Lebendige Seelsorge 6/2020. Verlag Echter
24.
Scholl, Norbert, Gott – der die das große Unbekannte. Staunens-Wertes und Frag-Würdiges, Ostfildern 2020.
Schüßler, Michael, Mit Gott neu beginnen. Die Zeitdimension von Theologie und Kirche in ereignisbasierter Gesellschaft, Stuttgart 2013.
Theobald, Christoph, „Gott ist Beziehung“. Annäherungen an das Geheimnis der Trinität, in: Concilium 37 (2001), 34–45.
Die Pandemie hat Stärken und Schwächen der Kirchen deutlicher gemacht – und mehr Fragen als Antworten geliefert
Die Corona-Pandemie hat das gewohnte Leben mit einem Schlag verändert – und verändert es immer noch. Wir stehen aktuell mitten in der „zweiten Welle“ – und haben immer noch mehr Fragen als Antworten. Und dies gilt auch hinsichtlich einer Einschätzung aus theologischer Sicht. Die Bandbreite reicht dabei von Fragen zur Klerikalisierung, über Liturgie und Seelsorge bis hin zum deutlichen Digitalisierungsschub. Johann Pock
Zunächst: Auch die Religionen und Glaubensgemeinschaften haben keine tragfähige und allgemeingültige Antwort auf eine solche Krise. Vielmehr stellt die Pandemie Gewohnheiten und Traditionen in Frage – und das ist grundsätzlich nicht schlecht. Das Innehalten des gesamten öffentlichen Lebens in der Phase des Lockdowns hat Stärken und Schwächen geoffenbart – und ein ‚weiter wie vorher‘ ist danach nicht mehr sinnvoll und möglich.
HIERARCHIE UND KLERIKALISIERUNG
Strukturell wurde die immer noch bestehende große Kluft zwischen Hierarchie und Basis deutlich: Bei aller Betonung des gemeinsamen Priestertums, bei aller Wertschätzung von LaienmitarbeiterInnen, waren monatelang in der medialen Wahrnehmung fast ausschließlich Bischöfe und Priester sichtbar. Das ist zum einen ja auch verständlich: Denn auch politisch wurde nur auf die Führungspersonen geschaut und die mittleren oder auch regionalen Verantwortlichen waren weniger sichtbar.
Dass genau in diese Zeit die Veröffentlichung einer Instruktion zur „Umkehr der Pfarrei“ durch die Kleruskongregation fiel, in welcher die alleinige Leitungsvollmacht des Priesters in der Pfarrei hervorgehoben wird, ist vermutlich keine zufällige Koinzidenz.
Gleichzeitig gab es aber auch eine deutliche Gegenbewegung: Denn den Hierarchien bzw. den vielen Hauptamtlichen blieb oftmals nur mehr die mediale Kommunikation – sowohl durch digitale Medien als auch durch Texte und Materialien, die häufig in Kirchen zur freien Entnahme aufgelegt wurden. Die alltägliche Begegnung hingegen, die Begleitung vor Ort, die gewohnten Seelsorgegespräche und Sakramentenspendungen waren reduziert, teilweise ausgesetzt. Ersetzt wurden sie hingegen durch Hauskirche, durch Laienseelsorge, durch die einfache Hilfe im Lebensumfeld.
Johann Pock
Dr. theol. habil., Prof. für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Wien; Forschungsschwerpunkte: Ritualentwicklung, Pastoralliturgie, Gemeindepastoral und Homiletik.
MACHT UND MACHTVERLUST
Die begrenzte Pastoralmacht wurde damit deutlich wie nie. Paradigmatisch kann dafür die offizielle Aussetzung der Sonntagspflicht durch die Bischöfe gelten – und ihre neuerliche Inkraftsetzung im Sommer. An den Zahlen der GottesdienstteilnehmerInnen hat dies in meiner Wahrnehmung wenig verändert; es wird für einige wenige KatholikInnen eine moralische Hilfestellung dargestellt haben. Das Faktum jedoch, diese Pflicht aussetzen und wieder in Kraft setzen zu können, zeigt den letzten Rest von Pastoralmacht an.
Und die Ohnmacht hat sich letztlich auch darin gezeigt, dass uralte Traditionen nicht mehr durchgeführt werden konnten: Die gewohnte Karwochenliturgie, aktuell die gemeinschaftlichen Gräbersegnungen, viele Prozessionen und vor allem auch viele Sakramentenfeiern wurden abgesagt oder verschoben. Vielen Bischöfen wird daher vorgeworfen, dass sie vor der Staatsmacht kapituliert – und ihre Kirchen somit die Systemrelevanz verloren hätten. Solche Kritik geht jedoch noch von einem voraufgeklärten Verständnis kirchlicher Macht aus: Religionen haben in einer Demokratie keine obrigkeitliche Macht (was gerade in der Pandemie deutlich geworden ist), außer in den internen Entscheidungsprozessen (wie die Frage der Zulassung zum Weiheamt in der römischkatholischen Kirche verdeutlicht). Gerade aber das Anerkennen von Machtverlust und damit die Positionierung an der Seite derer, die einer Pandemie machtlos gegenüberstehen, stellt eine Verortung der Kirche dar, die ursprungsgetreuer ist als so manche prunkvolle oder machtvolle Inszenierung.
