Theologie der Caritas. Группа авторов

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durch den der Mensch zu etwas ganz anderem wird, als wir sind. Wie Paulus auf den Geist setzt und gegen das Fleisch Stellung bezieht, verbannt er aus dem Gläubigen, in dem Christus lebt, alles Erotische. Das Wort der Genesis, das der Zusammengehörigkeit von Mann und Frau die Würde des Humanum gibt, „und die Zwei werden ein Fleisch sein“,10 wird von Paulus zitiert, um zu demonstrieren, dass dem Menschen, der nicht Geist, sondern Fleisch ist, nichts als sündenhafte Hurerei bleibt. Der Mann, der einer Frau anhängt, hängt als Hurer einer Hure an. Für Paulus lässt das „ein Fleisch“ keine andere Deutung zu. Wer dagegen dem Herrn anhängt, der ist mit ihm „ein Geist“ (hen pneuma). Sind Zwei ein Fleisch, dann sind sie eine Sünde, ein Abfall vom Herrn. Der Gläubige hat kein Fleisch, hat unmöglich Verlangen nach einem anderen Menschen. Sein fleischloser Leib ist Tempel des Geistes Christi, ist also, anders als das Fleisch, nichts selbsthaft Eigenes. Der selbsthafte Mensch kann nur sündhaft sein. Der Leib eines Gläubigen dagegen ist erst gar nicht für den Eros disponiert. Hier fällt das Wort, dass die dem Herrn anhängen, nicht sich selbst gehören (ouk este heautôn). Der pneumatische Leib, der den Gläubigen mit dem Geist Christi einen Geist sein lässt, ist von göttlicher Selbsthaftigkeit. Fleisch und Geist, wie Paulus bekräftigt, liegen unversöhnlich miteinander im Streit,11 ja er wagt das Bild, dass alles Fleisch mit seinen Leidenschaften und Lüsten gekreuzigt gehöre.12

      Das ist keine gute Ausgangslage, um einem Humanum Gestalt zu geben, dass kein Divinum ist. Soll, ja muss denn ein Humanum, werden Theologen und Gläubige fragen, nicht ein Divinum sein? Nun ist es Grundsatz monotheistischer Religionen „Der Mensch ist nicht Gott“. Allmacht und Ohnmacht sind nicht vermittelbar. Wer es mit dem Buch Hiob hält, weiß, dass alles Recht bei Gott ist und selbst der gerechteste Mensch kein Recht hat, mit Gott zu rechten. Als das Hiob spät, aber nicht zu spät einsieht und sich in Staub und Asche vor dem einzigen Rechthaber niederwirft, erhält er alles doppelt zurück, was Gott ihm zur Strafe genommen, nur die Kinder an gleicher Zahl, freilich schöner. Nein, wie es der Theologe will und womit sich selbst Philosophen befreunden: Die Grenze hält nicht. Heißt es im Gilgameschepos, dass Götter sich die Unsterblichkeit allein vorbehalten, Gilgamesch also bei allem Unsterblichkeitsbemühen nicht mehr erreichen konnte, als Herr im Totenreich zu werden,13 so denkt, glaubt und hofft Paulus anders. Für ihn steht als Ziel das „von Angesicht zu Angesicht“, ja die Vereinigung mit Gott fest. Einem Humanum, das seinen Namen verdient, ist damit à-Dieu gesagt.

      Begegnen Menschen einander, dann ist in der Regel Selbstsein im Spiel. Bei der Nächstenliebe, in die Paulus die göttliche Gesetzgebung zusammenfasst14, ist das nicht der Fall. Sie lässt keine Selbsthaftigkeit zu, sondern verlangt unterwürfigen Gehorsam: Sie ist die Erfüllung des Gesetzes (plêrôma oun nomou hê agapê). Wie Gott den Gläubigen nicht selbsthaft rechten lässt, so lässt er ihn auch nicht selbsthaft lieben. Gott, der den Menschen zuerst geliebt hat15, wodurch er ihn dazu bewegt, Gott zu lieben, schenkt in seiner Liebe dem Menschen keine Selbsthaftigkeit, im Gegenteil: Hoti theos agapê estin, quoniam Deus caritas est, „denn: Gott ist Liebe“16 – der dem Johannesevangelium zugetane Briefschreiber, der durch die Idee des liebenden Gottes der Gemeinde ein Vorbild für das Miteinander geben will, predigt ihr damit Gegenliebe zu Christus, nicht Menschenliebe. Der Nächste ist hier christlich gesehen: Ihn zu lieben fordert, in ihm den Geist Christi zu lieben. Auch die Liebe zu sich „selbst“ gilt keiner eigenen Herrlichkeit, sondern dem „Herrn“. Bereits im Alten Testament ist Nächstenliebe als liebende Fürsorge für die Geringsten (penestatoi) und Ärmsten ausdrücklich Ehrung Gottes.17 Ist für Kant die Würde des Menschen dadurch gegeben, dass es seine Wesensbestimmung ist, selbsthaft vernünftig zu sein, dann für den Gläubigen durch den ihm einwohnenden Geist Christi. Beide haben keinen Zugang zu der Einsicht, dass Menschenwürde praxisdefinit ist, d.h. dass sie nur dort wahr wird, wo Menschen einander als Menschen behandeln, schätzen und eben würdigen. Die Vorstellung ist zu verabschieden, Würde sei ursprünglich Mitgift jedes Einzelnen – entweder rein durch seine Kreatürlichkeit oder durch seine Vernunftbestimmtheit. Nein, dazu bedarf es der zwei und drei.

