Management 4.0 – Vorbereitung auf die Zukunft. Klaus Fetka
reagiert oder agiert. In der Start-up-Industrie würde man auf das Team setzen, das für eine Idee brennt, und sei sie noch so außergewöhnlich und unvorstellbar. Es geht um den Glauben an diese Idee und das Vertrauen darauf, dass die Leute, die vor den Investoren stehen, wissen, was sie tun, die Besten ihres Faches sind, den finanziellen Input des Investors gut nutzen und den Wert des jungen Unternehmens mehren. Beide Beispiele verdeutlichen, dass Vertrauen, Augenmaß und das Erkennen des Sinns im Tun die Währung hinter jeder Entscheidung und Tätigkeit ist. Wir sind überzeugt davon, dass die Wirtschaft von dieser Art des unternehmerischen und eigenverantwortlichen Arbeitens sehr viel lernen kann. Was so viele Unternehmen daran hindert? Wir nennen es Pfadabhängigkeit. Menschen wollen verändern, aber sie wollen nicht verändert werden. Viele unternehmerische Veränderungsaktivitäten scheitern daran, dass die Betroffenen emotional nicht mitgerissen werden, und an der erdrückenden Bürokratie unserer Kontrollmechanismen. Der Wirtschaft ging es schon besser und trotzdem scheint es, dass wir den Status quo mit allen Mitteln erhalten wollen, ohne zu realisieren, dass wir nicht um notwendige Veränderungen herumkommen werden, wenn wir unseren Wohlstand erhalten und Wertschöpfung sicherstellen wollen – egal ob im Bildungsbereich, bei Pensionen und erworbenen Rechten bis hin zu den Unternehmen und den dort befindlichen Arbeitsplätzen. Die Macht eingefahrener Bahnen, Gewohnheiten und nicht zuletzt die Macht der Bequemlichkeit ist enorm: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen.“ „In Summe geht es uns nicht schlecht.“ „Passt schon.“
Management ist Anpassungsarbeit
Wir müssen adaptiv sein, bereit zu reagieren und zu verändern, sobald eine Entwicklung beginnt, die unseren Erwartungen oder Prognosen widerspricht. Der Planungshorizont der meisten Unternehmen erstreckt sich hingegen maximal bis zur nächsten Bilanz und auch der Faktor Arbeit wird lediglich als Kostenfaktor im Rahmen der Budgetierung – also für maximal ein Jahr – berücksichtigt. Unternehmen, die sich die Frage stellen, ob den Mitarbeitern die Arbeit, das Umfeld, die Bedingungen Spaß machen und ob ihre Mitarbeiter Sinn in der getätigten Leistung sehen und gemäß ihren Talenten eingesetzt sind, sind die Ausnahme. Es gibt Studien, die belegen: White-Collar-Mitarbeiter (also die Angestellten) haben andere Sorgen und Erwartungen an ihr Unternehmen als Blue-Collar-Mitarbeiter(die Mitarbeiter in den Werkstätten und im produktiven Bereich). Dem Mitarbeiter am Fließband ist Geld eher wichtig als weniger wichtig und es ist ihm wichtig, dass er als Alleinerzieher seine Familie gut ernähren kann. Ein sogenannter White-Collar-Mitarbeiter hingegen erachtet ganz andere Faktoren als wichtig. So schwer vorstellbar und exotisch ist das gar nicht. Dennoch: Passgenaue Wertschätzung in allen ihren Ausprägungen verliert immer mehr an Bedeutung und stolze Vorgaben in Leitbildern und Geschäftsgrundsätzen werden so sukzessive ausgehöhlt. Jede Firma und jede Führungskraft hat die Mitarbeiter, die sie mit ihrem Handeln verdient. Menschen werden so, wie wir sie in unserer Rolle als Vorbilder, Eltern oder auch Führungskräfte werden lassen.
Die Macht verschiebt sich
Eine zunehmende Machtverschiebung höhlt zusätzlich die eingesessene Idee von mächtigen Führungskräften und demütigen Mitarbeitern aus. Die Balance der Macht zwischen Mitarbeitern und Führungskräften hebt sich zunehmend auf. Mitarbeiter haben sich nicht etwa von heute auf morgen von reinen Befehlsempfängern und Untergebenen zu Kunden und Partnern entwickelt, die von ihren Vorgesetzten Führungsverantwortung, Personalentwicklung und optimale Arbeitsbedingungen einfordern. Trotzdem wird dieses rückgängige Abhängigkeitsverhältnis in den meisten Unternehmen immer noch ignoriert, oder ebenso wie das Thema Migration eventuell noch gar nicht richtig registriert und wahrgenommen. In den Monaten, in denen dieses Buch entstand, war das Thema Migration und Zuwanderung aufgrund der Flüchtlingswelle aus vielen Kriegsgebieten permanent in Diskussion. Die Frage kam auf, wie diese Menschen später in den europäischen Alltag und in die Arbeitswelt integriert werden können. Nun, die Frage kommt Jahre zu spät, denn Migration ist in den meisten Unternehmen längst ein Teil des Arbeitsalltags geworden, aber kaum ein Unternehmen beschäftigt sich wirklich damit. Wenn Unterschiede hochkochen, wird reagiert: Dann gibt es bei der Weihnachtsfeier zusätzlich zum Schnitzel auch Koscheres oder etwas mit Lamm; dann werden die Toiletten wieder auf die Bedürfnisse muslimischer Mitarbeiter zurückgebaut – anstatt sich mitten im Zeitalter der Migration mit den Bedürfnissen von Menschen verschiedener Ethnien zu beschäftigen, die sich in nie da gewesenem Maßstab miteinander vermischen.
