Steine brennen nicht. Klaus D. Biedermann
zu sein, denn er sah satt und zufrieden aus.
Während Effel die paar Schritte zu dem vereinbarten Treffpunkt zurückkehrte, ging die Sonne auf und es versprach, wieder ein schöner Tag zu werden.
Perchafta erwartete ihn bereits und diesmal erkannte Effel ihn sofort. Er lehnte an einer Wurzel und lachte Effel entgegen:
»Aber ich bin Effel und ich bin hier«, imitierte er freundlich lachend die letzten Traumworte.
»Also habe ich es doch laut gerufen und ich dachte, es sei nur im Traum gewesen.«
»Nun, jedenfalls so laut, dass ich es bis hierher hören konnte, aber verlegen zu sein brauchst du deswegen nicht, im Gegenteil. Es ist ein schönes Zeichen, sehr symbolisch. Es ist eine gute Voraussetzung für deine erste Reise in die Anderen Welten. Ich sehe es dir an, dass du bereit bist.«
Effel fühlte sich heute Morgen sehr gut. Er wusste nicht, ob das an seinem lebhaften Traum lag, an den er sich in allen Einzelheiten erinnern konnte, oder ob das Frühstück sein Wohlbefinden verursacht hatte. Vielleicht war es auch einfach das Gefühl, dass jetzt seine Reise wirklich begonnen hatte.
»Zunächst möchte ich mich für das wunderbare Frühstück bedanken, Perchafta, es war doch von dir?«
»Direkt von mir war es zwar nicht, aber ich werde deinen Dank gerne weiterleiten, doch nun lass uns aufbrechen, Effel, der Zeitpunkt ist günstig.«
»Und du wirst bei mir sein?«, Effel war immer noch ein wenig skeptisch.
»Ich werde bei dir sein, auch wenn du es manchmal vergessen wirst.«
»Wieder so eine rätselhafte Aussage«, dachte Effel.
»Darf Sam mitkommen?«, fragte er.
»Sam wird hier bleiben müssen, er hätte ohnehin nichts davon. Vielleicht geht er währenddessen auf seine eigene Reise. Jedenfalls wird er dich hier bestimmt wieder erwarten.«
Perchafta winkte mit seiner kleinen Hand den Hund zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin Sam sich niederlegte.
Dann schickte Perchafta sich an, tiefer in den Wald zu gehen, für Effel ein unmissverständliches Zeichen, dem Krull zu folgen. Vorher kniete er aber noch nieder, um Sam zu streicheln und ihm Lebewohl zu sagen. Dann beeilte er sich.
Seine Augen gewöhnten sich immer besser an den Krull. Er konnte ihn mühelos erkennen, wie er dort vorne sehr zielstrebig seinen Weg durch den dichter werdenden Wald fand.
Er hatte ihn bald eingeholt, denn Perchafta blieb immer mal wieder stehen. Er schien dann und wann mit einem Käfer zu plaudern oder er hielt an, um Ameisen vorüberzulassen. Er schien sich hier bestens auszukennen. Jetzt liefen sie nebeneinanderher und bald darauf, sie waren vielleicht 15 Minuten gegangen, kamen sie auf einer kleinen Lichtung an. In der Nähe musste eine Quelle sein, denn Effel hörte das Plätschern von Wasser. Sonst war es angenehm still im Wald. Eine Taube flog vorüber, ihr Flügelschlag verhallte.
In der Nähe eines kleinen Teiches, der von der Quelle gespeist wurde, ließ Perchafta sich nieder und deutete Effel an, es ihm gleichzutun. Es war am Fuße einer uralten Eiche. Gleich neben dem Krull war ein sehr bequemer Platz, mit weichem Moos dick gepolstert. Effel setzte sich.
»Machen wir jetzt schon eine Rast?«, fragte Effel.
»Nein, wir sind angekommen, hier ist heute der Eingang zu einer Welt, die ihr die untere nennt. Man könnte sie allerdings auch die obere nennen, aber lass uns nicht mit Definitionen aufhalten.«
»Hier? Ich kann nichts Besonderes erkennen.« Effel schaute sich nach allen Seiten um. Er hatte sich den Eingang ganz anders vorgestellt, irgendwie geheimnisvoller, mystischer.
»Das Tor ist nicht außen, es ist innen.« Perchafta hatte sich vorgebeugt, seine Stimme klang ein wenig leiser als sonst.
»Schaue nach innen, mein Freund, dort ist die Tür.«
Effel wurde ganz warm ums Herz. Perchafta hatte ihn »Freund« genannt und seine kleine Hand auf seine Schulter gelegt. Und da geschah etwas, was ihn vollkommen verblüffte. Der Krull strahlte eine solch lebendige Energie aus, die alles um ihn herum verblassen ließ. Eine wohlige Wärme floss zu ihm hinüber. Es war wie Magie, denn er entspannte sich auf eine unglaublich angenehme Art und Weise, sein Atem wurde ruhiger, die Augen fielen langsam zu, seine Muskeln schienen irgendwie weicher zu werden und er lehnte sich an den Stamm des Baumes an.
