Steine brennen nicht. Klaus D. Biedermann

Steine brennen nicht - Klaus D. Biedermann


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Erde gegenüber dem Äther und die Einweglichtgeschwindigkeit nicht messen konnte?« Nikita erinnerte sich genau an die Veröffentlichung.

      »Das stimmt, Nikita. In Analogie zu Luft und Schall«, dozierte Professor Rhin, »sah bereits die Äthertheorie des 19. Jahrhunderts in einem im Raum ruhenden Äther das Ausbreitungsmedium für elektromagnetische Wellen. Immerhin eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen damals geforscht wurde. Auf den ersten Blick scheint der Äther, der kosmische Urstoff, mit dem Einzug der Relativitätstheorien Albert Einsteins in die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts aus selbiger verbannt worden zu sein. Doch der Schein trügt. Denn bereits Einstein versuchte, den Äther über Quantenfelder wieder einzuführen. Früher beobachteten Philosophen zunächst die Natur und leiteten dann Gesetzmäßigkeiten aus den wahrgenommenen Phänomenen ab.

      Soweit die Fortschritte in der Mathematik dies erlaubten, beschrieben sie als solche erkannte ›Naturgesetze‹ auch auf mathematische Weise. Seit Einstein gehen Naturwissenschaftler bei ihren Beobachtungen immer häufiger umgekehrt vor: Sie untersuchen die bereits formulierten Naturgesetze auf mathematische Weise, um aus ihnen ›Naturgeschehen‹ herzuleiten.

      Widersprechen reale Erscheinungen dabei den mathematisch gewonnenen Erkenntnissen, verliert dieser Teil unserer Realität gelegentlich seine Existenzberechtigung. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Erhält man Ergebnisse, die sich in der Natur so gar nicht wieder finden lassen, werden die mathematischen ›Rätsel‹ schlichtweg zum Bestandteil unserer Natur erklärt.«

      Jetzt war Nikita in ihrem Element. Sie liebte philosophischwissenschaftliche Diskussionen.

      »Haben sich nicht selbst schon Wissenschaftler der Antike Gedanken um den Äther gemacht? Und hat sich nicht sogar die Wissenschaft der Magie mit diesem Phänomen befasst? Was war mit dem fünften Element gemeint?«

      »Das fünfte Element nannten manche Wissenschaftler, aber auch Philosophen, den Himmel, manche nannten es Licht, andere Äther.« Jetzt hatte auch der Professor Feuer gefangen und fuhr fort: »Im Äther finden wir die feinsten Eigenschafen der anderen Elemente ebenso wie das, was dem Äther selbst eigen ist. Dies ist auch der Grund dafür, dass in der so genannten niedrigen Magie oft der Äther überhaupt nicht erwähnt wird; man dachte, dass das Element selbst ohnehin auch die feinsten Essenzen in sich trägt. Dass aber der Äther auch Eigenständigkeit besitzt, erschien nur jenen, die sich in ihm verwirklichen konnten, erarbeitungswert.«

      »Die Vier-Elemente-Lehre wurde doch auch von griechischen Philosophen weiterentwickelt. Platon ordnete meines Wissens jedem der vier Elemente einen regelmäßigen Körper zu.

      Aristoteles wiederum gab den vier Elementen die Eigenschaften warm/kalt, trocken/feucht. Aristoteles fügte dann den Äther als fünftes Element, die so genannte Quintessenz, hinzu«, erinnerte sich Nikita jetzt wieder.

      »Sicher«, bestätigte Professor Rhin, »vieles von dem, was wir heute wissen, verdanken wir der Vorarbeit mutiger Generationen von Wissenschaftlern. Dr. Wenstin war auf einer guten Spur, leider mit den erwähnten Nebenwirkungen. Inzwischen kann er nicht mehr angeben, denn er erlitt kurz darauf tragischerweise einen Herzinfarkt. Eine seltene Krankheit heutzutage.

      Der Forschungsauftrag, den Ihre Universität so gerne bekommen hätte, kam von der Firma, für die Sie heute arbeiten, von BOSST. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es im Interesse eines Auftraggebers ist, solch ein Projekt geheim zu halten.«

      Nikita konnte ihre Überraschung kaum verbergen.

      »Oh ja, das glaube ich«, antwortete sie, »das Unternehmen, das ein Gerät oder eine Maschine entwickeln würde, mit deren Hilfe man Energie aus Myon-Neutrino-Feldern gewinnen kann, hätte wohl alles auf seiner Seite.«

      »Das kann man so sagen«, Professor Rhin nickte, »und die Menschen, die sie bauen würden, auch. Es gibt in diesem Zusammenhang neue Erkenntnisse, Nikita, um die es in unserem Gespräch gehen wird.«

      »Sie machen es spannend, Herr Professor, was soll ich bei dieser ganzen Angelegenheit für eine Rolle spielen? Wollen Sie mir etwa diesen Forschungsauftrag zutrauen?«

      »Das ist nicht mehr nötig, Nikita. Das Verfahren gibt es nämlich schon. Es wurde bereits vor mehr als 1100 Jahren entwickelt.« Professor Rhin beobachtete Nikita hierbei genau.

