Als ich verlor, was ich niemals war. Matthias Dhammavaro Jordan

Als ich verlor, was ich niemals war - Matthias Dhammavaro Jordan


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      Dann wurde mir klar, was hier passiert war – ich war erleuchtet!

      Als ich so einen Weg entlanglief, kam mir Viriya entgegen, schaute mich an und meinte zu mir: „Wir sind hier nicht in einer Flugschule!“ ‚Arschloch‘, dachte ich, ‚du neidest mir dieses Erlebnis doch nur, und obwohl du Mönch bist, hast du so was noch nicht erlebt, sonst würdest du das nicht sagen … Idiot.‘ Ich entgegnete ihm: „Ist das so?“ und lief einfach weiter.

      Upps, was kamen denn da für Reaktionen aus meinem erleuchteten Geist? Egal, kann schon mal passieren, und ich sammelte mich wieder und genoss dieses Hiersein mit der Gewissheit, dass die Erleuchtung jetzt stattgefunden hatte, und wollte es mit jemandem besprechen und, ja, es mir bestätigen lassen.

      Ich ging zu Ajahn Ranschuan, die vor ihrem Häuschen gerade ihre Wäsche aufhing, und erzählte ihr, was ich in den letzten Tagen so erlebt hatte und dass ich ja jetzt gehen könnte, weil das Ziel – Erleuchtung – wohl jetzt erreicht sei.

      Sie schaute mich aus ihren freundlichen und sehr klaren Augen an und sagte dann mit viel Mitgefühl zu mir: „Hafte nicht daran an!“

      Was?! Ich wollte Lob und Lobpreisung und Anerkennung, wollte die Bestätigung meiner Erleuchtung – und dann sagt sie sowas?

      Sie meinte weiter, dass das alles sehr gut sei, was ich da erlebe, und ein Zeichen dafür sei, dass ich die Achtsamkeit gut entwickelt hätte und dass Achtsamkeit dann diese starke Konzentration hervorbringe, die ich gerade erlebte.

      Dann meinte sie, ich solle mit dem ‚kontemplativen Blick‘ auf die Dinge schauen, mit dem Dhamma-Auge, denn es gehe ja darum zu verstehen, wie die Dinge wirklich sind, und dass ich der Weisheit die Möglichkeit geben solle, mir diese Einsichten zu bescheren. Auch gebe es andere Faktoren, wie liebende Güte, Mitgefühl und Gleichmut, die ebenfalls entwickelt werden müssten.

      Wie weit meine liebende Güte und mein Gleichmut entwickelt waren, konnte ich an meiner Reaktion auf Viriya ablesen.

      Später erzählte sie mir einmal, dass sie in einem Dschungel gelebt hatte, als sie nicht weit von sich entfernt einen Tiger durchs Unterholz streichen hörte. Aber sie empfand keine Angst. Aus ihren Augen spürte sie ein helles Licht strömen und sie fühlte eine Stärke und Kraft, die keinen Raum für Angst ließen.

      ‚Der Tiger hätte keine Chance gehabt‘, dachte ich bei mir, als sie mir das erzählte. Aber auch das seien einfach nur ‚Abfallprodukte‘ der Meditation und nicht das Ziel.

      Ich ging etwas enttäuscht und doch irgendwie erleichtert zurück in meine Hütte.

      Die Intensität meiner Erfahrung legte sich langsam wieder und ich fragte mich, wie lange ich das eigentlich ausgehalten hätte? Keine Ahnung!

      Achtsamkeit und Nicht-Anhaften blieben das Mantra.

      Unterwegs und doch immer hier

      Mein Visum würde bald ablaufen, und ich beschloss, am übernächsten Tag den Nachtzug nach Penang in Malaysia zu nehmen, um es erneuern zu lassen.

      Ich packte meinen Rucksack und verabschiedete mich von Ajahn Po, Viriya und Ajahn Ranschuan. Dann stand ich am Bahnhof in Chaiya und wartete auf den Zug aus Bangkok, der um zwei Uhr morgens ankommen sollte.

      Ich hatte alle Zeit der Welt, war weder in Eile noch ungeduldig. Es genügte mir, einfach zu sein. Das Nicht-Anhaften übte ich weiter und in seinem Schlepptau bemerkte ich eine Art Vertrauen.

      Ich vertraute darauf, dass alles so geschehen würde, wie es geschehen muss, und weshalb sollte ich mich da einmischen? Das hatte zur Folge, dass ich weder einen Sitzplatz noch eine Fahrkarte im Zug reservierte. Die Fahrt dauerte immerhin fünfzehn Stunden und manchmal länger, und auch ein Hotelzimmer in Penang hatte ich nicht gebucht.