      Das durch die Tora in die Glaubenswelt eingebrachte Gesetz der Nächstenliebe fordert eine dem Geist Gottes dienende Liebe. Sie folgt keiner Gesellschaft und Gemeinschaft verpflichtenden Rationalität, sondern ist Sache des gläubigen Herzens.18 Als Bild kann ihr das Verhältnis von Mutter und Kind dienen, nicht das von Mann und Frau. Paulus‘ berühmtes Wort „aber die Liebe ist die größte unter ihnen“19 ist nicht zu Hochzeitspaaren gesprochen. Nächstenliebe ist geschlechtsindifferent, wenn doch ihre Taten als Gesetzeserfüllung den gläubigen Geist fordern. Gilt ihre Zuwendung auch Gebrechlichen und Hinfälligen, so ist sie in erster Linie eine geistige. Doch von der Liebe zwischen Mann und Frau trennt sie noch mehr als die in ihr dominante gläubige Geistigkeit. In der geschlechtlichen Indifferenz liegt auch schon, dass sie im Verhältnis zum Anderen keine selbsthafte Zweiheit bildet. So provokant das für Sie klingen mag: Nächstenliebe ist solipsistisch. Allein Gott kann für den Gläubigen selbsthaft sein. Handelt Nächstenliebe in göttlichem Geiste, dann im Auftrag des einen Selbst. Es ist die wunderbare Sicht des Glaubens, die in den Anderen nichts Andersartiges, sondern Gleichartiges sieht. Brüder und Schwestern in Christo. Genau das unterbindet die Ausbildung selbsthafter Alterität.

      Alle einseitig dem Geist verpflichtete Menschendeutung kann nur eine auf den Einzelnen ausgerichtete sein. Soll ein Mensch Anderen gegenüber vernünftig handeln, dann verlangt Kant von ihm, das rein um des Vernunftgesetzes willen zu tun, ohne jede Gefühlsbegleitung. Philanthropie ist für ihn der Tod aller Moralität, weil sein Sittengesetz das reine Selbsterhaltungsgesetz der Vernunft ist. Er könnte das Paulus und jenem Briefschreiber abgeschaut haben. Es geht um ein Höherem verpflichtetes Tun, als es das lebensteilige Gelingen ist. Ich weiß, ich rede damit an der Praxis christlicher Gemeinden vorbei, und ich tue das bewusst. Als Philosoph betreibe ich nicht Feldforschung, verfolge ich nicht Interessen einer empirischen Soziologie, sondern halte ich mich an den christlichen Geist, wie er in den für ihn verbindlichen Schriften vorgezeichnet ist.

       II.

      Als Philosoph, der sich interdisziplinär umgesehen hat, behaupte ich, dass Menschwerdung eins ist mit Selbstwerdung. Um ein Selbst werden und sein zu können, bedarf es des Umgangs mit anderen Selbsten. Sind für den, der dem „Herrn“ folgt, Glaube, Liebe, Hoffnung die Wegzehrung, dann für den, der auf dem Wege der Bildung des Selbst ist, leibhafte Lebendigkeit, Geselligkeit und Geschlechtlichkeit. Heißt das Motto zum 1. Kapitel von De imitatione Christi des Thomas a Kempis „Folge Christus nach und lerne verschmähen, was vergänglich ist“20, dann könnte für den sein Selbst Bildenden das Motto lauten: „Lerne dich selbst zu sehen im Anderen“.

      Wir kommen nicht mit einem Selbst auf die Welt. Der Neugeborene ist ohne Selbstsein. Es ist die Mutter, gerne auch die eindeutige Bezugsperson, die ihn mit Selbstsein belehnt. Für den Säugling ist der erste Schritt in Richtung der Bildung eigenen Selbstseins das Sichselbstkennenlernen, seine Selbstwahrnehmung. Die aber ist nur möglich durch das In-Resonanz-Kommen mit Anderen. Ein einfaches Beispiel: Der Andere öffnet den Mund, der Säugling ahmt das nach und öffnet ebenfalls den Mund. Ich erspare es uns, Näheres von dem zu erzählen, wie das Selbst sich dadurch bildet, dass Einer seinen Körper durch Spiegelung kennen und regulieren lernt, seine Gefühle und alles, was das Selbst ausmacht, das nie etwas Fertiges ist, sondern ständig im Umgang mit anderen Selbst dazugewinnt.

      Das Wissen, dass Selbstsein sich dem Einander verdankt, ist alt. Ich habe schon früh Aristoteles mit dem erstaunlichen Wort zitiert: „Wenn wir unser Gesicht sehen wollen, sehen wir in den Spiegel, wenn uns selbst, auf den Freund, denn er ist, wie wir sagen, das andere Ich (heteros egô).“21 Gott dagegen, wie er bemerkt, kann keinen Freund haben, weil er autark ist,22 ein indirekter Beweis dafür, dass wir zu unserem Glück nicht autark sind, sondern zur Bewährung unseres Selbst Andere brauchen. Wir alle, die zu geistigem Austausch und zur Würdigung eines Menschen hier zusammengekommen sind, beweisen durch unsere selbsthafte Präsenz, leibhaft wie geistig, dass wir das Bedürfnis haben, einander zu brauchen und füreinander fruchtbar zu sein. Bevor ich auf den dritten Fundus unserer Selbsthaftigkeit eingehe, auf die Geschlechtlichkeit, muss ich Sie an etwas Wichtiges erinnern: Wir alle, die wir hier als gelungenes Selbstsein Gegenwart teilen,


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