Unsterblich?!. Werner Huemer
älter. Knapp drei Wochen nach dem Eingriff starb er.
Und doch stieß diese Transplantation in der Medizin eine Türe auf, durch die bald Dutzende, Hunderte, Tausende Chirurgen auf der ganzen Welt drängten.
Zunächst führte deren Weg in eine rechtliche Grauzone. Denn medizinisch war klar: Das Herz (oder ein anderes Organ) einer klassischen Leiche ist für eine Transplantation unbrauchbar.
Ein Körper, der in Ruhe „sein Leben aushaucht“ und dem dann vielleicht noch ein paar Tage Totenruhe gestattet sind, ist als Spender nicht geeignet. Nur mit „frischen“ Organen aus Körpern, die bis zur Entnahme noch durchblutet sind, hat eine Transplantation Aussicht auf Erfolg. Weiterhin war klar, dass jeder Patient, der maschinell am Leben gehalten wurde, im Zuge der Explantation stirbt. Demnach hätte man allen Transplantationschirurgen, rechtlich betrachtet, Tötungen vorwerfen können – nicht aber, wenn die potentiellen Organspender schon vor dem Eingriff als Leichen gelten.
Die Hirntod-Definition gewährleistet das. Sie geht zurück auf eine Kommission aus Ärzten, Juristen und Ethikern, die 1968 in Harvard zusammentrat und ein nicht mehr umkehrbares Koma als „Tod des Menschen“ definierte. Damit wurde in den USA der Todeszeitpunkt zugunsten der Transplantationsmedizin vorverlegt. Europa zog rasch nach. Man einigte sich – ohne spezielle Studien durchgeführt zu haben – am runden Tisch auf eine moderne Todesdefinition zugunsten der Organempfänger.
Allerdings gehen die Meinungen darüber, ob der Hirntod wirklich zuverlässig mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist, bis heute auseinander. Dem medizinischen Mainstream, der praktisch ohne Wenn und Aber für Organspenden wirbt, stehen Kritiker gegenüber, die unermüdlich auf Grauzonen hinweisen:
• Das Hirntod-Kriterium sei keine medizinische Gewissheit, sondern eine willkürlich festgelegte Grenzlinie, eine Art medizinische Verabredung.
• Der Mensch könne nicht auf seine Gehirnfunktionen reduziert werden. Jener Zusammenbruch des Organismus, der als Tod bezeichnet wird, zeige sich nicht nur an einem Organ, sondern durch den Stillstand aller Wechselwirkungen im gesamten Körper.
• Der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen lasse sich nicht mit letzter Sicherheit diagnostizieren.
• Es sei nicht endgültig erwiesen, dass hirntote Menschen keine Empfindungen haben. Forschungen an Koma-Patienten hätten gezeigt, dass diese Patienten auf äußere Ereignisse und soziale Stimuli (zum Beispiel auf Besuche von Verwandten) reagieren können.
Leben erhalten um jeden Preis
De facto sind Organspender so etwas wie lebende Leichen. Denn einerseits haben sie keine Patientenrechte, weil sie ja als tot betrachtet werden. Andererseits werden ihnen aber auch keine Totenrechte zugestanden. Sie dürfen nicht in Würde sterben, weil ihre Organe ja verwertet werden sollen.
Ihr Gehirn gilt als tot, ihre Person als erloschen, der „Restkörper“ (in Fachkreisen auch als „Herz-Lungen-Paket“ bezeichnet) jedoch als lebend. Bis er im Zuge der Explantation auf ziemlich brutale Art getötet wird.
Zwar spricht der „Transplantationskodex der Arbeitsgemeinschaft Organtransplantation“ von der Würde des Verstorbenen während der Organentnahme und von einer achtungsvollen Behandlung des Leichnams. Aber wie sieht diese in der Praxis aus? „Versuchen Sie sich diesen ‚menschenwürdigen’ Akt einmal vorzustellen“, rät Dipl.-Psych. Roberto Rotondo im Buch „Sterben auf Bestellung – Fakten zur Organentnahme“. „Immerhin können bei einer Multiorganentnahme Hornhäute, Innenohren, Kieferknochen, Herz, Lungen, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse, Magen, Knochen, Bänder und Knorpel, Haut, Adern und Knochenmark entnommen werden.“
Roberto Rotondo zitiert in der Folge auch die Aussagen von Pflegekräften, die den routinemäßigen Ablauf von Organtransplantationen schildern und sich dabei über viele Details – wie zum Beispiel die großen Flüssigkeitsmengen – auslassen, die bei einem solchen Eingriff anfallen. Und er kommentiert: „Diese Pflegekräfte kennen sehr blutige Operationen aus anderen Zusammenhängen und können in diesem Arbeitsbereich mit Blut umgehen. Wenn dann im Zusammenhang mit einer Organentnahme der Begriff ‚Schlachtfeld‘ verwendet wird, dann stellt zumindest diese Pflegekraft selbst den Bezug zum Schlachten her.“
In dem Buch „Sterben auf Bestellung“ kommt auch eine ehemalige Fachschwester für Anästhesie und Intensivmedizin an der Uni Düsseldorf, Liliana Sitar, zu Wort. Sie berichtet, dass Hirntote auf ihrer Station genauso betreut wurden, wie andere Hirnverletzte auch. Sie wurden durch Infusionen ernährt, die Blutwerte wurden kontrolliert, ebenso der Blasenkatheder für die Urinausscheidung, der Schweiß wurde ihnen abgewischt und Medikamente für die Muskelentspannung wurden verabreicht, damit sich die für tot Erklärten, wenn sie auf dem Weg zum OP-Saal an den Verwandten vorbeigefahren wurden, nicht bewegten.
