Ermordet zwischen Sylt und Ostfriesland: 6 Küstenkrimis. Alfred Bekker
wie er einem Schild neben der Tür entnahm. Eine streng blickende ältere Schwester richtete gerade ihr Häubchen.
„Moin!“, sagte sie – und das klang in ihrem Fall fast wie: „Hände hoch und nicht bewegen!“
„Auch Moin“, gab Winkels zurück.
„Wer sind Sie?“ fragte sie in drohendem Ton.
„Winkels ist mein Name. Sind Sie Schwester Bernhardine? Ich muss dringend mit Herrn Walter Köhler reden.“
„Sind Sie verwandt mit ihm?“
Zum zweiten Mal die Frage! Das wollte doch sonst niemand bei einem Besuch im Krankenhaus wissen. Ein unheilvoller Verdacht drängte sich auf.
„Es geht um eine polizeiliche Ermittlung.“
Winkels hatte kein schlechtes Gewissen. Diese Aussage stimmte ja. Oder besser, sie würde bald stimmen.
„So früh schon? Sie sind aber schnell.“
Sein Gesicht musste ein einziges Fragezeichen sein. Sie starrte ihn daraufhin verständnislos an.
„Ich muss nur mit ihm reden“, fuhr er fort.
„Wieso hat man Sie hergeschickt, wenn Sie keine Ahnung haben?“ fragte sie mit vorwurfsvoller Stimme.
„Ich verstehe nicht.“
„Herr Köhler ist tot. Er ist heute Nacht beziehungsweise in den frühen Morgenstunden verstorben. Ich dachte, Sie sind deswegen hier. Ich habe die Polizei bereits verständigt. Sie sind doch mit dem Fall befasst, oder?“
„Nicht direkt“, drückte sich Winkels um eine korrekte Antwort.
Es schien der Schwester jedoch zu genügen, und er hatte nicht die Absicht, ihren Irrtum aufzuklären.
„Weshalb haben Sie die Polizei gerufen?“
„Es gab verdächtige Umstände. Der Patient, der im gleichen Zimmer liegt, hat behauptet, dass mitten in der Nacht jemand im Raum war, der neben Köhlers Bett herumhantierte. Es war dunkel, und er hat nur einen Schatten gesehen. Dann klappte die Tür, und der Schatten war verschwunden. Wir wissen nicht genau, was wir davon halten sollen. Die Patienten bilden sich schon mal was ein und sehen Gespenster.“
Der Blumenstrauß! schoss es durch seinen Kopf. Er ahnte, weshalb er ihn auf dem Bett in einem Abstellraum vorgefunden hatte.
„Sie haben das schon richtig gemacht, als sie die Polizei riefen. Kann ich das Zimmer sehen?“
„Gleich schräg gegenüber. Nummer zwei dreiunddreißig.“
„Danke!“
Er drehte sich noch einmal um. „Verschließen Sie bitte die Tür dort vorn zu dem Abstellraum. Niemand darf ihn betreten, bis die Polizei hier ist. Noch etwas: ich kann doch mit dem anderen Patienten reden, oder?“
„Der wurde gerade verlegt. In dem Zimmer befindet sich nur noch der Verstorbene. Sie können gerne rein. Was den anderen Patienten angeht, müssen Sie den zuständigen Arzt fragen.“
Winkels nickte und machte sich auf den Weg zu dem genannten Zimmer. Hier hatte man das Bett herausgeholt, wie er sich erinnerte.
Er drückte die Klinke auf und betrat das Krankenzimmer. Die Beleuchtung war gedämpft, da ein Rollo vor dem Fenster heruntergezogen war. Die Maschinen, an denen sonst verschiedene Lämpchen blinkten, waren abgeschaltet. Der Monitor, der normalerweise die Körperfunktionen anzeigte, war schwarz.
Auf dem einzigen Bett lag ein Körper unter einem Laken, das man auch über das Gesicht gezogen hatte.
Tjade Winkels berührte nichts. Er wollte sich nur ein Bild von einem möglichen Tatort machen. Er versuchte, sich den Patienten im zweiten Bett vorzustellen, wie er nachts einen Schatten gesehen haben wollte. Alles war dunkel, nur die Kontrolllämpchen der medizinischen Geräte würden einen ganz schwachen Lichtschimmer abgeben.
