eXtRaVaGant * Mond oder Sonne. Leona Efuna

eXtRaVaGant * Mond oder Sonne - Leona Efuna


Скачать книгу
können?«

      Ich sehe ihn an. »Curtis, du vergisst, dass ich in Brooklyn und nicht in der Upper East Side lebe. Und mal ganz davon abgesehen will ich nicht irgendeine allgemeine Begriffsdefinition des Wortes ›extravagant‹.«

      »Was dann, du Brooklyn-Mädchen?«

      »Ich möchte wissen, was extravagant für dich bedeutet«, meine ich und bereue es direkt, so neugierig zu sein.

      Jetzt schmunzelt Curtis.

      »Das klingt jetzt vielleicht total unbesonders, aber wenn ich ›extravagant‹ höre, denke ich immer an alles, was nicht nullachtfünfzehn, nicht Mainstream, sondern sehr speziell und einzigartig ist. Ich möchte, dass die Musik, die wir machen, kreative Köpfe dazu bringt, nachzudenken und über sich hinauszuwachsen. Bei uns ist jeder willkommen, der bereit ist, allen Menschen mit Respekt zu begegnen. Dabei sind die Hintergründe wie Herkunft, Aussehen und so was völlig egal. Deshalb ist es mir megawichtig, dass sich unter den Men­schen, die unsere Platten kaufen, niemand befindet, der Hass verbreitet, du weißt schon, kein Rassismus, keine Homophobie und ähnlicher Scheiß. Unsere Musik soll stärker sein als das.«

      Curtis hält inne und bleibt vor einer Bar im Eighties-Look stehen.

      Auf der Vorderseite prangt ein großes TheWayStation in Leucht­buchstaben. Um uns herum Dunkelheit.

      »Das ist mein Lieblingsort«, sagt Curtis leise.

      Als wäre mein Leben ein Film, ziehen urplötzlich Szenen von Robyn und mir auf einer Bühne an mir vorbei. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

      »Schneewittchen, du siehst aus, als wäre ein Verrückter hinter dir her.« Curtis wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum.

      Drinnen erhellen Neonlichter den Raum. Unschwer erkenne ich eine Bar, verschiedene Stühle, Sessel und Nischen. An den Wänden und der Decke sind viele Scheinwerfer angebracht. Ich versuche auszumachen, wohin wir gehen, aber zu viele Menschen nehmen mir die Sicht.

      Und dann sehe ich unzählige Blicke, die auf Curtis ruhen, und höre die Stimmen der Mädchen, die versuchen, leise zu reden, es aber nicht schaffen.

      »Da steht Curtis Moore.« Ich drehe mich in Richtung der leisen Stimmen, woraufhin mich ein kleines Mädchen schüchtern anlächelt. Meine Mundwinkel heben sich. Ich drehe mich wieder zu Curtis um und folge seinem starrenden Blick, der auf etwas oder jemanden in der Menge gerichtet ist.

      »Scheiße.« Mit leerem Blick wendet sich Curtis zu mir.

      »Ich werde Alec sagen, dass er dich hier wegbringen soll«, ist das Letzte, was ich von ihm höre. Ich taumle verwirrt ein paar Schritte nach hinten und halte mich am Tresen fest.

      Jemand tippt mir auf die Schulter und ich drehe mich um. Vor mir steht ein junger Mann, in der rechten Hand hält er eine Kabeltrommel, in der linken Hand ein MacBook. Er hat Augen, die ich keiner bestimmten Farbe zuordnen kann, da sie alle enthalten, und mittelbraune, streichholzlange Haare.

      »Du bist Paige, oder?«, fragt er und lässt mir nicht genug Zeit zum Antworten.

      »Du bist die Einzige, die einen Haarreif trägt und aussieht wie Schneewittchen. Wir müssen hier weg.«

      »Moment mal: wir?« Ich sehe ihn verwirrt an.

      »Curtis hat gesagt, ich soll dich mitnehmen.« Er nickt in Richtung Ausgang und ich entscheide mich, ihm zu folgen.

      »Und wohin gehen wir?«

      »Ich erzähle dir alles während der Fahrt.« Der Typ hält mir eine knallgrüne Autotür auf und ich steige ein.

      »Ich bin Alec, die helfende Elfe der Band.« Er steckt den Schlüssel ins Zündschloss und fährt aus der Parklücke. Ich schmunzle über seine Ausdrucksweise. »Du bist echt mit ihnen befreundet?«

      Alec lacht. »Schätzchen, ich bin ihr bester Freund!«

      »Du hat gesagt, du würdest mir erzählen, wo wir hinfahren?« Er nickt und kommt an einer roten Ampel zum Stehen, bevor er mich anschaut. »Ich muss später noch telefonieren, deshalb lasse ich dich gleich wo raus. Wichtig ist, dass du genau das machst, was ich dir jetzt sage.« Er legt eine dramatische Pause ein und sieht mich eindringlich an.

