Spiritualität der Ökumene - Ökumenische Spiritualität. Группа авторов

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Sie müssen nicht getrennt bleiben, sie können zusammenleben. Ökumene ist keine Utopie.

      2. Die Gemeinschaft von Taizé ist als Gemeinschaft in ihrer Entwicklung unterwegs (La Dynamique du Provisoire); sie ist noch nicht am Ziel, aber schon zusammen unterwegs. Diese Dynamik des Vorläufigen, das je auf die nächste Möglichkeit hin gelassen bzw. um- oder ausgebaut wird, ist die schwache Stärke der Ökumene. Wenn es mit der Ökumene stimmt, kann sie immer je nur vorläufig sein. Jedes Mal muss bzw. darf sie sich mit dem nächsten Schritt selbst überholen. Sie bleibt vor-läufig. Genau darin liegt ihre Dynamik: ihre Kraft und ihre Bewegung.

      3. Die Unterschiede der Konfessionen machen die Gemeinschaft der Brüder nicht leichter, aber sie sprengen die Gemeinschaft nicht. Geht das ohne die Grundoption, zusammenbleiben zu wollen? Taizé zeigt, wie prägend ein Gleichnis der Gemeinschaft werden kann. Roger Schutz hat die Option, das Wollen, die Einsicht und Entscheidung dahinter auch „verraten“ und benannt: keine neue Kirche gründen – wohl aber einen neuen Stil von Kirche leben, vor allem Kirche selbst leben, das Geheimnis der Gemeinschaft.

      2.5 Ökumenische Offenheit – multilaterale Ökumene

      Es gibt in der Ökumene nicht nur bilaterale Verhältnisse zwischen zwei Partnern, sondern mindestens ein ökumenisches Dreieck. Selbst bei katholisch-evangelischer Einigung wäre die ökumenische Aufgabe noch nicht zu Ende, nur die „Frontlinie“ verändert (ebenso bei orthodox-katholischer Einigung). Das Bild vom Dreieck soll das kriegerische Bild der „Front“ überwinden und auf multilaterale Beziehungen öffnen. Denn Ökumene kann nur multilateral, letztlich universal, ans Ziel kommen. Nach meiner Einschätzung müssen wir uns gegenwärtig mindestens auf ein Fünfeck (oder Vieleck) öffnen, denn auch die Freikirchen (vielleicht sogar die synkretistischen Independent Churches), die Evangelicals und Pentecostals (am schnellsten wachsend) gehören in die Ökumene hinein. Der Ökumenische Weltrat der Kirchen hat diese Entwicklung mit dem neuen ökumenischen Forum schon aufzugreifen versucht.

      Im Maße ihres Gelingens, nicht ihres Scheiterns, dürfte der universale Horizont der Ökumene in den Blick kommen, ohne den sie nicht ans Ziel gelangt. Jede Einigung hilft über ihren Bereich hinaus nur in dem Maße, als sie auf den nächsten und den je weiteren Horizont hin offen ist; sonst besteht die Gefahr, dass zwei Kirchen ihre Einigung als trautes Glück zu zweit genießen, ohne dass aber ihnen wie den anderen entscheidend zur Einheit geholfen ist. Die Mauern würden nur umgebaut und auf anderen Linien neue Trennungen errichtet.

      2.6 Sensibel werden für Sensibilitäten des anderen, besonders für seine Verletzungen

      Ich glaube, dass wir miteinander an den schwierigen Stellen nur dann wirklich weiterkommen, wenn wir für die Sensibilitäten der anderen sensibel werden. Und zwar nicht nur für Reizthemen und Auslöser, sondern für die Tiefenstrukturen, die Konstellationen, die Mentalitäten, die sich in den Verletztheiten (als Traumatisierungen, Ängste) verbergen.

      Ein erstes Beispiel: Regeln und Gemeinschaft

      Für Katholiken ist die Versuchung groß, zu meinen, wenn die Organisation stimme, müsse eigentlich die Sache auch klappen, jedenfalls seien die Dinge dann geregelt und würden auf Dauer schon laufen.

      Mit bloß organisatorischer Regelung, so nötig sie ist, ist bei evangelischen Christen kaum einen Schritt weiter zu kommen, ja es droht eher ein Vertrauensverlust. Denn für sie stehen die Glaubenshaltung, die freie Selbstbestimmung, die Gottunmittelbarkeit und das Gewissen im Vordergrund. Da kann sich keine organisatorische, kirchliche Regelung oder Instanz vordrängen oder gar dazwischentreten oder diese Beziehung überdecken. Sie gerät unter Verdacht, Anfrage oder Vorbehalt, als Zusatzbedingung zum Heil daher zu kommen, die deswegen nur abgelehnt werden kann. Wo Katholischsein an Zwischeninstanzen zu Gott hin gebunden erscheint, kommen wir an der Stelle nicht weiter.

