Die Slowakei und NS-Deutschland. Ludovit Hallon
die Slowakei nur mit ungefähr 20 km an dem Donaustrom Anteil hat, so gehört sie doch – auf Grund ihrer geographischen Lage im Donau-Karpatenraum wie auch dank ihrer Geschichte – zu den Donauländern und Südosteuropas …“20 Auch in der Monografie „Die deutsche Wirtschaft und Südosteuropa“ von 1939 über die Bedeutung und Nutzung des Potenzials Südosteuropas für den Bedarf Deutschlands wird die Slowakische Republik unter den sieben Ländern Südosteuropas genannt. Der Autor verweist auf das Reichtum der Slowakei an Wäldern, an Buntmetallen, besonders an Antimon und Eisenerz, als auch auf den großen Anteil an landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Er schloss daraus, dass künftig insbesondere die Verarbeitung von Holz zu Zellulose und Viskosefasern unterstützt und der Erzbergbau mit Schwerpunkt auf die Förderung von Erzen mit Gehalt an Nichtmetallen erweitert werden sollten. Angesicht des Mangels an Kohle empfahl er jedoch zugleich, anstatt der Entwicklung des slowakischen Hüttenwesen primär aufbereitetes, geröstetes Erz ins Deutsche Reich auszuführen. Die weiteren Rohstoffquellen in der Slowakei sollten landwirtschaftlicher Natur sein.21
Der Charakter der slowakischen Wirtschaft näherte sich Ende der 1930er Jahre dem der südosteuropäischen Agrarländer an. 1938 beschäftigte die slowakische Landwirtschaft etwa 54% aller Erwerbstätigen, während die Industrie nur einen 21%-igen Anteil hatte. Gerade in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gelang es der Slowakei, die andauernde Stagnation der Industrialisierung zu überwinden. Der Ausbau der Infrastruktur, insbesondere des Eisenbahnnetzes und der Straßen, wie auch die Elektrifizierung wurden beschleunigt und neue Investitionen flossen in die slowakische Industrie. Beide Trends standen mit dem Verteidigungsbedarf des Landes in Verbindung. Nach der Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation zog die Slowakei zugleich Investoren an, wozu die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte beitrug.22
Die industrielle Entwicklung der Slowakei war nach der Erklärung der Autonomie im Oktober 1938 relativ positiv. Negative Konsequenzen hatte jedoch der anschließende Wiener Schiedsspruch im November 1938, der für die Slowakei einen Verlust von etwa ein Drittel der fruchtbarsten Böden und von beinahe einem Fünftel des Industriepotenzials, insbesondere in den südlichen, an Ungarn abzugebenden Regionen, bedeutete. Ein weiteres Problem der nun autonomen Slowakei mit eigenem Haushalt und eigenen Wirtschaftsministerien war das Defizit an Staatsfinanzen, das im für 1939 aufgestellten Staatshaushalt 1,2 Mrd. Kč (Tschechoslowakische Kronen) betrug. Für die Slowakei gab es aus dieser Krise zwei Auswege. Sie konnte sich entweder hilfesuchend an die Zentralregierung in Prag oder an NS-Deutschland wenden. Damit wurde die Zusage Deutschlands, wirtschaftliche Hilfe unter der Voraussetzung zu leisten, dass die autonome Regierung die von deutschen Vertretern gestellten Forderungen zu staatsrechtlichen Fragen erfüllt und die absolute Unabhängigkeit des Slowakischen Staates anstrebt, zum bedeutenden Ausgangspunkt der weiteren politischen und staatsrechtlichen Entwicklung der Slowakei. Dies entsprach den Interessen Deutschlands nach Expansion. Wirtschaftliche Aspekte trugen demnach im März 1939 zu den staatsrechtlichen Änderungen, die zur absoluten Unabhängigkeit der Slowakei führten, erheblich bei.23
Göring als Hauptkoordinator der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands verkündete bereits im Oktober 1938 das Vorhaben, die Slowakei in den Vierjahresplan einzubinden. Diese Ziele bestätigte er auch gegenüber Ferdinand Ďurčanský24 und Alexander Mach, Vertreter des radikalen Regierungsflügels der autonomen Slowakei, bei ihrem Besuch in Berlin am 12. Oktober 1938.25 In den nachfolgenden Monaten fanden mehrere bedeutende deutsch-slowakische Verhandlungen zur Konzeption der gemeinsamen wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter Teilnahme von Keppler statt. Sie erreichten ihren Höhenpunkt am Vorabend der Auflösung der zweiten ČSR Anfang März 1939 beim offiziellen Besuch der Delegation slowakischer Volkswirte unter Mikuláš Pružinský, dem Wirtschaftsminister, in Berlin auf Görings persönliche Einladung. Die Vertreter Deutschlands bestätigten ihr großes Interesse an