Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
Dario zurück. So oft sie auch versucht hatte, ihm erneut zu begegnen, war es ihr nicht gelungen. Sein Verlangen, ungestört zu bleiben, schien jedenfalls ungewöhnlich. Meist standen die Türen weit offen und neugierige Florentiner waren ihm stets willkommen. Seit Tagen waren die Türen verschlossen, deshalb auch der Umweg über die Tuchhändlergilde.
»Dario«, seufzte sie und presste ihre Hand auf den Mund. Nicht auszudenken, wenn er sie hörte oder gar mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen hier vorfände.
»Ich kann nicht länger warten, mia.« Voller Hingabe glitt Dario mit seiner Hand über den milchig weiß glänzenden Körper vor ihm, der sich ihm unverhüllt darbot. Juliana errötete. Ohne Scheu wanderten seine Finger über die sanften Hügel kleiner, fester Brüste, erkundeten Täler und Ebenen. Er zögerte nicht, kannte den Weg der Begierde blind und schien neugierig genug, den weiblichen Körper vor ihm ohne Hast zu entdecken. Vom Bauchnabel aus beschrieb er einen großen Bogen über ihre Hüften, sprang von einer Seite zur anderen, um den sehnigen Oberschenkel hinabzugleiten. Die Statue war makellos schön. Ihr Becken wohlgeformt, die Scham kühn betont durch das leicht angezogene linke Bein, als warte sie ungeduldig auf das, worüber Dina mit ihrer Tochter erst kürzlich gesprochen hatte. Das unvollendete Gesicht erinnerte Juliana an jemanden. Sie war zu aufgeregt, um darüber nachzudenken. Ihre Wangen brannten indes wie Feuer. Im Salon ihres Vaters empfand sie Angst, gar Verwirrung. Je länger sie in Darios Nähe verweilte und ihn bei seiner Arbeit beobachtete, desto mehr schwand das unschuldige Kind in ihr. Eine süße, quälende Sehnsucht durchzog ihr Herz, und sie wünschte sich, diese vollkommene Hingabe am eigenen Leib zu erfahren. Angespannt sank sie auf die Knie. Sie zog ihren Surcot so weit hoch, dass er ihre weißen Knöchel entblößte. Was wäre, wenn sie sich Dario so zeigte? Sie lächelte beschämt und ließ den dünnen Stoff fallen. Es verlangte mehr denn nur entblößte Knöchel, diesen Künstler zu fesseln. Wäre er ebenso voller Zuneigung und Verständnis oder gestand er dies nur seinen auserwählten Geliebten zu, steinern oder nicht? Vielleicht sah er in ihr nur ein launisches Kind, das nach ungeteilter Aufmerksamkeit verlangte. Verzaubert von der stummen Zwiesprache zwischen Dario und einem unscheinbaren Stück Marmor, aus dem so unbeschreibliche Kunstwerke entstanden, wünschte sich Juliana, ihm zu dienen. An solch einem Wunder teilzuhaben, dessen sie Tag für Tag ansichtig würde. Sie war weder Stein noch Meißel, doch in diesem Moment wünschte sie sich immer sehnlicher, sein Werkzeug zu sein. Als Muse wollte sie ihn leiten, wenn er zweifelte, und ihn lobpreisen, wenn er vor der Vollendung seiner Werke stünde.
»Bald werden sie kommen und dich mir wegnehmen, meine Liebste, und ich kann nichts dagegen tun.« Mit einem Seufzer wandte sich Dario ab und zog ein ledernes Bündel heran, mit einem Band umwickelt. Mit sicheren Händen entrollte er das Päckchen, bis seltsam anmutende Instrumente im einfallenden Sonnenlicht funkelten. Zögernd schwebte seine Hand darüber, dann entschied er sich für eine schmale Klinge, einem Messer ähnlich. »Ich bin ein Narr, meine Schöne. Ein verliebter Narr. Bald bin ich ein einsamer Narr, der sein Leid in Wein ertränkt und sich am Busen irgendeines Weibs, das nicht annähernd deine Schönheit besitzt, nach dir verzehrt.« Er sah voller Begehren auf die sanft geformten Arme, die Brust und Scham. Er neigte sich tiefer und drückte der Statue einen Kuss auf die schmalen Lippen.
»Nein!«
Dario hob den Kopf. Mit einem zynischen Lächeln wandte er sich um. »Begehrt Ihr gar diesen Kuss? Seid Ihr deshalb hier?«
Mit einem erstickten Schrei sprang Juliana auf. Mit zitternden Beinen stolperte sie über die Brücke hinüber ins Treppenhaus des Palazzo dell’Arte della Lana. Zu spät bemerkte sie den Schatten, der an der Pforte auf sie fiel.
»Dachtet Ihr, ich hätte Eure Anwesenheit nicht bemerkt? Ihr irrt. Niemand ist so dreist, mich zu stören. Ihr tut es!«
Plötzlich schmeckte sie Darios Lippen, den bitteren Geschmack von billigem Wein und eine nie gekannte Süße, die ihr den Atem raubte. »Wagt es nie wieder!«, presste sie atemlos hervor und drängte an ihm vorbei.
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