      Wenn Sie in-Ihrem-Verstand sind, sind Sie gleichzeitig distanziert und automatisch reagierend. Sie können sich nicht wirklich mit Ihrem Partner verbinden, weil Sie zu sehr in Ihre eigenen Gedanken verstrickt sind. Und Sie können nicht effektiv und flexibel auf ihn reagieren, weil Sie auf Autopilot laufen: Sie reagieren impulsiv auf jede Geschichte, die Ihr Verstand Ihnen erzählt. Es überrascht nicht, dass dies alle möglichen Probleme erzeugt.

      Vernachlässigung von Werten

      Werte sind Ihre tiefsten Herzenswünsche bezüglich dessen, was Sie während Ihrer kurzen Zeit auf diesem Planeten tun und wofür Sie stehen wollen. Wenn ich meine Klienten bitte, sich mit Ihren Werten zu verbinden und mir zu erzählen, welche Art von Partner sie idealerweise gerne wären, fallen ihnen häufig Worte wie liebevoll, gütig, fürsorglich, großzügig, mitfühlend, unterstützend, lebensfroh, gelassen, sinnlich, zärtlich und so weiter ein. Im Gegensatz dazu folgt nun eine Liste an Wörtern, die nie genannt werden: aggressiv, feindselig, mürrisch, nörgelnd, launisch, streitlustig, gehässig, unzuverlässig, manipulierend, verlogen, drohend, kalt, strafend, unnahbar.

      Stellen Sie sich also folgende Frage: Welche dieser zwei Listen enthält Wörter, die Ihr Verhalten beschreiben, wenn Dinge in Ihrer Beziehung anfangen „falsch“ zu laufen und Sie sich über Ihren Partner aufzuregen beginnen? Bei den meisten Menschen ist es die zweite Liste (die der nie genannten Wörter). Wenn Sie nicht aufpassen, gehen Ihre Werte über Bord, sobald Sie sich aufregen – und statt der Partner zu sein, der Sie sein wollen, gehen Sie auf Distanz, schalten in einen automatischen Modus und verfangen sich in-Ihrem-Verstand.

      Dies also sind die fünf grundlegenden Prozesse, die Beziehungen das Leben und die Liebe entziehen: Abschalten, automatisches Reagieren, Vermeidung, das In-Ihrem-Verstand-Sein und die Vernachlässigung Ihrer Werte. Holen Sie, um sich diesbezüglich Klarheit zu verschaffen, Ihr Tagebuch hervor und notieren Sie sich ein paar Zeilen dazu, was Ihrer Beziehung die Lebenskraft entzieht. Suchen Sie zuerst bei sich selbst nach diesen Prozessen – und erst dann bei Ihrem Partner. Dies ist wichtig, weil wir sehr gut darin sind, die Fehler unseres Partners zu sehen, für unsere eigenen jedoch häufig blind sind. Richten Sie, während Sie dieses Buch weiter durcharbeiten, Ihr Augenmerk auf diese Prozesse – und auf die Art und Weise, wie Sie zu ihnen beitragen.

      Übungen für Sie und Ihren Partner

      Von hieran finden Sie in den meisten Kapiteln einen Abschnitt mit der Überschrift „Falls Ihr Partner bereit ist“. In diesen Abschnitten schlage ich Ihnen Übungen vor, die Sie gemeinsam mit Ihrem Partner durchführen können. Beachten Sie das Wort „bereit“ im Titel. Es hat keinen Sinn, diese Übungen widerwillig, grollend oder halbherzig zu machen. Sofern Sie nicht beide ehrlich bereit sind, sie durchzuführen, um damit eine bessere Beziehung aufzubauen, werden sie sich nahezu sicher als Bumerang erweisen.

      Bitte beschuldigen oder kritisieren Sie einander beim Durchführen dieser Übungen nicht und heben Sie nicht den Zeigefinger. Diese Übungen bieten Ihnen beiden die Gelegenheit, einen genauen, ehrlichen Blick darauf zu werfen, was in Ihrer Beziehung falsch läuft: darauf, wie Sie beide Ihren Teil dazu beitragen und wie Sie beide die Situation verbessern können. Wenn irgendeine Übung beginnt, in einen Kampf oder einen Streit auszuarten, beenden Sie sie sofort. Machen Sie eine Pause und setzen Sie sie später fort, jedoch nur, wenn Sie beide wirklich dazu bereit sind. Um diese Übungen zu besprechen, ist es häufig nützlich, einen Spaziergang im Park zu machen oder irgendwo einen Kaffee oder ein Glas Wein trinken zu gehen. Die andere Umgebung erleichtert es beiden Partnern, einander zuzuhören, ohne negativ zu reagieren. Es folgt nun die erste dieser Übungen.