      An uns ziehen Brooklyns Häuser vorbei und die Gegend ist mir vollkommen fremd.

      »Du kannst nicht durch den Besuchereingang gehen. Wenn du aussteigst, läufst du durch die Einfahrt in den Hinterhof und dann musst du die Feuertreppe hoch bis ins oberste Stockwerk steigen. Dort kommst du in einen Gang und am Ende siehst du eine Tür mit einem Zahlenfeld. Hol mal schnell dein Handy raus und tipp dir den Code für das Zahlenfeld ein.« Ich greife in meine Jackentasche, entsperre mit zitternden Fingern mein Handy und notiere den Code.

      »Wir sind da, schönes Mädchen. Später hole ich dich wieder ab.«

      Schönes Mädchen? Hat der dich mal angeschaut?

      Ich muss schlucken. Als Alec den Motor ausmacht und aussteigt, sammle ich mich kurz, bevor ich meine Autotür ebenfalls öffne. Draußen dämmert es bereits und auf dem Gras kann ich noch den Frost erkennen.

      Ich schaue die Straße entlang und sehe eine Reihe historischer, typischer New-York-City-Häuser. Direkt vor mir ragt ein etwas heruntergekommenes Haus empor, dessen verrostete Eingangstür eine feine Verzierung erkennen lässt, die vor vielen Jahren sehr schön aus­gesehen haben muss.

      Ich drehe mich zu Alec um, der sich mit dem Handy am Ohr immer weiter vom Wagen entfernt, wende mich wieder nach vorn, seufze und laufe durch die Einfahrt.

      Im Hinterhof sind einige Wäscheleinen gespannt und die Feuertreppe, die ich hinaufsteigen soll, ist schon etwas rostig, weshalb ich mich am Geländer festhalten muss, um nicht auszurutschen. Man sieht meinen Atem in der Kälte. Oben angekommen, drehe ich mich um und schaue auf die ersten Strahlen der aufgehenden Wintersonne, die den Himmel in ein Meer aus vielen verschiedenen Rot-, Orange- und Rosatönen taucht.

      Ich fröstle, als ich mich wieder umdrehe und sehe, dass der Gang durch ein weiß-rotes Band und ein Schild, auf dem in großen Lettern EINSTURZGEFAHR steht, abgesperrt wird.

      Als ich über das Absperrband steige, klopft mein Herz auf einmal unglaublich schnell.

      Was machst du hier eigentlich, Paige?

      Dann hebe ich den Kopf und sehe sie. Die Tür am Ende des Ganges.

      Ich bewege mich auf sie zu. Stehe am Ende des Flurs. Es riecht modrig. Zitternd tippe ich die Zahlenfolge ein. Mit einem Summen springt die Tür auf. Mein Blick huscht herum.

      Und dann fange ich an zu schreien.

      Ganz laut.

      [08]

      Blaubeertörtchen

      »Okay, es war ein Fehler dich dort hinzubringen. Tu mir einen Gefallen und mach dir nicht allzu viele Gedanken über das, was du in diesem Apartment gesehen hast. Du musst mir versprechen, es zu vergessen«, meint Alec, als wir vor Dads himmelblauem Haus stehen.

      Ich nicke stumm, mein Körper zittert. Der Schlafmangel macht sich langsam bemerkbar. Alec klopft mir auf die Schulter, aber diese tröstliche Geste hat nur zur Folge, dass mein Körper sich noch schwerer anfühlt.

      Alec dreht sich um und läuft zum weiß gestrichenen Gartenzaun. Ich sehe ihm nach, bis er um die nächste Hausecke verschwunden ist, hinter der sein Auto steht.

      Nachdem ich die Haustür aufgeschlossen habe, streife ich mir meine Schuhe von den Füßen. Als ich an der Küche vorbeikomme, nimmt mich sofort der Geruch von Maries Blaubeertörtchen ein, die sie gestern gebacken hat.

      Ich bleibe stehen und kämpfe.

      Eine keifende Stimme aus meinem Unterbewusstsein drängt mich zum Kühlschrank. Mein ganzer Körper zittert, als ich zaghaft nach einem der Blaubeertörtchen greife.

      Langsam entferne ich das rosafarbene Papier mit den weißen Punkten, starre auf den Fettfleck am Boden und drehe das


Скачать книгу