Als ich verlor, was ich niemals war. Matthias Dhammavaro Jordan
wenn ich es gewollt hätte. Irgendetwas in mir hatte verstanden, dass es da draußen in der Welt nichts gibt, was eine Beständigkeit von Freude oder Glück versprechen konnte. Ich war wirklich satt!
Abstecher nach Suan Mokkh
Am nächsten Tag verabschiedete ich mich von Anna und wir verabredeten, uns mit Telegrammen auf dem Laufenden zu halten und uns in Nepal wiederzutreffen.
Ich nahm die Nachtfähre, kam morgens in Surat Thani an, nahm den Bus nach Suan Mokkh, stieg aus und betrat dann dieses wunderbare Waldkloster. Ich fühlte diese Stille und Ruhe, spürte den Frieden und die Geborgenheit der riesigen Bäume.
Santikaro begrüßte mich und zeigte mir ein großes Dormitorium, in dem ich mich einrichten könne. Es waren noch drei andere Männer da. Einen kannte ich noch vom letzten Retreat.
Dann schlenderte ich durch den Wald, ging zur Meditationshalle im Dschungel, setzte mich zur Meditation hin und fühlte plötzlich eine große Welle der Traurigkeit und Schwermut über mich hereinbrechen.
Was machte ich hier eigentlich? War das richtig, war das falsch? Anna alleine nach Indien gehen zu lassen? Bin ich verrückt geworden? Tief in mir drinnen wusste ich, dass ich am richtigen Ort war, aber irgendwie wusste ich auch, dass ich bei Anna sein sollte. Ich fühlte diese tiefe, schwere, innere Zerrissenheit und wusste nicht mehr, was richtig oder falsch war.
Da saß ich nun, alleine, mitten im Dschungel, und weinte die bitterlichen Tränen des Abschiednehmens. Aber es war nicht nur der Abschied von Anna. Erst später verstand ich, dass es der Abschied von meinem gewohnten Leben war, von allem, was ich bisher gelebt und geliebt hatte und was mir doch nicht die Erfüllung bieten konnte, wonach sich mein innerstes Wesen so sehr sehnte. In diesem Moment verstand ich nichts mehr. Ich sehnte mich nach Gesellschaft, nach Vertrautem, letztendlich nach Liebe und Verbundenheit, und dann war mir klar, was ich zu tun hatte.
Ich packte meine Sachen und versuchte Santikaro zu erklären, was in mir geschah. Der meinte nur, ich solle mir einen Baum aussuchen und dort ein Blatt beobachten, das sich im Wind hin- und herbewegt. Das versuchte ich drei lange Minuten und machte mich dann auf den Weg zur Hauptstraße.
Dort erwischte ich ein Taxi nach Surat Thani und hatte noch ein paar Stunden Zeit, bis die Nachtfähre ablegen würde. Ich kaufte mir eine Flasche Mekong-Whisky und betrank mich, fand aber noch den Weg zu meinem Platz auf der Fähre, wo ich bald darauf einschlief.
Einige Stunden später wurde ich vom Tuten der Fähre geweckt, packte leicht verkatert meine Sachen, denn in zirka zehn Minuten würden wir in Koh Samui anlegen.
Wieder ein Sammeltaxi, das mich zu ‚meinem‘ Strand brachte.
Anna und ich freuten uns beide sehr, umarmten und küssten uns, und doch klang immer noch im Hintergrund der Abschied mit seiner dumpfen Melodie, ein Abschied, der sich nur etwas verzögern würde.
Nach ein paar Tagen auf Koh Samui fuhren wir gemeinsam nach Bangkok und bezogen ein Hotel. Anna kaufte sich ein Ticket nach New Delhi, und ein paar Tage später brachte ich sie zum Flughafen.
Ich war froh, dass ich diese Entscheidung getroffen hatte und Anna noch mal sah, bevor sie nach Indien aufbrach. Alles zu seiner Zeit – auch die Erleuchtung konnte noch etwas warten.
Zurück nach Suan Mokkh
Am übernächsten Tag war ich wieder auf dem Weg nach Suan Mokkh und kam noch rechtzeitig zum nächsten Retreat. Alles war gut!
Ajahn Po, Ajahn Ranschuan und Santikaro würden ihn leiten. Ich erkannte ein paar vertraute Gesichter, Jean, der ‚blöde‘ Franzose, war auch da, wir freuten uns über das Wiedersehen und so schwang ich mich langsam, leise und freudvoll auf zehn Tage des Schweigens ein.
Als der Retreat zu Ende war, blieb ich.
Ich fuhr nach Chaiya, einem kleinen Ort zirka fünfzehn Kilometer von Suan Mokkh entfernt, mit einem Bahnhof, zwei Hotels, einer Bank, vielen Geschäften, und ließ mir beim ansässigen Friseur die Haare abrasieren. Da fielen sie, meine blonden Locken, im Takte des Rasierers langsam, aber stetig zu Boden, bis ich mich das erste Mal ohne Haare im Spiegel sah.
