Die Täuschung. Norbert Lüdecke

Die Täuschung - Norbert Lüdecke


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und keinerlei Ergebnisverbindlichkeit produziert, sondern maximal Bitten an die Bischöfe und zum größten Teil an den Papst. Es kann verwundern, dass die Laien erneut eine „Partizipation“ akzeptieren, die strukturell vollständig im Rahmen der katholischen Klerikalmonarchie verbleibt, in der die Laien nur beratend am „decisionmaking“ beteiligt werden, das „decision-taking“ aber den Hierarchen vorbehalten bleibt.

      Diese immer wieder neue Unterwerfung der Katholiken unter hierarchische Vorgaben provoziert die abschließende Frage, woran es liegt, dass katholische Gläubige immer weiter Reformen erhoffen, die seit so langer Zeit von der Hierarchie verweigert oder als gar nicht möglich, weil gegen die Identität der katholischen Kirche verstoßend, qualifiziert werden. Gibt es Faktoren, die Katholiken den Blick auf die kirchliche Realität verstellen, oder vielleicht eine spezifisch katholische Disponierung, diese Realität gar nicht sehen zu wollen? Warum haben katholische Laien keinen wirklichen Plan B für den Fall, dass ihre Erwartungen und Forderungen nicht erfüllt werden? Ist ihre Angst, sich von einer reformunfähigen Kirche distanzieren zu müssen, größer als ihr Leiden an der real existierenden Kirche? An dem genannten Faktorenbündel kann der Kanonist aufklärerisch arbeiten, bei der Frage nach dem Warum wäre es vergebene Liebesmüh. Hier bleibt es beim Dauerbejammern einer Kirche, auf die man heilsängstlich nicht verzichten kann.

      1952

      Abb. 2: Eröffnungsveranstaltung zum 77. Deutschen Katholikentag am 29. August 1956. Bundeskanzler Konrad Adenauer (grüßend), gerahmt von kirchlichen Würdenträgern, dem Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings (rechts) und dem Paderborner Erzbischof Lorenz Jäger (links). Neben Frings am rechten Rand der Präsident des ZdK, Karl VII. Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg. (© KNA)

      Hierarchische Einhegung des Laienengagements: die Gründung des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“

      Dem Staat übergeordnet, aber auf die Laien angewiesen

      Im Nachkriegsdeutschland wollten die deutschen Bischöfe den Neuaufbau für eine politische Einflussnahme zur Verchristlichung von Staat und Gesellschaft nutzen.1 Als Exponenten einer nach ihrem Selbstverständnis von Christus gestifteten, in ihrer Ordnung eigenberechtigten höchsten Gesellschaft zur Vermittlung des Seelenheils sahen sie sich dem Staat als Einrichtung der Schöpfungsordnung zum irdischen Wohl übergeordnet. Denn beide Ordnungen unterstehen dem göttlichen Gesetz, das vom kirchlichen Lehramt verbindlich festgestellt, ausgelegt und konkretisiert wird. Entsprechend schrieb Erzbischof Frings schon im Februar 1946 an seine Dechanten zur Neuordnung des öffentlichen Lebens nach dem Zusammenbruch: „In der allgemeinen Gärung und Bewegung, die dadurch Platz gegriffen hat, besitzen wir Katholiken den einzigartigen Vorteil, dass uns dabei zwei Lichter voranleuchten, die uns vor Irrwegen bewahren und auf den rechten Weg bringen können“2 – gemeint waren die Offenbarung und die christliche Naturrechtslehre, nach denen sich auch das staatliche Recht zu richten hat.3

      Entsprechend erwarteten sie das Grundgesetz des neuen Staates als „eine öffentliche Anerkennung der ‚schon in der Natur gegebenen, ewig gültigen, durch Christus neu gefestigten und vollendeten Gottesordnung‘ …, ohne die für ein Volk auf die Dauer ein glückliches und gesundes Leben unmöglich ist“4.

      Ebenso bewusst war den Bischöfen aber, dass der kirchliche Vorranganspruch sich schon lange an der Souveränität der neuzeitlichen und schließlich demokratischen Staaten brach. Effektiv zur Geltung gebracht werden konnte er nur noch über die kirchlich gehorsamspflichtigen katholischen Gläubigen als „innerstaatlichem Vollstreckungsorgan“5. Diese faktische Angewiesenheit ist für die Hierarchie hinnehmbar, solange die Laien ihre innerkirchliche Ungleichheit und Gehorsamspflicht nicht als problematisch empfinden. So nutzten katholische Vereine seit Mitte des 19. Jahrhunderts die staatlich frisch gewährte Vereins- und Pressefreiheit als „kirchen- und vatikantreue Garde“6, um für die Rechte und öffentliche Stellung eben jener Kirche zu streiten, die sich gegen die Menschenrechte sperrte.7 Für ihre Gesamtorganisation „Katholischer Verein Deutschlands“ bedeutete das Selbstverständnis als katholisch, sich „der Autorität und der rechtlichen Befugnis unserer Pfarrer, unserer Bischöfe sowie des Päpstlichen Stuhles pflichtgemäß zu unterwerfen“8.