»Komisch«, dachte er, »ich bin noch nicht einmal müde, nur mein Körper scheint irgendwie willenlos zu werden. Was ist, wenn der Krull gar kein Freund ist?«, sprang es ihn aus seinem tiefsten Unbewussten an. Gleichzeitig war es ihm, als würde jemand in seinem Kopf über diesen Gedanken lachen. Dieses innere Zwiegespräch spielte sich jedoch nur am Rande seiner bewussten Wahrnehmung ab.
Das Plätschern der Quelle drang gedämpft in sein Bewusstsein und Perchaftas Stimme, sanft und weich, die ihm empfahl, sich einfach mehr zu entspannen, nach innen zu schauen, sich den Bildern hinzugeben, zu träumen - und dann war kein Denken mehr da. Er hatte sich inzwischen hingelegt, das hatte sein Körper irgendwie von ganz alleine gemacht.
Er sah sich, zunächst wie durch ein Kaleidoskop, in Mindevols Haus. Es war Winter. Das Feuer im Kamin verbreitete eine wohltuende Wärme in dem behaglichen Raum und an den kleinen Fenstern klebten Eisblumen. Effel saß am großen Ahorntisch, Hand in Hand mit Saskia, und rührte mit einem Löffel in seinem Tee.
Das Bild wurde klarer.
Vor ihnen auf dem Boden lag Sam und schlief, den Kopf auf Saskias Füssen. Effel liebte den würzigen Rauch des Tees. Mira, Mindevols Frau, war eine Meisterin im Zubereiten von Kräutertees und wohlschmeckenden Gewürzmischungen. Sie wusste, dass jeder Tee, jedes Gewürz und jedes Kraut auch Medizin waren, wenn sie zur richtigen Zeit in der genau bemessenen Menge eingenommen würden. Durch jahrelange Übungen hatte Mira sich das Wissen ihrer Großmutter, einer Zauberheilerin, angeeignet und inzwischen gab sie dieses Wissen in ihrer kleinen Heilkundeschule auch weiter. Das Auffälligste an Mira war ihr dickes, lockiges Haar, das sie immer mit einem farbigen, breiten Band zu bändigen versuchte.
Ihre Bewegungen waren geschmeidig und sie schien nie etwas unbewusst zu tun.
In der Runde um den Tisch befanden sich mehrere Dorfbewohner.
Soko, der Schmied, Sendo, der Korbmacher, Birja, die Lehrerin und Susa, Sokos alte Mutter.
All das sah Effel jetzt ganz genau, wie in einem Film. Mindevol saß in seinem behaglichen Ohrensessel und Minka, die wohlgenährte Lieblingskatze, schnurrte in seinem Schoß.
Ein Auge hatte sie immer wachsam auf Sam gerichtet, das andere geschlossen. So machte sie einen demonstrativ entspannten Eindruck, der sich in das Gegenteil verwandeln würde, wenn Sam ihr zu nahe käme. Sie traute einem Hundefrieden nie. Mindevol liebte das Gespräch mit Freunden um diese Zeit des Tages ganz besonders.
Obwohl Effel auf einer Waldlichtung lag und neben ihm ein Krull saß, konnte er sich in aller Ruhe die Bilder aus seiner Vergangenheit, die sich seinem inneren Auge zeigten, anschauen und gleichzeitig hörte er auch noch das gedämpfte Plätschern der Quelle, die in der Nähe war.
Neben Mindevol saß Malu auf einem Hocker und spielte bekannte Lieder auf seiner Gitarre, die er leise summend begleitete. Mira bediente ihre Gäste wie immer mit fröhlicher Gelassenheit. Mal goss sie Tee in eine der Tassen nach, mal brachte sie Gebäck. Sie wurde von den anderen mit der gleichen Dankbarkeit und Achtung behandelt wie ihr Mann. Es gab kaum jemanden in Seringat, dem sie nicht zumindest einmal durch ihre Heilkunst geholfen hatte.
Effel war überrascht, wie viele Einzelheiten er sehen konnte, und auch darüber, wie schnell Gedankenverbindungen zu den Bildern kamen. Er erinnerte sich sogar an die Tageszeit. Es war später Nachmittag, die Stunde kurz vor der Dämmerung, für Effel die behaglichste des Tages. Er hatte gerade zu Saskia gesagt, dass er morgen früh gleich nach den Beeten schauen wolle, als es klopfte. Malu, der der Tür am nächsten saß, legte sein Instrument beiseite und stand auf, um zu öffnen. Die Katze war mit einem leisen Mauen von Mindevols Schoß herunter gesprungen und mit einem für ihre Körperfülle unglaublich