Es fühlte sich richtig gut an!
Wieder in Suan Mokkh teilte mir Ajahn Po eine echte Mönchshütte zu, die hierzulande Kuti genannt wird. Sie stand auf zirka einen Meter fünfzig hohen Betonstelzen und man erreichte sie über eine Treppe. Die Kuti war aus Holz gebaut und das Dach mit Wellblech gedeckt. Der Innenraum war zirka zweieinhalb mal drei Meter groß und hatte vor der Treppe eine kleine Veranda mit einem Holztisch und einer Holzbank: mein neues Zuhause.
Ich glaube, ich fing langsam an, mich an das Wort ‚glücklich‘ zu gewöhnen, denn anders konnte ich mein Gefühl nicht beschreiben, das sich langsam in mir breit machte, obwohl eine alte Abneigung und eine gehörige Portion Misstrauen diesem Wort gegenüber immer noch im Hintergrund mitschwangen.
Aber war ich nicht hier, um mich zu ‚erneuern‘? Auch um meine Sichtweisen, Meinungen, Vorstellungen und mein festgefahrenes Bewertungssystem in ein neues Licht zu stellen?
Wollte ich nicht mein ganzes dreißigjähriges Leben neu bewerten und überlegen, wie es weitergehen sollte? Gab es irgendeinen Sinn in diesem Leben? Gab es hier irgendetwas zu finden, was wirklich von Wert war? Und viele andere Fragen kamen in mir auf.
Nein, ich hatte den Traum vor meinem ersten Retreat nicht vergessen! Wenn ich mich darauf einließ, fühlte ich immer noch die Hand, die etwas aus meinem Herzen herausriss, und diese unbeschreibliche Leichtigkeit und Freiheit, die ich daraufhin spürte.
Jetzt gab es einen neuen Rhythmus im Kloster und keine geregelten Meditationszeiten.
Als eines Tages Viriya, der bayrische Mönch, wiederkam, organisierte er täglich zwei Meditationssessions für die Westler, die wie ich noch eine Weile im Kloster geblieben waren. Abends wurden ab und zu Kassetten mit Vorträgen abgespielt, und ich schwang mich auf diesen Rhythmus ein.
Morgens, vor dem Frühstück, fegte ich gemächlich, aber sehr achtsam einige Wege und machte mir ein kleines Feuer unter der Hütte, auf dem ich mir heißes Wasser zubereitete. Das war erlaubt, ein kleines Feuer. Was nicht erlaubt war, war Rauchen, und ich muss gestehen, dass ich mir doch ab und zu eine ansteckte.
Die meiste Zeit des Tages lief ich durch den Wald, machte kleine Zeichnungen und übte mich weiterhin in Meditation und Achtsamkeit.
Es gab zwei Begriffe, an denen man in Suan Mokkh nicht vorbeikam: Achtsamkeit und Nicht-Anhaften. Das war es, worauf es hier ankam, und Ajahn Buddhadasa meinte sogar: „Wenn wir die Dinge festhalten und daran anhaften, werden sie zur Quelle des Leids – das ungeschickte Festhalten aufzugeben, ist der Schlüssel zur buddhistischen Praxis.“
Ich liebte diese kurzen, klaren Anleitungen, und so übte ich mich in ihnen.
Ich versuchte wirklich alles zu beobachten und beobachtete auch, wie schnell ich wieder bei irgendwelchen Geschichten aus der Vergangenheit gelandet war. Wie war das noch mal mit der Geduld? Ich brachte die Achtsamkeit immer wieder zurück zu dem, was ich tat, denn alles sollte zur Meditation genutzt werden, und das beschränkte sich nicht nur auf das Sitzen.
Eines Tages lief ich die Wege entlang, es hatte geregnet und ich fand trotzdem ein trockenes Stückchen Holz, um damit Feuer machen zu können. Sehr achtsam beugte ich mich nach vorne, sah, wie die Finger meiner Hand bereit waren, dieses Hölzchen zu greifen, alles in achtsamer Beobachtung, als ich plötzlich verstand, was ich da tat: Ich nahm mir ein Stück Holz, das vorher einmal eine Funktion hatte. Vielleicht war es ein Zweig, an dem Blätter wuchsen und Blüten blühten, manch ein Vogel ruhte sich auf ihm aus, manche Schlange wickelte sich darum herum, abertausende von Regentropfen hatten ihn berührt, die Sonne hatte auf ihn geschienen, der Wind um ihn geweht, und nun lag es hier, direkt vor meinen Füßen, um einer weiteren Bestimmung zugeführt zu werden. Denn bald würde es zu Asche verbrannt werden, der Wind die Asche irgendwo hintragen, und doch ging nichts verloren.
Weiterhin verstand ich die ‚Unschuld‘