      Die Vereine kämpften für die Freiheit der Kirche im Staat, nicht für die Freiheit der Gläubigen in der Kirche. Als der Theologe Johann Baptist Hirscher (1788–1865) öffentlich forderte, Laien sollten auch an Synoden mit vollem Stimmrecht teilnehmen9, protestierte der Laienverein und verwahrte sich „auf das Entschiedenste und Nachdrücklichste gegen allen und jeden Anspruch auf Beteiligung an der Führung oder auf Controle des Kirchenregiments“, weil „die Führung und Handhabung des Kirchenregiments dem Episkopat Deutschlands zukomme“10. Das galt auch für die jährlichen „Generalversammlungen der katholischen Vereine“, später „der Katholiken Deutschlands“ („Katholikentage“). Organisatorisch getragen von einem gewählten Zentralkomitee (seit 1868 und nach einem langen Zwischenspiel mit einem einzelnen Zentralkommissar wieder seit 189811) gaben sich diese Katholikentage stolz papsttreu-ultramontan12 und antimodern.13 In Sachen Schule etwa betonten sie, der Pfarrer stehe als eigentlicher Erzieher über dem Schullehrer als seinem Gehilfen wie die Kirche über dem Staat.14 Die vom Staat verfügten Kirchenvorstände aus Laien sahen sie nur in vorübergehender Mitverantwortung für die ihnen eigentlich nicht zustehende Verwaltung von Kirchenvermögen, denn: „Wir sind nicht zu Meistern berufen, sondern zu Helfern“15. Die Einigkeit war allerdings eine auch durch Ausgrenzung aufgebaute „Konsensfassade“16: Andersmeinende oder gar Reformkatholiken ließ man außen vor oder nicht zu Wort kommen17, Kontroversen sollten gar nicht erst in die Beratung gelangen, Beschlüsse hatten die Zustimmung der Bischöfe zu finden.18

      Zum allgemeinpolitischen Arm der Katholikentage19 entwickelte sich über viele Querverbindungen die Zentrums-Fraktion20, die gar nicht aus der katholischen Vereinsbewegung, sondern von preußischen Abgeordneten gegründet worden war. Das „Zentrum“ galt als das „stehende Heer“, das Kirchenvolk als „Reserve, über die wir auf den General-Versammlungen Heerschau halten“21. Querverbindungen gab es auch zur 1890 gegründeten zentralen Dachorganisation der Laieninitiativen, dem „Volksverein für das katholische Deutschland“, der als Träger politischer, sozialer wie religiöskultureller Bildung und Aktionsspitze des Katholizismus zugleich zu einer außerparlamentarischen politischen Kraft mit zeitweilig enormer Massenbasis und einer starken Zentrale in Mönchengladbach avancierte.22

      Das Prinzip der Meinungs- und Willensbildung von unten blieb eine Anomalie im hierarchischen System und bot trotz aller Unterwerfungsbekundungen der aktivierten Laien Grund für Argwohn der Bischöfe, die sich ihrerseits erst später als die Laien organisierten.23

      Laien werden selbstbewusster

      Grundlegende Rechte im Staat erfolgreich für die Kirche in Anspruch zu nehmen, ließ die Laien selbstbewusster und eigenständiger werden.24 Der „Volksverein“ setzte sich für interkonfessionelle christliche Gewerkschaften und gleiches Wahlrecht im Staat ein und forderte damit bischöflichen Widerstand heraus.25 Der Präsident des Münchener Katholikentages von 1922, Konrad Adenauer, wagte es, der pauschalen Demokratieverdammung durch Kardinal Faulhaber öffentlich zu widersprechen.26 Gegen den selbstbewussten und auf Unabhängigkeit bedachten deutschen Vereinskatholizismus wurde die von Papst Pius XI. seit 1922 favorisierte „Katholische Aktion“ in Stellung gebracht, ein Laienapostolat „in Unterordnung unter euch [die Bischöfe, N. L.] und eure Priester“27: Zurück zu „Pfarrei und Diözese, endlich ein Abrücken von dem ewigen Organisieren über alle Diözesangrenzen hinweg“28. Allerdings drängte erst die Zerschlagung des katholischen Verbandswesens durch die Nationalsozialisten die Laienaktivität wirklich effektiv zurück in Pfarrei und Diözese.29

      Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich auch die katholischen Laien vor der Herausforderung, die sich neu formierende Gesellschaft im christlichen Sinn zu prägen.30 Die demografische und konfessionelle Umschichtung ließ als politische Partei einzig die Gründung einer interkonfessionellen Union schlüssig erscheinen.


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