      Es kam nicht oft vor, dass Nikitas Mund vor Staunen offen blieb, jetzt aber war es so »Habe ich Sie richtig verstanden, dass es vor 1100 Jahren schon ein Verfahren gab, mit dem man einen Großteil der damaligen Probleme hätte lösen können? Und dass es dennoch nicht angewandt wurde?«

      »Ja, das stimmt. Das kann aber mehrere Gründe haben. Ein Grund - man war technisch einfach noch nicht so weit, diese Maschine zu realisieren.

      Oder man hielt es aus irgendwelchen, heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht für opportun. Vielleicht wurde dem Entwickler auch zu wenig Geld geboten.

      Oder, ganz einfach, die Pläne wurden ihm gestohlen.

      Es wäre übrigens nicht die erste Erfindung, die des Geldes wegen zurückgehalten wurde. Schon in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Beispiel war ein Automobilantrieb erfunden, der nur mit Sonnenenergie lief. Die Ölmultis zahlten dem Erfinder zehn Millionen Dollar dafür, dass er seine Erfindung in der Schublade ließ. Er nahm das Geld.«

      »Wenn es nicht mehr nötig ist, dieses Verfahren zu entwickeln, was soll ich dann bei der ganzen Angelegenheit noch machen? Lassen Sie uns dieses Ding bauen, Professor.«

      »Schön, wenn es so einfach wäre, Nikita«, sagte der Professor und lächelte.

      »Das Verfahren wurde zwar entwickelt, Nikita, aber bisher nur theoretisch. Es gibt bislang lediglich die Pläne, also die Unterlagen für den Bau dieser Maschine. Wir haben die Pläne nicht, noch nicht, aber Sie sollen sie beschaffen. Sie sind gescheit, Nikita, Sie sind ausdauernd und nach unserer Meinung die richtige Frau für diese Aufgabe. Von ganz oben ist man auf Sie aufmerksam geworden, vielleicht freut es Sie, das zu hören.«

      Der Professor hatte Nikita immer noch sehr genau im Visier. Verriet sie etwas?

      Nein, sie schien wirklich keine Ahnung zu haben. Noch nicht einmal aus ihrem Unbewussten kam eine Reaktion.

      »Was soll daran so schwierig sein, diese Unterlagen zu bekommen, ist nicht alles in den Archiven gespeichert? Warum wusste Dr. Wenstin das nicht?«, fragte Nikita, ohne sich durch die offensichtliche Schmeichelei besonders beeindrucken zulassen.

      »Die Dokumente und Baupläne, wahrscheinlich in Form von Schriftrollen, befinden sich in dem Teil der Welt, zu dem wir offiziell keinen Zugang haben.« Jetzt war die Katze aus dem Sack.

      »Das ist der Haken an der Sache, Nikita. Wenn wir eine Art diplomatische Anfrage stellen würden, bekämen wir die Unterlagen nicht. Wir müssen sie uns also auf einem anderen Weg beschaffen. Und dieser Weg sind unserer Auffassung nach Sie, Nikita. Wir glauben an Sie. Ein Mensch, der sich drüben schnell anpassen kann, wird nicht auffallen. Außerdem haben Sie das Wissen, die Unterlagen zu erkennen, wenn sie vor Ihnen liegen. Wir werden Ihnen die Arbeiten von Dr. Wenstin zur Verfügung stellen, lesen Sie sich ein. Was wir noch haben, erhalten Sie auf elektronischem Weg. Uns ist natürlich bewusst, dass wir damit bestehende Verträge verletzen, aber bedenken Sie den Wert, den diese Unterlagen bedeuten, Nikita.«

      Nikita brauchte für ihre nächste Frage länger als sonst.

      »Das hieße für mich«, fasste sie zusammen, »eine Reise von unbestimmter Dauer in ein Land, das ich nicht kenne. Wo soll ich mit der Suche beginnen, wenn ich drüben bin? Wenn ich überhaupt so weit komme. Die Menschen dort werden mir nicht gerade wohl gesonnen sein, wenn sie entdecken, warum ich da bin. Wie gefährlich schätzen Sie das alles ein? Und was meinen Sie mit anpassen?«

      »Wenn Sie nicht besonders auffallen und es schnell geht, dürften Sie ziemlich sicher sein. Kontakt zu den Anderen müssen Sie natürlich aufnehmen, denn wir sind überzeugt, dass man drüben auch irgendwelche Aufzeichnungen, zum Beispiel in alten Bibliotheken, finden kann. Wir können Ihnen allerdings nicht mit einer Armee zu Hilfe kommen, das müssen Sie verstehen. Zu viel steht auf dem Spiel. Es darf auch nie ein Verdacht aufkommen, dass


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