Bodenschätzen und Lebensmittelressourcen der Slowakei. Auch Lieferungen von halbfertigen Produkten und einiger industrieller Erzeugnisse seien für die deutsche Industrie von Bedeutung. Keppler interessierte sich besonders für die Ölwirtschaft. Im Rahmen der Verhandlungen schloss er mit der slowakischen Delegation am 2. März 1939 eine vorläufige Vereinbarung über die Erschließung von Erdöllagerstätten und die Nutzung der Verarbeitungskapazitäten für Erdöllieferungen nach Deutschland. Desgleichen initiierte er eine systematische geologische Suche nach Rohstoffen in der Slowakei, die anschließend durch die Reichsstelle für Bodenforschung wie auch weitere deutsche Institutionen und Körperschaften durchgeführt wurden.26 Die deutsche Regierung versprach der slowakischen Regierung Hilfe und wirtschaftliche Unabhängigkeit von der Zentralregierung der Tschechoslowakischen Republik unter der Voraussetzung der vollständigen Eingliederung der Slowakei in die wirtschaftlichen und politischen Pläne des entstehenden Dritten Reiches. Die komplizierte wirtschaftliche Lage der Slowakei zwang die Regierungsvertreter, einschließlich gemäßigter Vertreter des neuen politischen Regimes, das Angebot der wirtschaftlichen Hilfe zu akzeptieren. An den Berliner Verhandlungen nahmen auch einige Volkswirte teil, die noch mit dem Regime der ČSR der Zwischenkriegszeit verbunden waren, darunter Peter Zaťko. Wirtschaftliche Fragen trugen somit zur definitiven Auflösung der ČSR am 14./15. März 1939 bei.
Grundlegend für die wirtschaftliche Entwicklung des selbstständigen Slowakischen Staates mit eigenem Wirtschaftsraum, eigener Währung und eigener Zentralbank war, wie angeführt, die wirtschaftliche Verbundenheit mit NS-Deutschland. Mit der Entstehung des neuen Staates begann auch der Prozess der Eingliederung der Wirtschaft in den deutschen Großwirtschaftsraum. Grundlage für die wirtschaftlichen Beziehungen waren das Vertrauliche Protokoll über die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit zum Schutzvertrag vom März 193927 und weitere von diesem Protokoll ausgehende Wirtschaftsverträge und Abkommen, die bis Anfang 1940 abgeschlossen wurden. Sie waren ambivalenter Natur. Einerseits verfestigten sie die Vasallenbeziehung des Slowakischen Staates zu Deutschland, andererseits schrieben sie ihm die Rolle einer zuverlässigen Quelle für Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte für die Wehrwirtschaft des Dritten Reiches zu. Es wurde ein fester Wechselkurs der neuen slowakischen Währung zur Deutschen Mark sowie die Grundsätze der Verrechnung des gegenseitigen Handelswechsels und des Zahlungsverkehrs mittels eines Clearingverfahrens bestimmt. Ähnlich wie in anderen, direkt oder indirekt von Deutschland gesteuerten Ländern, stellte dieses System später eines der Schlüsselinstrumente zur Ausbeutung der Wirtschaft dar. Die Vereinbarungen versprachen jedoch zugleich fachliche, technische und teilweise auch finanzielle Hilfe Deutschlands, was zur Beschleunigung der wirtschaftlichen und insbesondere der technologischen Entwicklung der Slowakei führte.28
Der Niedergang der ČSR im März 1939 beschleunigte zudem die wirtschaftliche Expansion Deutschlands nach Südosteuropa. Bereits die Schwächung der ČSR auf international-politischer Ebene im Herbst 1938 und die nachfolgende vollständige Auflösung des tschechoslowakischen Staates schwächten die international-politische Stellung der ehemaligen Mitglieder der "Kleinen Entente", Rumänien und Jugoslawien. Deutschland konnte daher in die nächste Phase des Aufbaus des Großwirtschaftsraums übergehen. Diese Idee erhielt nach der Auflösung der ČSR eine neue ideologische Basis, die sogenannte „deutsche Monroe-Doktrin“. Deutsche Auslandsvertreter rechtfertigten vor westlichen Weltmächten den Anschluss der tschechischen Länder im März 1939 mit dem Aufbau eines eigenen Interessengebietes nach dem Vorbild der Monroe-Doktrin. Ähnlich wie die USA ihr Interessengebiet in Südamerika und in anderen Teilen der Welt auf Grundlage der Monroe-Doktrin erweiterten und Kanonenbootpolitik betrieben, habe Deutschland das Recht auf ein eigenes Interessengebiet, sowohl auf einen wirtschaftlich orientierten Großraum als auch auf einen erweiterten Lebensraum für das deutsche Volk. Während der Gedanke der Erschließung neuen Lebensraums zu diesem Zeitpunkt noch in seinen Anfängen war, wurde der Aufbau eines