Ein anderer Bereich, der wesentlich zum christlichen Leben dazugehört, hat jedoch in der Pandemie stark gelitten: die Seelsorge.
KONZENTRATION AUF LITURGIE
Der Frage von Gottesdienst und Macht. Klerikalismus in der Liturgie widmete aktuell die Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz eine eigene Fachtagung (29.10.2020). Dabei hob Julia Knop hervor, dass die römisch-katholische Liturgie die Kirche als ein amtlich, ständisch und männlich dominiertes Gebilde präsentiere. Dies gilt vor allem für die Eucharistiefeiern und Sakramente. Durch die Einschränkungen wurde die mühsam erarbeitete und etablierte Vielfalt der liturgischen Dienste plötzlich überflüssig oder unsichtbar.
Zugleich haben die letzten Monate jene Formen von Liturgie gefördert, in denen im kleinen Kreis im Rahmen von Bibel-Teilen, von Online-Communities oder auch im Familienkreis Gottesdienste gefeiert wurden. Bestimmt wurden diese Feiern nicht von der Amtslogik, sondern vom persönlichen Charisma jener Frauen und Männer, die hier Initiativen ergriffen haben.
SEELSORGE IN NÖTEN
Ein anderer Bereich, der wesentlich zum christlichen Leben dazugehört, hat jedoch in der Pandemie stark gelitten: die Seelsorge. Seelsorge gehört zu den Kernaufgaben christlicher Kirchen: die Sorge darum, dass es Menschen gut geht; die Sorge um Heilung. Selten zuvor wurde medial so viel und so lange über Krankheit und Heilung berichtet und diskutiert – fokussiert auf die Erkrankungen an und mit Covid-19 und die Heilungsmöglichkeiten. Doch der mögliche Beitrag der klassischen seelsorglichen Tätigkeiten kommt darin kaum vor. Im Zentrum stehen ÄrztInnen und PflegerInnen, VirologInnen und DigitalisierungsexpertInnen. Medial ging es um die „Auferstehung der Wirtschaft“ und um den „Wiederaufbau“ unseres kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Der Jesuit und Psychologe Eckhart Frick meint sogar, dass die ÖkonomInnen und PolitikerInnen anstelle von Trauerbegleitenden und Seelsorgenden zu den „neuen Hirten“ geworden seien.
Vor allem die Caritas hat aber auch die andere Seite deutlich gemacht: Eine solche Krise fordert noch stärker heraus, die christliche Solidarität mit den Ärmsten nicht zu vergessen – und dabei den Horizont nicht einzuschränken auf die Armut in der unmittelbaren Nähe, sondern weiterhin ebenso auf die Ärmsten im größeren Umfeld zu schauen. Denn das Leid und das Sterben an den EU-Außengrenzen hat ebenso wenig aufgehört wie die Hungersnöte in Afrika oder die Verfolgungen in anderen Ländern. Vor allem darf diese Situation nicht schöngeredet werden: Als „Chance“; als Möglichkeit, sich auf „das Wesentliche“ zu konzentrieren; als die Gelegenheit, mehr Zeit in der Partnerschaft zu verbringen etc. Das mag für einzelne durchaus auch stimmen. Was aber ist mit jenen, denen es effektiv dreckig geht? Denen daheim die Decke auf den Kopf fällt? Die nicht die Kraft und Lust haben, zum Hörer zu greifen und sich ihr Leid ‚von der Seele‘ zu reden?
AUSWEITUNG DES SEELSORGEVERSTÄNDNISSES
Seelsorge hat hier vor allem mit dem Aufmerksam werden zu tun, wo jene Menschen sind, die Hilfe brauchen – und eben nicht nur mit dem Warten, dass sich jemand von sich aus rührt und kommt (so wichtig es ist, dass Menschen auch wissen, wohin und an wen sie sich wenden können!). Das Nachfragen ist dabei möglicherweise verbunden mit der Erfahrung der Abweisung; aber dennoch: SeelsorgerIn sein heißt hier, sich auszusetzen und auch mit Ablehnung der angebotenen Hilfe zu rechnen. Hier wird nochmals eine eigenartige Nomenklatur in der römisch-katholischen Kirche deutlich: Dass immer noch häufig mit Seelsorgern nur die Kleriker gemeint sind – obwohl seit vielen Jahren Laien als Krankenhaus-SeelsorgerInnen und in anderen kategorialen Bereichen eingesetzt sind. Und obwohl viele PastoralreferentInnen und –assistentInnen sich auch SeelsorgerInnen nennen (dürfen). Dennoch wird Seelsorge