Kommunikations- und Mediengeschichte. Mike Meißner

Kommunikations- und Mediengeschichte - Mike Meißner


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typischerweise beobachten, dass nur bestimmte Personen als Redner*innen aktiv sind, die jedoch ihnen zugehörige Gruppen repräsentieren. Solche Repräsentant*innen sind ein typisches Phänomen jeder Kommunikation größerer Gruppen und sie prägen auch die massenmedial vermittelte Kommunikation (vgl. FÜRST/SCHÖNHAGEN 2020:117-119; WAGNER 1995: 32-36, 235-262). Das Prinzip der Repräsentanz sorgt für eine Konzentration der Sprecher*innen, d. h., es muss nicht jede*r einzelne Teilnehmende sprechen bzw. vermittelt werden.23 Letzteres würde einerseits Zeitprobleme, andererseits unnötige Wiederholungen der gleichen Standpunkte mit sich bringen. »Kommunikationsrepräsentanz bedeutet somit eine außerordentliche Vereinfachung und Abkürzung des Kommunikationsverlaufs« (WAGNER 1995: 34) und sorgt für Überschaubarkeit des kommunikativen Geschehens. Hier zeigt sich eine erste Rationalisierungstendenz, die auch für die weitere Entwicklung (und speziell für die Kommunikationsvermittlung durch Massenmedien) bedeutsam ist.

      Alle Varianten der Versammlungskommunikation sind durch bestimmte Eigenschaften bzw. Bedingungen charakterisiert, die ihr zugleich Grenzen setzen (WAGNER 2009: 106f.):

      •Die Kommunikationspartner sind am gleichen Ort physisch anwesend (Anwesenheit, »Einheit des Ortes«).

      •Der kommunikative Austausch bzw. Mitteilung und Kenntnisnahme finden (quasi) gleichzeitig statt (»Gleichzeitigkeit oder die Parallelität der Kundgabe und Kenntnisnahme von Nachrichten«).

      •Im Prinzip (von Ausnahmen wie gehörlosen Personen abgesehen) verfügen alle Beteiligten über die gleichen Medien (Sprache, Gestik, Mimik), derer sie sich selbst bedienen, um ihre Mitteilungen zu vermitteln (»allgemeine Medienverfügbarkeit«).

      Ebenfalls schon seit der frühesten Menschheitsgeschichte vollzog sich Kommunikation teilweise auch über räumliche Distanzen hinweg, also als »Fernkommunikation« (HALBACH 1998: 277; HÖFLICH 1997: 204; Hervorh. d. Verf.), z. B. bei verstreut lebenden Gemeinschaften oder während Kriegszügen. Dabei kamen einfache Medien zum Einsatz: zunächst die Sprache in Form lauten Rufens, z. B. von Berg zu Berg, bzw. die Stimme wie z. B. bei Pfeifsprachen, etwa auf den Kanarischen Inseln (vgl. SEBEOK/UMIKERSEBEOK 1976). Auch das Alp- bzw. Hirtenhorn wurde möglicherweise in verschiedenen europäischen Ländern als Stimmverstärker verwendet, etwa in der Schweiz (vgl. SCHÜSSELE 2000: 39, 174). Weiter wurden auch Feuer- und Rauchzeichen, Trommeln bzw. Trommelsprachen etc. genutzt (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 143f.). Das »Universalorgan« der Nachrichtenübermittlung war allerdings der Bote, lange Zeit v. a. mit mündlichem Bericht (RIEPL 2014: 105, Hervorh. i. O.). Die Ausdrucksmöglichkeiten dieser einfachen Medien sind jedoch begrenzt (vgl. KNIES 1857/1996; SEBEOK/UMIKER-SEBEOK 1976). Der Einsatz von Boten, die mündlich eine Nachricht überbringen, oder anderer Vermittler, die z. B. die Trommelsprache beherrschen, birgt zudem das Problem der Zuverlässigkeit: Es ist keineswegs sicher, dass genau das vermittelt wird, was jemand in Auftrag gegeben hat.