Hilflosigkeit beim Finden von Lösungen
Natürlich gibt es keine leichten und schnellen Antworten auf alle diese Fragen, aber wenn man sich nicht mit diesen Fragestellungen beschäftigt, passiert das, wovor wir uns alle fürchten und das, was vielfach bereits zur Realität geworden ist: Das Problem ist da und wir stehen ihm weitgehend unvorbereitet gegenüber. „Unser bisheriges Asylsystem ist auf einen solchen Andrang nicht vorbereitet“, hieß es, als die Flüchtlingsströme nicht mehr zu ignorieren waren. Monate später gibt es immer noch keine konkreten Zahlen aus den zuständigen Ministerien. Aber eines wissen wir: die Entscheidungsträger Europas verlangen „Bemühungen zur Integration anerkannter Asylbewerber “ und gleichzeitig – selbstverständlich; vor der Wahl ist nach der Wahl – fordern wir von diesen Asylwerbern und Migranten, die „hier geltenden Gesetze und Regeln anzuerkennen“. Willkommenskultur versus Anerkennungskultur. Im Austausch sozusagen. Da wünschen wir viel Vergnügen bei der Umsetzung im Unternehmensalltag. Wir tragen schwer daran, dass im Inneren noch immer gerne moralische Aufträge formuliert werden, welche sich aus unserer Geschichte herleiten und unsere politische Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Nirgends wird das gerade während des Entstehens dieses Textes so deutlich wie in der europäischen, insbesondere der deutschen und österreichischen Migrationspolitik. Das weitestgehende Ausbleiben eines Krisenmanagements ist aber auch das Resultat eines bislang krisenfreien Agierens. Wer ständig nur Schönwetter hat, wird bei Sturm hilflos sein – wie eben auch der Verwaltungsapparat, dessen Managementverständnis auf Akten- und Regelmäßigkeit beruht. Nicht Dekadenz oder Ökonomisierung stellen unsere großen Probleme dar, sondern das sture Festhalten an Dogmen, die Erstarrung unserer Herrscherkaste. Die Adaptivität entscheidet über die Kontinuität eines Gesellschaftsmodells, nicht eherne Gesetze von Werden und Vergehen.
Die Suche nach dem Sinn
Wenn wir Menschen Sinn gefunden haben und Sinn in einer Sache erkennen können, sind wir zu höchsten Leistungen, wenn es sein muss auch zu Opfern, bereit. Es ist Sinn, woraus die Kraft kommt, die Menschen brauchen, wenn die Motivation aufgebraucht, das Ziel aber noch nicht erreicht ist. Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie, war eine Formulierung die Viktor Frankl in Anlehnung an Friedrich Nietzsche häufig gebraucht hat. Wenn umgekehrt kein Warum mehr erkennbar ist, wenn der Mensch keinen Sinn mehr sieht, ist er nicht mehr zu Leistung und Verzicht bereit. Nicht selten führt dieser Zustand zu Resignation und Depression, von wo aus es nicht mehr weit ist hin zu suizidalen Gedanken oder gar zum Selbstmord. Sinn, so Viktor Frankl, kann nicht gegeben, schon gar nicht kann er gemacht werden. Sinn muss gefunden werden. Sinnmacher, Sinngeber, Sinnstifter zu sein, wird von vielen Führungskräften zeitgeistkonform, aber in Unkenntnis des Werkes von Viktor Frankl gefordert. Bei der Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls sind Selbsttranszendenz und Selbstdistanzierung zentrale Begriffe. Ersteres meint den hohen ethischen Wert der Hingabe an eine Aufgabe oder Person, letzteres das humorvolle Absehen von sich selbst. Zwei von der Selbstdistanzierung abgeleitete, sehr nützliche Techniken zum Umgang mit körperlichen Symptomen sind die Paradoxe Intention und die Dereflexion. Neurologische Ausfälle – beispielsweise lässt einen das Namensgedächtnis häufig im Stich – werden bei der Paradoxen Intention gekontert, indem man sich vornimmt, Weltmeister in dieser Disziplin zu werden, hier Weltmeister im Vergessen von Namen. Und meist tritt als paradoxer Effekt dieser Intention der neurologische Ausfall dann doch nicht ein, man erinnert sich an den Namen. Der Patient wünscht sich unter psychotherapeutischer Anleitung paradoxerweise exakt das herbei, wovor er sich fürchtet. Die Dereflexion hingegen fordert einen auf, das störende Symptom möglichst nicht zu beachten, an ihm vorbeizudenken und auf ein besseres, lohnenderes Ziel gerichtet zu bleiben – und siehe da, das Symptom verschwindet. Allgemein hilft logotherapeutisches Gedankengut unter anderem dabei, Leiderfahrungen mit Geduld und Tapferkeit zu ertragen:
„Das