Die Revolverreiter von Dodge City: Western Bibliothek 10 Romane. Pete Hackett
die Banditengäule aus einer versteckten Mulde in der Nähe des Herdencamps. Dann schickten sie Jim Kinross und seine restlichen Leute mit den Verwundeten und Toten zu Fuß in die Nacht hinaus, in der Hoffnung, dieses Desperadogesindel, das Menschenjäger spielte, für immer abgeschüttelt zu haben.
Schweigend schauten sie den schimpfend abziehenden Desperados nach. Plötzlich ließ eine laute krächzende Stimme die Cowboys herumfahren.
„Wie in Missouri! Genau wie damals in Missouri, als ich noch ein junger Hüpfer war!“
Old Mike Tipstone hatte sich auf der zertrampelten Grasfläche hochgesetzt. Er hielt beide Hände gegen den schmerzenden Kopf gepresst, aber sein ledernes Gesicht war in tausend Lachfalten zersprungen.
*
In dünnen Schnüren strömte der Regen aus der tintigen Schwärze, die sich über die Prärie gebreitet hatte. Der Boden hatte sich in Morast verwandelt. Bei jedem Huf tritt war ein schmatzendes Geräusch zu hören.
Müde, mit hochgezogenen Schultern saß Rick Carney im Sattel. Das Wasser sammelte sich in seiner Hutkrempe und tropfte monoton auf den Regenumhang herab. Die Herde, an deren Flanken er Wache ritt, war nur als pechschwarze Masse in der Nacht zu erkennen.
Carney blickte auf, als ein Reiter vom Camp herüber auf ihn zukam. „Wer ist da?“
„Ich bin es, Rick – Torrence!“, kam die gedämpfte Antwort durch das Platschen der Hufe.
Gleich darauf zügelte der Vormann neben ihm sein Pferd. Er wischte sich den Regen aus dem Gesicht. „Ich löse dich ab, Junge. Später kommt Dillon an die Reihe. Sag ihm Bescheid.“ Torrence wartete darauf, dass sich Carney entfernte. Der junge Cowboy zögerte. Torrence schaute ihn aufmerksam von der Seite an.
„Gibt es was, Rick?“
„Yeah!“, Carney räusperte sich und fingerte nervös an den Zügeln. „Ich muss mit dir reden, Lee. Wegen Williams.“
Torrences Schultern zogen sich noch mehr nach vorne. Sein kantiges Gesicht wurde ausdruckslos. Carney merkte nicht, dass der Vormann unter seinem Regenumhang zum Kolben des Revolvers tastete.
„Nur zu, Rick!“, murmelte Torrence leise.
„Ich kann mich doch auf dich verlassen, Lee, oder?“
„Natürlich, mein Junge!“
„Und außerdem ist Williams ein alter Feind von dir.“
„Ja, ja! Schieß los, Rick!“
Carney beugte sich im Sattel zu Torrence hinüber. Seine blauen Augen flackerten, als er heiser hervorstieß: „Williams ist ein Mörder, Lee! Er wird steckbrieflich in ganz Texas gesucht!“ Eine Weile saß Torrence ganz steif auf. seinem Pferd, den Blick unverwandt auf den jungen Reiter geheftet. Schließlich fragte er langsam: „Woher weißt du das?“
Carney schluckte, zögerte und brachte mit abgewandtem Kopf hervor: „Von Kinross!“
„Kinross?“ Torrence pfiff leise durch die Zähne. „Hast du ihm den Tipp gegeben, wie er Williams schnappen könnte?“
„Er zwang mich dazu. Ich hätte keine andere Wahl, Lee!“, erklärte Carney heftig. „Ich musste es …“
„Schon gut, schon gut, mein Junge! Ich hab’ dir keinen Vorwurf gemacht, oder? Und – du bist sicher, dass Kinross nicht gelogen hat?“
„Absolut sicher!“, nickte Carney schnell. „Ich hab’ den Steckbrief gesehen, Lee. Zweitausend Dollar – tot oder lebendig. Unten im Big Bend am Rio Grande hat er einen Mann erschossen, den Bruder eines reichen Ranchers.“
In Torrences Augen stand ein lauerndes Glitzern. Mit gespieltem Grimm erklärte er: „Das überrascht mich nicht! Dieser Halunke Williams war schon immer ein ganz durchtriebener Halunke!“ Dann legte er eine Hand auf Carneys Knie und schaute dem Cowboy durchbohrend ins.Gesicht.
