Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter. Группа авторов
aufgedeckt und eliminiert werden können. Zu diesem Zwecke wird ein bestehendes System aus zwei Perspektiven betrachtet:
1. aus der Sicht des Kunden, dessen Bedürfnisse optimal zu erfüllen sind
2. aus der Sicht des Unternehmens, das sich profitabel auf die Erfüllung dieser Bedürfnisse ausrichtet.
Das Ergebnis sind Wertschöpfungsstrukturen mit hoher Kundenorientierung und hoher Effizienz. Unzählige kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) und Wertstromanalysen orientieren sich heute an diesen Leitlinien und Prinzipien, deren Ursprünge auf Kaizen und folglich Lean zurückgehen und in vielfältigen Methoden und Werkzeugen zum Einsatz kommen, für die hier stellvertretend die 5S/5A-Methode (7 Arten der Verschwendung) zur effizienten und effektiven Arbeitsgestaltung genannt werden soll.32
Die ausgeführten Werte und Prinzipien aus dem agilen Manifest und ergänzend dem Lean-Umfeld machen ein agiles Mindset anschaulich und greifbarer. Sie sind aber nicht die einzig möglichen oder die allseits anerkannten Werte und Prinzipien von Agilität. Vielmehr haben diverse agile Methoden und Ansätze eigene Werte- und Prinzipiengerüste (vgl. Kapitel 6-8), die alle leicht unterschiedlich sind und etwas konkreter auf die spezifischen Modelle abstellen. Der Scrum Guide33 bspw. nennt die 5 Werte Offenheit, Mut, Respekt, Fokus und Commitment.
Außerdem finden sich diverse Unternehmen, die sich eigene, unternehmensspezifische Werte und/oder Prinzipien definieren. Und das ist auch legitim und kann sinnvoll sein. Übersetzt in das Leitbild eines Unternehmens, könnte ein agiler Werte- und Prinzipienrahmen exemplarisch wie in Abbildung 4 aussehen.
Abb. 4: Leitbild agiler Werte und Prinzipien (Unternehmensbeispiel)
Werte und Prinzipien liefern Leitlinien für erfolgreiche Zusammenarbeit in einer durch Komplexität und wechselnde Rahmenbedingungen geprägten Welt. Aber erst der Blick hinter die Werte- und Prinzipienkulisse offenbart die wirkliche Haltung im zwischenmenschlichen Umgang und nach welchen Kriterien und Maßstäben Entscheidungen wirklich getroffen werden. Solange die agilen Werte lediglich als Leitlinien an der Wand hängen, handelt es sich, wenn überhaupt, bloß um „agil machen“. Nur wenn das agile Handeln auch in ein agiles Denken übergeht, das sich in den Werten und Prinzipien widerspiegelt, entsteht ein agiles Mindset bzw. eine agile Kultur („agil sein“, vgl. Abbildung 2).
2.4 Adäquate Rahmenbedingungen
Wie in den bisherigen Ausführungen dargelegt, wird Agilität im Zuge der zunehmenden VUCA-Umwelt immer wichtiger. Aber ein agiles Vorgehen passt natürlich nicht immer und überall. Im Hinblick auf die Frage, wann agiles Denken und Handeln passen, helfen verschiedene Modelle. Als vereinfachte bzw. vereinfachende Abbilder der Realität helfen sie dabei, Situationen besser einzuschätzen und zu entscheiden, welche Handlungsstrategien sich auf Grundlage der jeweiligen Annahmen und Bedingungen für die Lösung bestimmter Vorhaben und Fragestellungen eignen.
Mit der sogenannten Stacey-Matrix34 und dem Cynefin-Framework35 haben sich in den vergangenen Jahren zwei Modelle durchgesetzt, die jeweils eine Einordnung verschiedener situativer Kontexte ermöglichen.
Fasstman die wesentlichen Erkenntnisse dieser beiden Modelle, wie in Abbildung 5 gezeigt, in einem Modell zusammen, so lassen sich vier Gestaltungsbereiche voneinander unterscheiden und entsprechende Handlungsstrategien ableiten.