      Solange Kommunikation über Distanz nicht der Normalfall war, sondern nur fallweise und eher spontan genutzt wurde, z. B. um Stammesmitglieder zu einer Versammlung zusammenzurufen, wogen diese Probleme nicht schwer. Mit der Versammlung als zentralem Kommunikationsort war es unproblematisch, gesellschaftliche Kommunikation umfassend und für alle überschaubar abzuwickeln. Sobald Gesellschaften aber derart anwuchsen und sich aus differenzierten, dass sie nicht mehr vorrangig oder ausschließlich in Form von Versammlungen kommunizieren konnten, erwuchsen ihnen erhebliche Schwierigkeiten (vgl. WAGNER 1995: 19). Es brauchte andere Lösungen, um den kommunikativen Austausch weiter umfassend und zuverlässig sicherzustellen, ohne dass die Beteiligten zur gleichen Zeit am gleichen Ort anwesend sein mussten. Die schrittweise Lösung dieses Problems kennzeichnet die weitere Entwicklung sozialer Kommunikation und ihrer Medien, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird.

      17Verfassungsrechtlich war die innerschweizerische Landsgemeinde »als Vertretung aller männlichen Bewohner mit vollem Bürgerrecht« bis ins 17./18. Jahrhundert hinein einzigartig (vgl. REINHARDT 2010: 50-52).

      18Üblicherweise am letzten Sonntag im April (Appenzell Innerrhoden) bzw. am ersten Sonntag im Mai (Glarus).

      19Für ausführliche Beschreibungen der Landsgemeinden in Glarus und Appenzell Innerrhoden vgl. Schaub (2016: 87-92), Vischer (1983a, b), Stauffacher (1964) bzw. Huber-Schlatter (1987: 62-96).

      20Tatsächlich war dies nicht das erste solche Bündnis. Auch in dem sog. Bundesbrief von 1291 wird mindestens ein früherer Bund erwähnt.

      21Entwicklungen vor dieser Zeit, von den keltischen Helvetiern bis zu Stadtgründungen und der Etablierung von Klöstern, können hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden, finden sich aber in dichter Form bei Stadler (2003: 13-33). Vgl. auch Leuzinger (2014), Frei-Stolba/Paunier (2014) und Morerod/Favrod (2014).

      22Mit dem Friedensschluss von 1499 erreichte die Eidgenossenschaft, von den Reichsreformen ausgenommen zu werden, wodurch sie »randständig und parallel dazu ein politisches Gebilde eigener Art« wurde (REINHARDT 2010: 61). In diesem Zuge wurde auch der Weg Basels in die Eidgenossenschaft frei, das ebenso wie Schaffhausen 1501 beitrat. Die erfolgreichen militärischen Manöver der Eidgenossenschaft endeten mit der Niederlage bei Marignano 1515. Der Friedensschluss im folgenden Jahr verhalf ihr aber immerhin zu einigen ›Gemeinen Herrschaften‹, »die knapp dreihundert Jahre später den neuen Kanton Tessin bildeten« (REINHARDT 2010: 63; vgl. ebd.: 56-63).

      23Häufig existieren bei der Versammlungskommunikation (informelle oder formelle) Regeln, wer wann das Wort ergreifen darf, damit alle Repräsentant*innen die Gelegenheit haben, sich zu äußern, aber kein Chaos entsteht. Solche Regeln werden häufig von speziellen Personen, die für die Leitung der Kommunikation verantwortlich sind, kontrolliert und um- bzw. durchgesetzt (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 136).

      24Bei Riepl (2014) findet sich, am Beispiel des antiken Nachrichtenwesens, eine umfangreiche Darstellung der unterschiedlichen Varianten von Kommunikation nach dem Prinzip der Versammlung.

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