Wenn Liebe nicht genug ist. Martina Leitner
beschlagenes Sideboard aus dunklem Teakholz. Darauf standen einige saubere Gläser. Sie vermutete, dass sich in dem Sideboard eine Bar verbarg. Susan wandte sich um, durchquerte die Eingangshalle und suchte weiter nach der Haushälterin. Schließlich erreichte sie die Küche, aus der unüberhörbare Geräusche kamen. Susan klopfte an die Tür und trat ein.
„Guten Morgen“, sagte sie freundlich.
Miranda drehte sich zu Susan um und machte einen höflichen Knicks.
„Guten Morgen, Miss Walsh.“
„Wissen Sie vielleicht, wo sich meine Kleidung befindet?“
Miranda nickte.
„Die sind in der Waschküche. Ich sehe sofort nach, ob Ihre Sachen schon trocken sind.“
Wieder machte sie einen Knicks und eilte durch eine weitere Tür davon. Susan blieb zurück und wartete auf die Rückkehr der Haushälterin. Wenige Augenblicke später kam Miranda zurück. In ihrer Hand hielt sie einen Kleiderbügel aus Holz, auf dem Susans Kleider hingen. Susan wollte ihn ihr aus der Hand nehmen, aber Miranda ließ es nicht zu.
„Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“
Miranda ging voraus. Höflich hielt sie Susan die Küchentür auf und ließ sie vorgehen. Miranda folgte ihr die Treppe hinauf in das Gästezimmer. Dort legte sie die Kleidung sorgfältig auf das Bett und wartete darauf, dass sie Susan behilflich sein konnte. Susan setzte sich mit einem leisen Seufzen auf das Bett und sagte schließlich: „Danke, Miranda. Ich brauche keine Hilfe. Aber können Sie mir vielleicht erklären, warum Sir Thomas und sein Vater nicht mehr miteinander sprechen?“
Miranda sah sich verstohlen um und flüsterte hinter vorgehaltener Hand.
„Miss Walsh, eigentlich steht es mir nicht zu, darüber zu sprechen.“
Sie rückte noch etwas näher zu Susan und setzte dann leise fort.
„Sir Thomas Stanton hatte vor ein paar Jahren eine, sagen wir einmal, nicht standesgemäße Geliebte. Damit war Sir Christian Stanton überhaupt nicht einverstanden. Deswegen kam es zu einem Streit und die beiden Herrschaften haben seither kein Wort mehr miteinander gewechselt.“
Susan nickte nachdenklich. So etwas in der Richtung hatte sie sich schon gedacht. Allerdings verstand sie nicht ganz, warum so eine Lappalie Vater und Sohn derart entzweit hatte. Aus ihrer Sicht hätte man so eine Sache doch auch friedlich klären können. Aber was wusste sie schon über die Bedeutung einer nicht-standesgemäßen Freundin in einer Adelsfamilie. Sie selbst stammte aus einer reichen Unternehmerfamilie und obwohl unter ihren frühen Vorfahren auch Adelige waren, war sie bodenständig erzogen worden. Susan schüttelte den Kopf und machte sich dann daran, in ihre Klamotten zu schlüpfen.
„Danke, Miranda“, sagte sie und Miranda verabschiedete sich mit einem Knicks, ehe sie das Gästezimmer verließ.
Susan schlüpfte in ihre Jeans und war erstaunt darüber, wie weich diese war. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie es geschafft, ihre Jeans so weich zu bekommen. Verwundert fuhr sie mit der flachen Hand über den weichen Stoff. Es fühlte sich an, als ob man mit den Fingerspitzen über einen Pfirsich streichelte. Danach schlüpfte sie in ihre weiße Bluse und schnupperte genießerisch an dem frischen Duft. Die Bluse war offensichtlich gewaschen, gebügelt und gestärkt worden. Susan fühlte sich wie im siebten Himmel oder wie in einem Luxushotel. Sie sah sich suchend im Raum um. Schuhe. Wo waren ihre Schuhe? Susan bückte sich und fand ihre Schuhe schließlich unter dem Bett, wo Miranda sie feinsäuberlich mit Zeitungspapier ausgestopft und zum Trocknen hingestellt hatte. Mit einem Lächeln im Gesicht entfernte Susan das Zeitungspapier und schlüpfte in ihre Schuhe. Sie wollte Sir Stanton nicht länger zur Last fallen und sich auf den Heimweg machen. Susan fühlte sich zwar immer noch schwach und wackelig, aber sie konnte von ihm nicht verlangen, sie, als quasi Fremde, länger bei sich aufzunehmen als unbedingt nötig. Susan hatte Thomas’ Gastfreundschaft schon viel zu sehr strapaziert. Daher griff sie nach ihrer Tasche, die auf einem der Bettpfosten hing. Mit der Hand strich sie die Bettdecke glatt und machte sich dann auf den Weg nach unten. Gerade als sie die Villa verlassen wollte und ihre Hand auf die Türklinke legte, hörte sie einen Schlüssel im Schloss klimpern und einen Augenblick später trat Sir Thomas Stanton durch die Tür. Überrascht sah er Susan an.