Ja, möglich wäre es.
Sein Blick fiel auf eine flache Schale aus Edelstahl, die auf dem Nachttisch lag. Zwei gebrauchte Pflaster lagen darin und eine relativ große Spritze ohne Kanüle.
Er ging auf die andere Seite des Bettes. Dort stand der Ständer mit dem Tropf. Aus der Flasche hing ein dünner Schlauch bis fast auf den Boden. Eine Flüssigkeit tropfte langsam heraus.
Walter Köhlers linker Unterarm war sichtbar und nicht vollständig von dem Laken verdeckt. Aus der Armbeuge ragte eine Kanüle. Die Pflaster, mit denen sie üblicherweise befestigt wurde, fehlten.
Er brauchte nicht lange, um sich vorzustellen, was hier geschehen war. Jemand hatte die Pflaster abgerissen, den Schlauch von der Kanüle entfernt und dann die Spritze benutzt, um irgendetwas zu injizieren, was zum Tod von Walter Köhler führte. Vorher hatte sich der Unbekannte in dem Abstellraum versteckt und hatte die mitgebrachten Blumen dort liegen lassen.
Tjade Winkels stand am Schauplatz eines Mordes!
Bevor er sich umwandte, bemerkte er auf der Ablage des Nachttisches einen Pappumschlag, wie er von einigen Banken für die Aufbewahrung der Kontoauszüge ausgegeben wurde. Er selbst besaß einen ganz ähnlichen. Auch in Zeitalter von Online-Banking zogen viele Menschen die klassischen Auszüge immer noch vor.
Er schlug den kleinen Ordner auf und blätterte durch die Auszüge. Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn, als ihm eine Merkwürdigkeit auffiel. Neben der laufenden Rentenzahlung gab es jeden Monat einen weiteren gleichbleibenden Zahlungseingang. Die Summe war höher als die der Rente, und sie wurde von einem Notariat in Aurich überwiesen.
Nun, ja, das musste nicht unbedingt eine Bedeutung haben. Es konnte sich um eine Erbschaft handeln, Mieteinnahmen oder Wertpapiererträgen. Dennoch merkte er sich den Namen des Notars. Er musste der Sache auf jeden Fall nachgehen. Es ging um Geld, und Geld war immer ein Schlüssel.
Schnell legte er die Mappe zurück, als draußen vom Gang Stimmen drangen. Schritte waren zu hören. Rasch verließ er den Raum, denn er konnte sich denken, wer da im Anmarsch war.
Tatsächlich, da war sein Nachfolger, neben ihm ein Arzt, der auf ihn einredete, dahinter zwei Leute von der Spurensicherung sowie einige uniformierte Polizisten.
Kriminalhauptkommissar Uwe Dröver blieb wieder wie vom Blitz getroffen stehen, als er seinen Vorgänger erblickte. Er rang sichtlich nach Worten.
„Tjade!“ rief er schließlich. „Das glaube ich jetzt nicht!“
„Erstmal Moin, Uwe!“
„Meinetwegen: Moin! Aber was machst du hier?“
„Ich wollte nur einen alten Freund besuchen.“
Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihm bewusst wurde, wie unglaubwürdig diese Behauptung klang.
„Na, schön“, sagte er resigniert. „Ich habe etwas herumgestochert.“
Dröver kam näher, bis er direkt vor ihm stand.
„Tjade, du setzt dich jetzt irgendwohin, wo du nicht im Wege bist. Lass´ mich jetzt meine Arbeit tun, anschließend reden wir miteinander. Ich hoffe sehr, dass du einen guten Grund für deine Anwesenheit hast.“
Er winkte den Arzt heran, der mit ihm gekommen war. „Herr Doktor, haben Sie einen Raum, wo mein ehemaliger Kollege bleiben kann?“
Das ehemalige betonte er besonders.
„Am besten wäre das Schwesternzimmer“, entgegnete der Arzt. „Gleich hier vorn. Dort steht sogar eine Kaffeemaschine.“
„Perfekt!“ Dröver grinste und sah Winkels nach, wie er mit leicht hängenden Schultern in das Zimmer ging und sich auf einen der Stühle setzte. Schwester Bernhardine saß hinter dem Schreibtisch und blickte ihn finster an.
*
Tjade Winkels wartete fast eine Stunde, ehe Dröver