Lebendige Seelsorge 6/2020. Verlag Echter

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gemeinsame Sonntagsgottesdienst? Welche theologische Qualität hat eine virtuelle Gemeinschaft über neue Medien? Auch diese Fragen sind nicht erst durch die Pandemie entstanden – was sich nicht zuletzt an der veränderten Wahrnehmung des Leitungsdienstes in der Kirche in den letzten Jahren gezeigt hat. Welche theologische Bedeutung haben päpstliche Twitterbotschaften oder morgendliche päpstliche Predigten?

      Bei aller Sympathie für und Zustimmung zur „vorsichtigen Theologie“, die Bundschuh-Schramm benennt, gibt es jedoch zugleich die berechtigte Erwartung der Menschen, dass ihnen auch Wegweisung geboten wird. Diese gehört meines Erachtens zu den zentralen Aufgaben einer Religion. Die Zeitdiagnose teile ich: dass wir in unsicher gewordenen Zeiten leben. Andererseits gab es Unsicherheiten (und noch viel größere) auch zu anderen Zeiten. Eine Religion, die nicht auch Sicherheiten anzubieten hat (sowohl im Hier und Jetzt, als auch für ein „Danach“), verliert ihre Berechtigung. In der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate heißt es: „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (Nostra aetate 1).

      Eine Religion, die nicht auch Sicherheiten anzubieten hat (sowohl im Hier und Jetzt, als auch für ein „Danach“), verliert ihre Berechtigung.

      Die Wegweisungen und Hilfestellungen sind aus Tradition und Gegenwart zu entwickeln – und Bundschuh-Schramm gibt ja auch Antworten, z. B. mit der Netzwerk-Theorie im Blick auf die Beziehungskategorie. Wissenschaftlich arbeite ich vor allem mit Fragen und Hypothesen – dies treibt Wissenschaft voran. In der Praxis sind jedoch auch Antworten notwendig. Das Spannende in der aktuellen Situation ist für mich gerade, dass manche bisherigen Antworten brüchig geworden sind. Zugleich haben Menschen auch das Recht auf Hilfestellung, wenn sie ihre Trauer nicht ausleben können, weil sie zum sterbenden Angehörigen nicht gehen durften oder weil die gewohnten Trauerrituale untersagt waren. Oder wenn die üblichen Routinen, die bisher einen Rhythmus des religiösen Lebens geboten haben, unterbrochen sind.

      Die theologische Interpretation von Digitalität hat durch die Pandemie einen großen Schub erfahren. Denn viele Momente christlichen Lebens, die zuvor hauptsächlich von physischer Präsenz geprägt waren, haben eine digitale Transformation erlebt. Präsenz wird nicht nur in der Gemeinde vor Ort, sondern auch in virtuellen Räumen erfahren. Und auch religiöse Erfahrungen sind über digitale Medien möglich, wie die vielen Online-Gottesdienste zeigen.

      Besonders die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass persönliche Gespräche, Teilnahme an gemeinschaftlichen Feiern, ja sogar Verabschiedungen von Verstorbenen via Internet für die Menschen heilsame Erfahrungen waren. Theolog*innen sind ja Expert*innen für Erfahrungen, die nicht sichtbar oder greifbar sind. Daher ist eine Theologie der Digitalität ein Desiderat für die kommende Zeit.

      Theolog*innen sind ja Expert*innen für Erfahrungen, die nicht sichtbar oder greifbar sind. Daher ist eine Theologie der Digitalität ein Desiderat für die kommende Zeit.

      An einem Punkt würde ich aber Bundschuh-Schramm doch widersprechen – nämlich beim Blick auf die Praxis. Sie sagt: „Die Praxis in der Spur Gottes zu fordern, fällt uns Theolog*innen aktuell leichter als die Theorie.“ Natürlich sind Theolog*innen nicht primär für die Praxis zuständig, sondern für die Reflexion der Praxis. Und natürlich gibt es auch Personen, die eine Praxis einfordern (z. B. eine religiöse Praxis), die idealisiert ist oder nicht lebbar. Und doch möchte ich hier eine Lanze für die Praxis brechen. Denn zumeist gibt es ja den Vorwurf, dass zu viel geredet und zu wenig getan wird. Es geht aktuell aber darum, wie das Leben zu gestalten ist, sodass man andere nicht in Gefahr bringt und auch selbst lebt und überlebt. Praxis heißt jedoch nicht theorieloses Handeln: Hier würde ich nachschärfen. Denn natürlich war in der Pandemie das kirchliche Handeln unmittelbar gefragt – in der Seelsorge, in der Begleitung von Menschen, im Anbieten und Feiern von Ritualen bzw. Gottesdiensten. An der Reflexion dieser Erfahrungen sind aktuell sehr viele Institutionen und Personen beteiligt. Ich würde sogar sagen, dass wir gerade jetzt erst intensiver in die Theorie gehen können, da sich neue Fragen aufgetan haben. Welche Bedeutung haben die Sakramente für das Leben der Kirche? Wie sieht es mit der Notwendigkeit von physischen Elementen aus (verbum et signum) – z. B. bei der Beichte, wo kein physischer Kontakt möglich ist? Dass die Theoriebildung angesichts dieser vielfältigen veränderten Praxis eine ziemliche Herausforderung darstellt, dem stimme ich jedenfalls auch zu.

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