      Ich genoss es, sorgenfrei und planlos mit dem Leben zu fließen. Im Zug bekam ich dann den vorletzten Sitzplatz, in Penang das letzte Zimmer in meinem Hotel, und ich hatte das Gefühl, dass das Leben es gut mit mir meinte.

      Wieder zurück in Suan Mokkh erreichte mich ein Telegramm von Anna. Sie werde in etwa einer Woche nach Katmandu fliegen und wolle wissen, ob und wann ich kommen würde.

      Ach ja, Anna. Ich hatte sie nicht vergessen, aber auch nicht sehr oft an sie gedacht.

      Es fühlte sich an, wie an ein anderes Leben erinnert zu werden, mein altes Leben.

      Es war nun Anfang Mai und ich überlegte hin und her. Ja, ich wollte Anna wiedersehen und mir auch eine Auszeit vom klösterlichen Leben nehmen, und nach Katmandu wollte ich auch schon immer mal. Also entschloss ich mich, in einigen Tagen nach Bangkok zu fahren, um mich auf den Weg nach Nepal zu machen. Wir wollten zusammen auf dem bekannten Annapurna Treck wandern, der in der Nähe von Pokhara beginnt. Dazu hatte ich extra meine Wanderschuhe aus Berlin mitgenommen, die mich eigentlich die ganze Zeit in Thailand belasteten, auch eine warme Trekkingjacke hatte ich die ganze Zeit mit mir herumgeschleppt.

      Aber schon ein paar Wochen vorher war während eines Retreats in unseren Schlafraum eingebrochen worden und die Jacke und die Schuhe wurden mir geklaut. Außerdem war ich barfuß in einen verrosteten Nagel getreten, die Wunde hatte sich entzündet und längeres Gehen bereitete mir Schwierigkeiten. Mit der Trekkingtour würde es also wohl nichts werden, für mich auf alle Fälle nicht.

      Auch hier erkannte ich einen Zusammenhang zwischen langem Planen und den Vorkehrungen, die man traf, und dass alles anders kommen kann, als man es geplant hatte. Als mir die Sachen geklaut wurden, ärgerte ich mich überhaupt nicht darüber, denn ich war ja im Nicht-Anhaftungs-Modus, und wenn ich ehrlich bin, war ich sogar erleichtert, im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich musste den ganzen Kram nicht mehr mit mir herumschleppen. Dann erinnerte ich mich an ein altes Sprichwort: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähle ihm von deinen Plänen.“

      Das Ticket war schnell besorgt, Anna über meine Ankunftszeit informiert und aus dem Flugzeug sah ich zum ersten Mal die Gipfel des Himalayas, und „das ist der Mount Everest“, meinte eine der Flugbegleiterinnen noch.

      Wir landeten in Katmandu, wo Anna in der kleinen Ankunftshalle auf mich wartete. Wir freuten uns beide, einander wiederzusehen, und hatten viel zu erzählen.

      Sie war schon seit drei Tagen hier, hatte ein Hotelzimmer organisiert, und so erkundeten wir erst einmal die Stadt. Ich bemerkte, dass ich sehr bei mir war und nach all den Wochen keine Lust verspürte, mit Anna zu schlafen oder ihr sonst wie körperlich näher zu kommen. Wäre das nicht im Kontext meiner klösterlich-meditativen Erfahrung geschehen, hätte ich mir echte Sorgen gemacht. Aber Anna war auch nicht fit, sie hatte Durchfall und fühlte sich schlapp, und so fiel ihr meine Distanz nicht sofort auf.

      Meinen zweiunddreißigsten Geburtstag feierten wir in Katmandu, und sie überreichte mir als Geschenk ein T-Shirt, worauf ein kleines, abstraktes Bild gestickt war, und ich erschrak zunächst, denn es sah genauso aus wie eine Zeichnung aus meinem Notizbuch.

      Ja, die liebe Anna hatte mir diese Zeichnung ‚entwendet‘ und dem Sticker als Vorlage gegeben. Wir verstanden uns gut und verlebten ruhige und harmonische Tage in Nepal. Ohne mich wollte sie auch nicht auf den Annapurna Treck gehen. Wir blieben eine Woche in Pokhara, machten kleine Tagesausflüge, besuchten tibetische Klöster und fuhren wieder nach Katmandu.

      Anna flog zurück nach Berlin, ich zurück nach Bangkok, um schließlich auch drei Tage später wieder in Berlin zu landen.

      Es war Ende Mai 1988, der Frühling war schon eine Weile da und ich musste mich wieder um Aufträge kümmern. Berlin fühlte sich fremd an. Ich war nicht am richtigen Ort, machte nicht die richtigen Dinge, so fühlte es sich zumindest an. Auf jeden Fall musste ich mich jetzt erst mal orientieren.

      Anna orientierte sich auch neu. Bislang hatte sie Geschichte und Germanistik studiert,


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