„Warum hast du bisher geschwiegen, Rick? Die Sache mit Kinross liegt doch jetzt schon drei Tage zurück!“
Carney bewegte unbehaglich die Schultern.
„Wir waren bisher in offenem unbesiedeltem Land. Was sollte ich schon gegen Williams unternehmen? Jetzt aber sind wir nur noch ein paar Meilen von Fort Worth entfernt.“ Er deutete zu den gelben Lichtpunkten hin, die matt durch den Regenvorhang schimmerten.
„Es gibt dort einen Sheriff, Lee!“
„Und außerdem“, lächelte Torrence schief, „willst du die Belohnung gern allein einstreichen, wie?“
„Wir könnten teilen, Lee! Wir beide! Aber ich sehe nicht ein, auch den anderen noch etwas davon …“
Torrence lachte leise. Carney schaute ihn fragend an.
„Was denkst du, Lee? Machst du mit? Er ist doch dein Feind! Dies ist die beste Gelegenheit, um ihn …“
„Und was werden die anderen sagen? Miss Mary, Old Mike und Dillon? Sie halten eine ganze Menge von Williams, scheint mir.“
„Er ist ein Mörder, Lee!“, wiederholte Carney mit gefurchten Brauen.
„Und Fort Worth ist die letzte Niederlassung auf dem Trail nach Dodge City.“
„Wir könnten ja auch warten, bis wir in Dodge sind.“ Torrence blickte Carney lauernd an.
Der schüttelte, den Kopf. „Dodge? Bis dahin sind wir mindestens noch sieben Wochen unterwegs, Lee. Eine Zeit, in der viel passieren kann. Ich will kein Risiko eingehen, verstehst du? Zweitausend Dollar sind eine zu große Menge Geld, um sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.“
„Du willst also den Sheriff aus Fort Worth holen?“
„Genau!“
„Dazu brauchst du mich doch nicht. Warum hast du mich verständigt?“
„Williams könnte Verdacht schöpfen, wenn der Sheriff anrückt. Es ist gut, wenn ein Mann im Camp ist, der Bescheid weiß und ihn aufhält. Also, wie ist es, Lee?“
„Wenn ich nicht mitmache – würdest du dann alleine reiten?“
„Auf alle Fälle! Aber ich hoffe …“
„Schon gut, Rick! Du kannst dich auf mich verlassen! Sieh zu, dass du mit dem Sheriff vor meiner Wachablösung zur Stelle bist.“
„Darauf kannst du dich verlassen!“ Carney nickte dem Vormann mit blitzenden Augen zu, dann spornte er sein Pferd an und ritt in Richtung der gelben Lichtpunkte in die Prärienacht hinein.
Torrence spähte ihm aus engen Augen nach. Er rieb sich nachdenklich das kantige Kinn, dann straffte er in jäher Entschlossenheit die Schultern. Er trieb seinen Gaul von der ruhenden Herde weg tiefer in die Nacht hinein. Ein Blick zum Camp zurück bewies ihm, dass dort alles ruhig war.
Unter den ausladenden Ästen einer einzelnen alten Sykomore hielt er an. Der Regen rauschte auf das volle Blattwerk. Unter dem Baum war es verhältnismäßig trocken.
Torrence legte die Hände trichterförmig vor den Mund. Gleich darauf schallte ein klagender Käuzchenruf durch die Regennacht. Torrence wartete eine halbe Minute, dann wiederholte er das Signal. Erst nach dem dritten Mal kam die Antwort aus der Dunkelheit. Wenig später schälte sich die Gestalt eines Reiters aus der Finsternis.
„Zum Teufel, Lee! Bei diesem Hundewetter könntest du mir schon meine Ruhe lassen, verdammt noch mal!“
„Hör zu, Brod“, sagte Torrence hastig, „ich habe eine Aufgabe für dich.“
„Noch in dieser Nacht?“
„Ja, Brod!“
„Du freust mich!“, knurrte der Bandit. „Und ich war heilfroh, dass ich endlich ein trockenes Plätzchen zum Übernachten gefunden habe.“ Er schüttelte ärgerlich den Regen vom Hut. „Also, was gibt es?“
„Der junge Carney ist nach Fort Worth unterwegs, um den Sheriff