Work-Life-Balance. Uta Kirschten
Bekleidungsindustrie, Automobilindustrie und Handwerk) gehören. Hier lag der Anteil der Erwerbstätigen im Jahr 1950 bei 43%, stieg bis zum Jahr 1965 auf fast 50% der Erwerbstätigen und reduzierte sich bis zum Jahr 2017 auf 24% der Erwerbstätigen. Während der primäre und der sekundäre Sektor in seiner wirtschaftlichen Bedeutung im Zeitverlauf schrumpften, stieg die Bedeutung und damit auch der Anteil der Erwerbstätigen im tertiären Sektor im Zeitverlauf deutlich an. Zum tertiären Wirtschaftssektor (Dienstleistungen) gehören u.a. Handelsbetriebe, Banken und Versicherungen, Verkehrsbetriebe und andere Dienstleistungen. Waren im Jahr 1950 nur ca. 35% im tertiären Sektortertiärer Wirtschaftssektor beschäftigt, stieg ihr Anteil kontinuierlich bis zum Jahr 2017 auf ca. 75% aller Erwerbstätigen in Deutschland.
Der Rückgang der Landwirtschaft ist auf die gestiegene Industrialisierung in Deutschland sowie die Globalisierung zurückzuführen. Der Rückgang des Produzierenden Gewerbes ist ebenfalls auf die steigende Globalisierung und internationale Arbeitsteilung zurückzuführen. So wurden viele arbeitsintensive Produktionsleistungen in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten verlagert. Aber auch die Entwicklung innovativer Automatisierungstechnologien (z.B. Computer, Software, Industrieroboter) sowie die zunehmende Digitalisierung der Produktion bewirkte eine Umstrukturierung der Produktion und einen sinkenden Anteil an industriellen Arbeitskräften. Demgegenüber stieg die Bedeutung des Dienstleistungssektors und die Nachfrage nach Arbeitskräften im tertiären Sektor in den letzten fünfzig Jahren deutlich an (vgl. auch Abbildung 25). Auch hier beeinflusst die steigende Digitalisierung der Wirtschaft die strukturellen Veränderungen. Mit dem Anstieg der Dienstleistungen haben sich auch Berufsfelder und Erwerbsformen verändert und sind neue Berufe entstanden. Während die Bedeutung klassischer Normalarbeitsverhältnisse (sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung) zurückging, stieg der Anteil an Teilzeitarbeit und atypischen Beschäftigungsformen sowie die Erwerbsbeteiligung von Frauen seit den 1970er Jahren. Aktuell stagniert der Anteil des tertiären Sektors auf einem hohen Beschäftigungsniveau. Wie die steigende Digitalisierung der Wirtschaft aber auch der demografische Wandel die Erwerbsbeteiligung in den verschiedenen Sektoren zukünftig beeinflussen und verändern wird, bleibt abzuwarten.
Dienstleistungsbereich wird immer wichtiger. Quelle: Nier, 2019; Abbildung: Statistisches Bundesamt.
Eine weitere wichtige Entwicklung vollzieht sich seit den 1990er Jahren in dem Wandel unserer Gesellschaft und Wirtschaft hin zur Informations- und WissensgesellschaftInformations- und Wissensgesellschaft. Viele Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien haben unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft stark geprägt und verändert. Vor allem durch die Entwicklung mobiler Informations- und Kommunikationstechnologien (z.B. Internet, Handys, Smartphone, Tablet-PC) sowie die zunehmende Digitalisierung entstand ein umfangreicher Informations- und Kommunikationssektor, auf dem Informationen bereitgestellt und gehandelt werden (vgl. Lehner 2008, S. 5). So gewinnen auch Informationsdienstleistungen zunehmend an Bedeutung. Die steigende Wissensorientierung unserer Wirtschaft wird auch daran deutlich, dass sich in den letzten dreißig Jahren viele bedeutsame und stark wissensbasierte Technologien entwickelt haben, wie beispielsweise die Mikro-, Nano- und Lasertechnik, die Gentechnologie sowie die Biotechnologie. Sie alle basieren maßgeblich auf Innovationen und Wissen.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich das Wissen neben Rohstoffen, Arbeit und Kapital als weiterer zentraler Produktionsfaktor etabliert hat. Denn im Zuge der Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaft ist auch die Bedeutung des Wissens für unsere Wirtschaft und Gesellschaft immer größer geworden. Der Anteil der Unternehmen, die wissensintensive Produkte und Dienstleistungen herstellen und anbieten, steigt deutlich. Entsprechend arbeiten auch immer mehr Menschen in wissensintensiven Aufgabenbereichen, wie beispielsweise an der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien, von Soft- und Hardware, der Bereitstellung und Verarbeitung von Daten und Informationen sowie in wissensintensiven Dienstleistungsbereichen. Wertschöpfung wird hierbei insbesondere durch die höhere Produktivität der Ressource Wissen erreicht und nur teilweise auch durch eine höhere Beschäftigung (vgl. Drucker 1998, S. 37 ff.).