      

Falls Ihr Partner bereit ist

      Diese Übung will erreichen, dass Sie vom Beschuldigen, Beurteilen und Kritisieren ablassen und sich ansehen, auf welche Weise Sie zu den Problemen in Ihrer Beziehung beitragen, welche Rolle Sie hierbei spielen.

      ÜBUNG: WAS IHRER BEZIEHUNG DIE LEBENDIGKEIT ENTZIEHT

      • Machen Sie sich beide Notizen zu der Frage, was Sie jeweils tun, das Ihrer Beziehung die Lebendigkeit entzieht.

      • Nehmen Sie sich etwas Zeit (im Idealfall zwanzig bis dreißig Minuten), um offen und ehrlich darüber zu sprechen.

      Bald werden wir uns ansehen, wie sich diese Entwicklung durch Anwendung der ACT-Prinzipien umkehren lässt. Aber als Erstes müssen Sie eine wichtige Frage beantworten: Soll ich bleiben oder soll ich gehen?

      TEIL 2

      Sich festlegen

      KAPITEL 3

      Soll ich bleiben oder soll ich gehen?

      Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich muss aus dieser Beziehung raus.

      Haben Sie jemals Gedanken dieser Art gehabt? Ja? Ich auch. Und meine Frau ebenfalls. Und so gut wie jeder einzelne meiner Freunde, Kollegen und Familienangehörigen. Liegt das daran, dass ich mich mit einem seltsamen Haufen außergewöhnlich anormaler Menschen umgebe? Mitnichten. Die Wahrheit ist die, dass fast jeder zuweilen Gedanken wie diese hat. Das sind die Dinge, die Ihr Verstand Ihnen sagt, wenn Sie mit Ihrem Partner eine wirklich schwierige Zeit durchmachen. Und es ist absolut nichts Schlimmes daran. Es ist sogar vollkommen nachvollziehbar, wenn man bedenkt, wie der menschliche Verstand sich entwickelt hat.

      Denken Sie nur einmal über Folgendes nach: Wie ist unsere Spezies – ein schwächlicher, nackter Affe – in der Lage gewesen, die Herrschaft über den Planeten zu übernehmen, obwohl sie in direktem Wettbewerb mit so vielen anderen Tieren stand, die schneller, stärker und tödlicher sind als wir? Wir haben dies einzig und allein wegen der überragenden Problemlösefähigkeit des menschlichen Verstandes geschafft. Der primitive Verstand unserer fernen menschlichen Vorfahren suchte ständig nach Möglichkeiten, die Überlebensprobleme zu lösen, die den Menschen damals beschäftigten: Wie beschaffe ich Lebensmittel und Wasser, wie finde ich Schutz vor dem Wetter und wie schütze ich mich vor Feinden und wilden Tieren. Und mit jeder menschlichen Generation entwickelte sich der Verstand weiter, wurde er immer komplexer, bis er sich zu dem fantastisch vielschichtigen Problemlösungsapparat wandelte, der er heute ist.

      Wann immer Ihr Verstand auf ein Problem stößt, sucht er deshalb umgehend nach einer Lösung. Und wenn eine Situation schmerzhaft, schwierig oder bedrohlich ist, besteht eine vollkommen vernünftige Lösung darin, ihr zu entkommen! Kein Wunder, dass wir an Scheidung oder Trennung denken. Aber es gibt da einen Knackpunkt: Die Lösungen, die Ihr Verstand ausspuckt, sind nicht immer kluge Lösungen. Denken Sie zum Beispiel an all die Male, als die Art, wie jemand Sie behandelte, Sie so richtig wütend machte und Ihr Verstand Ihnen als scheinbar gute Lösung empfahl, den anderen anzubrüllen oder zu schlagen oder zu beleidigen. Stellen Sie sich vor, wie viel Ärger und Stress Sie


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