Liliana Sitar berichtet über eine solche „letzte Fahrt“: „Alles, was ich an dem Patienten sah, war sein lebendiger Körper. Der war warm. Der atmete. Der schwitzte. Das tote Gehirn sah ich nicht. Ich hab’ weiter mit dem hirntoten Patienten geredet. Hab’ ihm genau erklärt, was ich gerade an ihm mache. Dass er zur Organentnahme in den Operationssaal gefahren wird, das hab’ ich allerdings nicht über die Lippen gebracht.“
Als Liliana Sitar zum Schluss kam, sie könne es nicht länger verantworten, Menschen in ihrem Sterben zu stören, wechselte sie den Arbeitsplatz.
Die Transplantations-Praxis fordert das Pflegepersonal ganz besonders. Denn während die Chirurgen sich im wesentlichen auf ihre Arbeit an den Organen konzentrieren, erleben Pflegerinnen und Pfleger den Menschen, den sie betreuen – bis zu seinem Ende im OP-Saal. Wo die Hirntoten übrigens ruhig gestellt oder narkotisiert werden, weil es sonst während des Eingriffs zu unberechenbaren Bewegungsreaktionen kommen könnte. Denn sobald der Chirurg das Messer ansetzt, reagiert der Tote.
Einer der Kritiker, die sich seit vielen Jahren für mehr Transparenz im Bereich der Organtransplantation einsetzen, ist der Düsseldorfer Wissenschaftsjournalist Richard Fuchs, der das „Dokumentationszentrum Organtransplantation“ gründete. In einem Beitrag mit dem Titel „Hirntod made in USA“ beschreibt er den Hirntod als „Geschäftsgrundlage der Transplantationsmedizin“. Diese sei medizinisch eine Sackgasse und sorge durch die extrem hohen Kosten dafür, dass die Finanzierung unseres Gesundheitssystem längerfristig auf dem Spiel stehe.
Auch in der Ärzteschaft gibt es Kritiker. So formulierte beispielsweise der Duisburger Mediziner und Psychiater Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsund Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags bereits im Juni 1995: „Erstaunlich an der jetzigen Situation ist eigentlich nur, dass wir alle – einschließlich der Bundesärztekammer, der Kirchen und der Ethikkommissionen – 25 Jahre brauchten, um zu erkennen, dass wir uns hinsichtlich der Hirntod-Definition auf einem Irrweg befunden haben, ein Irrweg, der eigentlich mit logischem gesunden Menschenverstand leicht zu erkennen war, weshalb auch jetzt diejenigen Vertreter des Souveräns, die ‚näher dran sind‘, signalisieren, dass sie nicht mehr bereit sind, diesen Irrweg weiterzuge hen.“ Und außerdem sagte Dörner bei dieser Gelegenheit klipp und klar: „Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen. Dies ist – so peinlich das klingt – auf jeder logischen Ebene zu begründen.“
In ihrem Buch „Ungeteilt sterben – kritische Stimmen zur Transplantationsmedizin“ ließ Dr. Gisela Lermann als Herausgeberin Fachleute und Betroffene zu Wort kommen, etwa den Neurochirurgen Dr. Andreas Zieger. Er sagt: „Transplantationsmedizin ist der ästhetisch und moralisch am meisten verkommene Teil der modernen Chirurgie und Medizin.“
Eine solche Bemerkung ist natürlich hochgradig brisant. Denn unter dem Aspekt der Nächstenliebe wird die Transplantationsmedizin bis heute als über alle Zweifel erhaben hilfreich und gut dargestellt.
In einem Gespräch berichtete mir Dr. Lermann denn auch wenig überraschend, dass es Stimmen gibt, „die die Autoren vehement angreifen. Das stimmt um so nachdenklicher, als manchmal überhaupt nicht auf deren Sachargumente eingegangen, sondern den Leuten einfach die Kompetenz abgesprochen wird, etwas zum Thema sagen zu können.“
Das wahrscheinlich beste wissenschaftliche Buch zum Thema – heute eine kostbare Rarität – verfassten