WissenWissen ist immer an Personen, einen bestimmten inhaltlichen Zusammenhang sowie an konkrete Handlungen gebunden (vgl. Kirschen 2010, S. 252). In den Unternehmen sind die Mitarbeitenden die Träger des erfolgsrelevanten unternehmerischen Wissens. Zwar kann ein Teil der Wissensbestände in organisationales Wissen umgewandelt werden und dem Unternehmen als Ganzes unabhängig von einzelnen Wissensträgern zur Verfügung stehen, dennoch bleibt die Mehrheit des unternehmensspezifischen Wissens an die Mitarbeiter gebunden. Aufgrund des demografischen Wandels werden in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Damit verbunden ist auch die Gefahr, dass ein erheblicher Anteil des unternehmensspezifischen Wissens mit in den Ruhestand gehen wird. Dieser Gefahr des Wissensverlusts sind sich bislang viele Unternehmen noch nicht ausreichend bewusst. Unternehmen müssen hier Strategien entwickeln, um wichtige Wissensträger möglichst lange im Unternehmen zu halten und frühzeitig geeignete Nachfolgeplanungen sowie Maßnahmen einleiten, um personenbezogene Wissensbestände im Unternehmen zu halten und nutzbar zu machen.
Work-Life-Balance Maßnahmen können dazu beitragen, dass Mitarbeiter länger und motivierter im Arbeitsleben und in ihrem Unternehmen bleiben und auch ihr Wissen an Kollegen und Nachfolger weitergeben. Zusätzlich können sie die Bereitschaft von im Ruhestand befindlichen Mitarbeitern erhöhen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen dem Unternehmen auch über den Ruhestand hinaus für konkrete Projekte oder Probleme zur Verfügung zu stellen, z.B. durch Seniorberatungen. Elementare Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die älteren Mitarbeiter bereits während ihrer Berufstätigkeit vom Unternehmen eine ausreichende Wertschätzung erfahren haben und auch im höheren Alter (50 +) nicht als weniger leistungsfähig, weniger leistungswillig und nur eingeschränkt lernbereit wahrgenommen und eingeordnet werden. Bei der bislang noch vorherrschenden Konzentration vieler Unternehmen auf die jüngeren gut ausgebildeten Nachwuchskräfte und der immer noch in der Praxis verbreiteten Tendenz, ältere Mitarbeiter vorzeitig in den Ruhestand zu schicken, ist das ein wichtiger Ansatzpunkt, um über die eigene Unternehmenskultur und die unterschiedliche Wertschätzung der verschiedenen Mitarbeitergenerationen im Unternehmen nachzudenken.
Die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft verändert auch die Anforderungen und Aufgabenbereiche vieler Erwerbstätiger. Neue Berufe entstehen, neue Technologien benötigen veränderte Qualifikationen der Beschäftigten und die schnelle Veralterung bestimmter Wissensbestände erfordert regelmäßige Lernprozesse und Weiterbildungsmaßnahmen der Mitarbeiter. Unter dem Begriff „lebenslanges Lernenlebenslanges Lernen“ wird diese Problematik seit gut zehn Jahren intensiv in der Theorie und Praxis diskutiert (vgl. z.B. Loos 2017; Schönherr/Tiberius 2014; Hof 2009; Dewe/Weber 2007). Die von der erwerbsfähigen Bevölkerung geforderte Bereitschaft zum lebenslangen Lernen erstreckt sich nicht nur auf betriebliche Weiterbildungen, die von den Unternehmen finanziert werden, sondern auch auf private Investitionen in zusätzliche Qualifikationen, z.B. durch ein berufsbegleitendes Studium oder privat finanzierte berufsergänzende Weiterbildungen (z.B. Sprachen, Computerkurse etc.). Neben den finanziellen Kosten erfordert ein lebenslanges Lernen auch Zeit und bedarf der Abstimmung mit den verschiedenen individuellen Lebensbereichen. Hier können Unternehmen durch geeignete Work-Life-Balance-Maßnahmen ihre Mitarbeiter bei der Vereinbarung von Qualifikationsmaßnahmen mit anderen beruflichen und individuellen Aufgabenbereichen unterstützen.
2.3.2 Steigende Internationalisierung der Wirtschaft und globale Wertschöpfungsketten
Immer mehr Unternehmen erweitern ihre internationale Geschäftstätigkeit. Die Bandbreite internationaler Unternehmenstätigkeit ist vielfältig, dazu gehören können Exporte in verschiedene Länder, internationale Lieferbeziehungen, eine internationale Projektzusammenarbeit oder Forschungskooperation, Joint Ventures oder der Aufbau eigener Tochterunternehmen in anderen Ländern. Unterstützt durch eine weltweite Vernetzung über I+K-Technologien, vielfältige, auch schnelle Transport- Logistik- und Reisemöglichkeiten, aber auch durch den Wunsch bzw. die wettbewerbsorientierte Notwendigkeit zur Erschließung neuer Märkte und zur Rohstoffsicherung schreitet die Entwicklung hin zu einer globalen Wirtschaft schnell voran.
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