Als ich verlor, was ich niemals war. Matthias Dhammavaro Jordan

Als ich verlor, was ich niemals war - Matthias Dhammavaro Jordan


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Bett für sich alleine haben könne, sogar ein eigenes Zimmer, da mein jüngerer Bruder Reinhold, der übergangsweise bei mir wohnte, gerade nicht da war. So machten wir das auch und ein paar Wochen später wurde Anna meine Freundin.

      Irgendwann fragte ich sie, warum sie sich damals zu uns setzte, und sie meinte, wir hätten eine schöne Atmosphäre um uns gehabt und ihr gefielen meine Augen.

      Und während sich alle diese Bilder aus der Vergangenheit vor meinem inneren Auge lebhaft abspulten, musste ich plötzlich lachen und freute mich umso mehr auf Anna.

      Am Nachmittag erreichte die Fähre Koh Samui, das Sammeltaxi brachte mich zum Chaweng Beach, und ich erreichte unsere Bungalowanlage am frühen Abend.

      Anna war in unserer Hütte und döste gerade ein wenig. Wir umarmten uns und freuten uns, einander wiederzusehen.

      „Wie war es?“, wollte sie gespannt wissen, „und hast du eine Antwort auf deine Frage nach dem Sinn des Lebens bekommen?“ Ich versuchte ihr das alles zu erzählen, was mir aber nicht wirklich gelang. Irgendetwas hatte sich jedoch in mir verändert.

      Ich wurde zum ständigen Beobachter meiner Gedanken und erschrak immer öfter bei der Erkenntnis, dass ich viele unbewusste Absichten hatte, von denen ich vorher nichts wusste, sogar bei den trivialsten Alltäglichkeiten.

      Zum Beispiel sagte ich später zu Anna: „Lass uns einen Kaffee trinken.“ Und tief drinnen lauerte die Erwartung, dass sie jetzt losgehen, zwei Kaffee holen und sie herbringen solle. Dann bemerkte ich dieses Auftauchen der vielschichtigen Absichten immer mehr und fast ständig, und ich bekam einen Schreck nach dem anderen. Das war also damit gemeint, dass Achtsamkeit eine klärende Wirkung habe.

      Es klopfte an unserer Tür und ein Italiener stand davor und meinte zu Anna, ob sie Lust habe, Volleyball zu spielen. Nein, hatte sie nicht, oder vielleicht doch? Sie erzählte mir, dass sie die letzten Tage oft Volleyball gespielt hatte. Ich erinnerte mich an den Satz: ‚Wenn du etwas Schönes hast, dann gibt es auch andere, die das schön finden.‘ Den kurzen, eifersüchtigen Gedanken schob ich gleich wieder in seine Ecke und besann mich auf die Gelassenheit, die ich im Kloster entdeckt hatte.

      Am nächsten Morgen war ich, noch im Rhythmus des Klosters, früh wach, ging zum Strand runter, beobachtete die kleinen Wellen, die sanft, aber stetig gegen den Sand rollten, leicht aufschäumten und gefolgt von weiteren Wellen mit ihnen verschmolzen und wieder zurückflossen.

      Während meiner Abwesenheit war eine Gruppe junger Leute aus dem Allgäu angekommen. Ich bemerkte eine junge Frau, die tänzelnd den Strand entlanghüpfte, direkt auf mich zu.

      Sie lachte vor Freude und rief mir mit deutschem Akzent ein „good morning, how are you?“ entgegen. „Good morning“, antwortete ich und meinte, ob sie denn auch aus Deutschland sei. „Yes“, sagte sie, und ich war neugierig, was denn der Grund für ihre Freude war, ob ich denn irgendwo etwas verpassen würde?

      „Wir machen heute einen Ausflug über die Insel, haben einen Jeep gemietet und fahren nachher gleich los.“ Ich wünschte ihr viel Spaß und ging später mit Anna frühstücken.

      Am frühen Abend sah ich dieselbe Frau mit einer Whiskeyflasche in der Hand alleine im Sand sitzen, die Hälfte war schon geleert und Tränen rollten über ihr Gesicht.

      „Was ist denn passiert?“, fragte ich neugierig und etwas besorgt, und sie meinte: „Wir hatten einen so schönen Tag heute und jetzt ist alles vorbei.“

      Ich wollte ihr meine neu gewonnenen Weisheiten über Vergänglichkeit und Unbeständigkeit, über Anhaften und Loslassen nicht aufdrängen, sagte irgendetwas Freundliches zu ihr und ging zurück zu unserer Hütte, wo die folgenden Worte aufs Papier flossen:

      In einer Welt …

      … die ständig auseinanderfällt,

      das ewige Bemühen, den Mangel auszugleichen.

      … und das gezwungene Lächeln,

      das den Schmerz des Menschseins übertünchen soll.

      Was soll’s!?

      Im Gleichschritt der Zeit ein Überdauern der Ewigkeit!?

      Das wär’s.

      Sogar sie ist zu überwinden.

      Aber der Wind bewegt auch weiterhin

      die Blätter – auch die geistigen,

      und sie füllen den Raum.

      Müde Gesichter im Blick nach hinten

      und sorgenvolle in der Schau nach vorne.

      Nichts bleibt zu tun.

      Die Lasten können abgesetzt werden,

      aber niemand scheint es zu interessieren.

      Es ist eine Entscheidung,

      doch worauf kommt es an?

      Das Lachen eines Kindes

      weiß nichts vom Morgen

      und Schokolade

      schmeckt niemals besser als jetzt.

      Liebe und Hingabe ohne zweites Gesicht.

      Das ist die Unschuld eines Kindes.

      Es weiß (noch) nichts

      und hat auch noch nicht vom Apfel

      der zweifelhaften Erkenntnis genascht.

      Die Teufel warten aber schon

      ganz geduldig und ohne Eile,

      und Engel hoffen im Hintergrund.

      Das Locken ist mächtig,

      das Ziehen und Drücken.

      Überall ist alles

      zu sehen, zu hören,

      zu riechen, zu schmecken.

      Beim Abschied, erst dann,

      wird es fade und öde,

      ausgelutscht, zerfallen und spröde.

      Doch dann ist es einfach

      nur das, was es ist.

      Und hier natürlich auch

      das, was es war.

      Was bleibt, wenn alles geht?

      Da lacht die Dunkelkammer

      und öffnet das Licht.

      Heiter soll’s aber auch sein,

      und wenn

      auch nur

      ein wenig.

      So kann’s bleiben?!

      1 Ajahn: bedeutet auf Thailändisch allgemein Lehrer und wird Adschaan ausgesprochen

      2 Dhamma: a. die Lehre des Buddha, b. die Natur und deren Gesetzmäßigkeiten, c. die Wahrheit uvm.

      3 Vipassana: bedeutet klares Sehen

      Bangkok – Tokio – Berlin

      Annas Flugzeug würde in drei Tagen in Bangkok Richtung Tokio abheben. Wir packten unsere Rucksäcke, verabschiedeten uns von unseren Freunden, von Jomana und Garun, die das Restaurant betrieben, und dann machten wir uns mit dem Nachtzug auf den Weg nach Bangkok.

      Wir stiegen im Malaysia Hotel ab, verbrachten den folgenden Tag in Chinatown und den Straßen von Bangkok, den großen Kaufhäusern, machten eine Schifffahrt auf dem Chao-Phraya-Fluss, gingen noch irgendwo essen und am nächsten Abend fuhren wir mit dem Taxi zum Flughafen.

      Es fühlte sich für mich nicht wie ein langer Abschied an, denn wir waren im Laufe unserer Beziehung ja schon öfters einige Monate getrennt und


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