„Was tun Sie hier?“, entfuhr es ihm.
„Ich gehe nach Hause“, antwortete Susan trotzig und sie reckte ihr Kinn kämpferisch in die Höhe.
„Sie gehen nirgendwo hin!“, sagte er energisch und verschloss die Tür hinter sich.
Susan holte entrüstet Luft und wollte eben zu einer Antwort ansetzen, als er erklärend und etwas sanfter hinzufügte:
„Ich habe Dr. Lexington mein Wort gegeben, dass sie die verordnete Bettruhe einhalten und sich auskurieren werden.“
Thomas griff nach ihrer Schulter und schob sie sanft Richtung Treppe.
„Und ich pflege mein Wort zu halten.“
Mit diesen Worten griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich die Treppe hinauf. Susan wollte protestieren, ließ es aber dann doch lieber bleiben. Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass sie besser nicht widersprach. Amüsiert beobachtete sie ihn von der Seite, wie er verbissen versuchte, sich auf die Treppe zu konzentrieren. Als sie das Gästezimmer erreicht hatten, öffnete er die Tür und zog sie hinein. Sachte schloss er die Tür hinter ihnen und sah ihr tief in die Augen. Susan schluckte hart, denn sein intensiver Blick machte sie nervös und sie bemerkte, wie ihre Knie weich wurden. Mit der Zungenspitze fuhr sie sich nervös über die trockenen Lippen. Unaufhörlich beobachtete Thomas jede Regung in Susans Gesicht und sie bemerkte, dass er schneller atmete als normal. Thomas machte einen Schritt auf sie zu und sie dachte schon, er wollte sie küssen, aber im nächsten Moment ließ er abrupt ihre Hand los, machte auf dem Absatz kehrt und ging zum Fenster. Susan musste sich am Bettpfosten festhalten, um nicht umzukippen. Ihre Knie zitterten und ihr Herz pochte bis zum Hals. Sie beobachtete, wie Thomas sich nervös mit einer Hand durch sein blondes Haar fuhr. Er stand am Fenster und starrte unentwegt hinaus. Nach einer gefühlten Ewigkeit ergriff er das Wort.
„Bitte bleiben Sie“, sagte er leise und ohne sich umzudrehen.
Susan atmete tief durch und versuchte, ihr wild pochendes Herz zu beruhigen. Wieso lag ihm soviel daran, dass sie blieb? Sie hatte keine Ahnung, aber sie wollte es herausfinden.
Schließlich sagte sie etwas zögerlich:
„In Ordnung. Wenn Sie darauf bestehen, dann bleibe ich. Ich könnte ohnehin noch etwas Pflege und Fürsorge gebrauchen.“
Susan lächelte zaghaft, während sie ihre Tasche zurück an den Bettpfosten hängte.
Thomas drehte sich zu ihr um und sah sie besorgt an. Sie wirkte in ihrer weißen Bluse blass und zerbrechlich. Er trat auf Susan zu und reichte ihr die Hand, die sie dankbar drückte.
„Danke, Susan.“
Er schien unschlüssig, ob er noch etwas sagen sollte. Susan wartete geduldig, während Thomas immer noch ihre Hand festhielt. Sie spürte die Wärme seiner Hand in ihrer. Erneut sah er sie intensiv an und ihr wurde schon wieder schummerig. Sie wusste nicht, ob es von ihrem Gesundheitszustand oder von Thomas’ Anwesenheit herrührte, aber sie hatte das Gefühl, sich hinlegen zu müssen, denn sie begann bereits leicht zu schwanken. Thomas schien es bemerkt zu haben und er legte fürsorglich einen Arm um ihre Schultern, um sie zu stützen. Bei der plötzlichen Berührung zuckte sie zusammen. Thomas ignorierte es und drückte sie sanft auf das Bett.
„Sie legen sich sofort ins Bett und ruhen sich aus.“
Thomas sah sie ernst und besorgt an.
„Mit so einer Infektion ist nicht zu spaßen. Sie gehören ins Bett und damit basta.“
Susan nickte erneut und machte sich gedankenverloren daran, ihre Bluse aufzuknöpfen. Thomas räusperte sich und wandte sich abrupt von Susan ab. Erschrocken ließ Susan die Hände sinken.
„Ich gehe jetzt besser und lasse Sie alleine.“
Thomas