      Natürlich kann man die Gegenfrage stellen, ob der Mensch ohne Vermittlung überhaupt auskommen und weiterkommen könne. Aber als Streit gegeneinander ausgetragen, vertieft sie den Graben eher. Der Graben ist nur zu füllen oder zu überbrücken, wenn Regeln und Instanzen als Hilfe und Stütze erfahren werden, ohne sich ihrem Ziel gegenüber zu verselbständigen und auf halbem Wege zu Gott stehenbleiben zu lassen. Vielleicht lässt sich der Hinweis auch so formulieren: Der einzelne ist unhintergehbar. Das ist bei aller Betonung der Gemeinschaft gerade in und von der katholischen Gemeinschaft zu lernen. Wir haben gerade das Glück, dass John Henry Newman, der das Gewissen als vorrangig unterstrich, am nächsten Sonntag (17.9.2010) selig gesprochen wird.

      Umgekehrt gilt – und das ist vielleicht evangelischerseits mehr zu lernen: Gemeinschaft und Verbindlichkeit sind unhintergehbar. Im Blick auf Christus und seine Universalität wird den Christen auch klar(er), dass seine Gemeinschaft, die Kirche, nicht weniger als universal sein kann.

      Ein zweites Beispiel: Das Verhältnis von Wort und Sakrament:

      In evangelischer Sicht sind Wort und Sakrament die beiden Konstitutiva für Kirche, ihre beiden Wesensmerkmale und Erkennungszeichen, auch die beiden entscheidenden, ja die eigentlich allein entscheidenden Heilsmittel. Ihr Verhältnis zueinander ist sehr klar zu Gunsten des Wortes entwickelt.

      Ich bin nicht sicher, ob wir die Wahrheit dieser Sicht katholisch schon nachvollzogen haben. Als Katholiken haben wir nach wie vor die Sakramentalität aus vielen guten Gründen einzubringen, aber ohne die Bestimmungskraft des Wortes zu vernachlässigen. Es ist nicht nur die alte, falsche, trennende und irreführende Entgegensetzung der Kirche des Wortes und der Kirche des Sakramentes (immer noch und wieder neu) zu überwinden. Könnte es nicht sein, dass das Verhältnis von Wort und Sakrament und ihre Spannung untereinander nicht in jeder Kirche gleich gelebt oder bestimmt werden muss, sondern dass das berühmte (und für andere berüchtigte) katholische et … et (sowohl … als auch, was das Verhältnis noch nicht bestimmt, sondern die Spannung aufrechterhält) auch ökumenisch zur Geltung kommen kann und Spielraum gibt (und zu gegenseitiger Befragung und fruchtbarer Rechenschaft führt), solange kein Pol aufgelöst, also weder das Wort ins Sakrament noch das Sakrament ins Wort aufgehoben wird? Dann blieben die Kirchen heilsam beunruhigend füreinander genau in einem Punkt, in dem beide Seiten sensibel sind. Gelingen kann das nur bei Wohlwollen füreinander, Vertrauen zueinander und ohne allein Recht haben zu wollen, d. h. mit dem Sinn für die eigene Verletztheit und die Verletztheit des anderen (Partners). Können wir uns daran gewöhnen, nicht nur in Richtigkeiten oder fertigen Antworten, sondern in (lebendigen und belebenden, nicht verletzenden) Spannungen zu leben? Auf der Ebene theologischer Schulen wurde das schon im Mittelalter eingeübt und gelernt.

      Noch einmal anders: Es geht darum, sensibel zu werden für Sensibilitäten, aber nicht so, dass man mit dem anderen nur noch mit Glacéhandschuhen wie mit einem hochempfindlichen Patienten umgeht, sondern so, dass man in den Sensibilitäten erkennt: Wir selbst sind hier auch deswegen so empfindlich, weil die Sensibilität des anderen – spiegelbildlich – die Schwachstellen oder Sensibilitäten des eigenen „Systems“ anzeigt und zu spüren gibt. Auch die Sensibilitäten sind gegenseitig. Wir sind seit der Reformation und wegen der Reformation gegenseitig und „in Gegenseitigkeit“ verstrickt. Auch nach der Reformation kommt keiner allein auf eigenen Wegen ohne den anderen uneingeschränkt ans Ziel, weder zu Gott noch zur Einheit.

      Damit möchte ich das Wort zur gegenseitigen Aussprache zurückgeben.

      1 Rupnik SJ, Marko Ivan: The Color of Light. Rom: lipa 2003, 33.

      2 UR: das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio, DH: Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. von Peter Hünermann. Freiburg/Basel/Rom/Wien: Herder 402005.

      3 „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Berühmt geworden ist dieser Satz, mehr noch diese Haltung, durch den folgenreichen Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe 1966, der die polnisch-deutsche Versöhnung auf katholischer Ebene einleitete und in Polen zu heftigen Reaktionen


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