Abb. 5: Typologie situativer Kontexte und Gestaltungsbereiche36
Die Verortung konkreter Vorhaben und Initiativen in diesem Schema orientiert sich an den Bekanntheitsgraden der relevanten Anforderungen (dem Was) und der Technologien, die zur Umsetzung der Anforderungen notwendig sind (dem Wie). Anforderungen bewegen sich im Spektrum zwischen absolut bekannt und komplett unbekannt. In den meisten Fällen liegt die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Ähnlich verhält es sich mit den Technologien bzw. allgemeinen Lösungsansätzen, die sich für die Umsetzung der Anforderungen eignen. Auch sie liegen zwischen bekannt – erprobte, etablierte Technologien und Verfahren sind verfügbar – und unbekannt bzw. sind im Extremfall noch gar nicht existent.
Auf Basis dieser Matrix lassen sich 4 unterschiedliche Kontexte ableiten, in denen jeweils ein anderes Vorgehen angebracht ist:
Einfache Kontexte: Anforderungen sind bekannt und die Technologie ist vorhanden. Ursache-Wirkungszusammenhänge sind klar, eindeutig und vorhersagbar. Insofern liegt auch die gewünschte Lösung auf der Hand, die durch die Herangehensweise „erkenne, beurteile, reagiere“ erreicht werden kann. Hier empfiehlt sich die Anwendung bewährter Praktiken und Standards (Best Practices).
Beispiel: Mit der Bestätigung der AGB und dem Absenden des Warenkorbs durch den Kunden prüft das Bestellsystem die Plausibilität der Daten und versendet automatisch eine Bestellbestätigung inklusive der Versand- und Rechnungsdaten per E-Mail.
Komplizierte Kontexte: Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung hängt von vielen Variablen ab, ist jedoch ermittelbar und nachvollziehbar. Für die Konkretisierung von Anforderungen und die Auswahl sowie den Einsatz der Technologie ist entsprechendes Fachwissen erforderlich. Über die Herangehensweise „erkenne, analysiere, reagiere“ eröffnen sich den Experten häufig mehrere Lösungsvarianten. Deshalb gibt es in diesem Fall auch keine Best Practices, sondern nur Good Practices.
Beispiel: Für den Neubau eines Hauses müssen verschiedene Gewerke Hand in Hand gehen. Neben Architekt und Statiker, müssen sich u. a. Dachdecker, Installateure und Trockenbauer synchronisieren und in Abstimmung mit dem Bauherrn den adäquaten Lösungsweg finden.
Komplexe Kontexte: Ursache-Wirkungszusammenhänge werden meist erst im Nachhinein erkannt. Sie entwickeln sich emergent und befinden sich in einer dynamischen Wechselwirkung. Anforderungen sind unklar und mehrdeutig und auch die Technologien sind nicht standardisiert und müssen ggf. adaptiert oder neu konstruiert werden. Durch die Herangehensweise „probiere, erkenne, reagiere“ werden Annahmen über die Anforderungen gebildet, getestet und auf dem Weg zur Lösung verworfen oder verfeinert.
Beispiel: Smart-Home-Produkte und ein vernetztes Zuhause sind darauf ausgelegt, Nutzern das Leben einfach zu machen. Doch die dahinterstehenden Projekte und Prozesse werden immer komplexer. Produkte werden zu digitalen Systemlösungen. Damit „Over Engineering“ vermieden werden kann, werden die Nutzer von Beginn an in den Entwicklungsprozess eingebunden, um Hypothesen über das Nutzerverhalten früh zu validieren und sich über kurze Feedbackschleifen Schritt für Schritt einer neuen Lösung anzunähern.
Chaotische Kontexte: Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung sind nicht nachvollziehbar. Da weder Anforderungen noch Technologien bekannt sind, braucht es ungewohnte Praktiken und Experimentierfreude. Die Handlungsstrategie „handle, erkenne, reagiere“ erfordert Entscheidungsstärke. Dabei muss es sich in diesem Bereich nicht immer gleich um eine tiefgreifende Erschütterung oder eine Unternehmenskrise handeln. Der Übergang von komplexen zu chaotischen Situationen bietet häufig den Nährboden für disruptive Innovationen.
Beispiel: Wenn sich ein Unternehmen in einer kritischen Schieflage befindet, eine Liquiditäts- oder Existenzkrise droht, dann heißt es, schnell zu handeln. Entscheider dürfen nicht in