Willy Garaventa. Rebekka Haefeli
und 129 Seilbahnen aufgrund ihrer besonderen kulturhistorischen und/oder technischen Bedeutung ins Inventar aufgenommen. Dieses Seilbahninventar des BAK – in welchem Standseilbahnen, Pendelbahnen, Umlaufbahnen und Skilifte erfasst sind – führt 14 Anlagen auf, die von der Firma Garaventa erbaut worden sind oder an deren Bau Garaventa beteiligt war.
Der Name Garaventa begegnete mir in der Vergangenheit beim Wandern oder Skifahren als weisser Schriftzug auf dunkelblauem Grund. Schon oft bin ich mit einer Garaventa-Seilbahn gefahren oder habe mich von einem Garaventa-Skilift in die Höhe ziehen lassen. Erneut auf das Unternehmen aufmerksam wurde ich mit der Einweihung der neuen Standseilbahn auf den Stoos Ende 2017. Die steilste Standseilbahn der Welt mit einem futuristischen Design überwindet 110 Prozent Steigung. Entwickelt hat diese Bahn das Seilbahnunternehmen Garaventa mit Sitz in Goldau (SZ). Inspiriert von den Medienberichten über die Stoosbahn, begann ich noch ohne konkretes Ziel zu recherchieren.
Ich fand heraus, dass in Immensee (SZ) ein gewisser Willy Garaventa wohnt. Nach ein paar Klicks wusste ich, dass es sich bei Willy Garaventa um einen Schweizer Seilbahnpionier handelt. Sein Vater hatte im Herzen der Schweiz, am Fuss der Rigi, mit dem Seilbahnbau begonnen. Später übernahmen Willy Garaventa und sein Bruder Karl die Firma vom Vater. Mit viel Engagement und Herzblut führten sie das Familienunternehmen zu weltweitem Erfolg. Die Garaventas gehörten zwar nicht zu den Allerersten, die in der Schweiz Seilbahnen konstruierten. Doch sie waren ambitioniert, bereicherten die Branche mit eigenen Erfindungen und arbeiteten sich mit sicherem Gespür für Innovationen an die Spitze vor.
Die Brüder setzten auf Learning by doing und bildeten sich ihr Arbeitsleben lang weiter. Das Zweiergespann ergänzte sich perfekt, bis der Ältere von beiden, Karl Garaventa, 1989 starb. Vier Jahre später, 1993, gab Willy Garaventa die operative Tätigkeit im Unternehmen auf, um seine angeschlagene Gesundheit zu schonen. Die von ihm initiierte Nachfolgeregelung erwies sich schliesslich als zukunftsweisend: 2002 fusionierte die Innerschweizer Firma Garaventa mit dem österreichischen Unternehmen Doppelmayr. Die Doppelmayr-Garaventa-Gruppe ist heute, im Jahr 2019, der Weltmarktführer im Seilbahnbau.
Die wenigen Eckpunkte zur Firma Garaventa, die ich bei meiner kurzen Suche im Internet in Erfahrung gebracht hatte, weckten meine Neugier. Ich beschloss, Willy Garaventa anzurufen. Mein erstes Telefongespräch mit ihm verlief allerdings wenig ermutigend. Es gelang ihm zunächst, mich abzuwimmeln. Er stehe nicht für ein Interview zur Verfügung, sagte er mir. Da er aber meinen Namen aufgeschrieben hatte, fand mich seine Tochter Alexandra Garaventa wieder. Sie war es, die mich ein paar Wochen später anrief, sodass schliesslich dieses Buchprojekt ins Rollen kam. Auf unseren ersten Kontakt folgten viele Gespräche mit Willy Garaventa, aber auch mit seiner Frau Beatrice und den Töchtern Alexandra und Daniela Garaventa. Die Erinnerungen in den ersten Kapiteln zu Nonno Giuseppe Garaventa entnahm ich mehrheitlich den privaten Aufzeichnungen von Maria Carolina Merz-Garaventa, Willy Garaventas ältester Schwester.
Dieses Buch beruht aber hauptsächlich auf Willy Garaventas Erinnerungen. Wir trafen uns meist bei der Familie zu Hause in Immensee, wo er mir seine Lebensgeschichte erzählte. Seine Biografie verschmilzt über weite Strecken mit der früheren Firmengeschichte. Das Unternehmen wuchs parallel zum Aufschwung der Seilbahnbranche in der Schweiz. Ein Gespräch über die Bedeutung der Luftseilbahnen früher, heute und morgen rundet die Biografie des Schweizer Seilbahnpioniers ab.
Willy Garaventa ist ein Abenteurer, der die Welt als Seilbahnbauer entdeckte und dabei an Orte kam, an denen zuvor noch nie jemand war.
Aufbruchstimmung
Weltrekord in den USA
Kurz vor Weihnachten 1968 verkündet das Wintersportgebiet Squaw Valley in den USA, die Einweihung der bis dahin grössten Luftseilbahn der Welt stehe bevor. Journalisten aus den Vereinigten Staaten verbreiten die Nachricht über das Land. «NEW TRAMWAY CARRIES 120 PASSENGERS – Squaw Valley Gets Giant Cable Car» titelt die Chicago Tribune einige Wochen vor der Eröffnung.2 Die Seilbahn wird als Sensation und Weltneuheit verkauft, wobei die Journalisten den Fokus auf das aussergewöhnliche Volumen der Kabinen richten. Mit der neuen, riesigen Drei-Millionen-Dollar-Luftseilbahn könnten 120 Passagiere aufs Mal transportiert werden, heisst es; das seien so viele wie noch nie zuvor. Der Berichterstatter der Chicago Tribune erwähnt das futuristische Design der beiden Seilbahnkabinen und streicht heraus, dass die Bahn nicht in den USA, sondern in der Schweiz konstruiert worden sei. Auch das Reno Gazette-Journal macht mit einem Artikel auf die enorm grosse, neue Bahn aufmerksam, die in Squaw Valley gebaut werde: «Huge Ski Lift Being Built In Squaw Valley».3
Die Flut der Schlagzeilen reisst nicht ab. Am Tag nach der Eröffnung berichten Zeitungen in vielen Teilen der USA über das Ereignis. Die Leserinnen und Leser erfahren, dass das bekannte Wintersportgebiet Squaw Valley mit der Luftseilbahn neue Massstäbe gesetzt habe. So schreibt der Kolumnist des Pasadena Independent, die Eröffnung der Bahn spiegle den Fortschritt im Skisport in den zurückliegenden zwanzig Jahren wider.4 «Squaw Valley Still Growing – SQUAW IS BUSTING OUT ALL OVER» titelt er, was auf Deutsch ungefähr heisst: «Squaw Valley wächst weiter und übertrumpft alle». Der Journalist hält fest, Squaw Valley habe seine letzte und neueste Errungenschaft für seine Ski-Megalopolis enthüllt und neben der Bahn auch ein bemerkenswert modernes Stationsgebäude präsentiert.
Die Kunde von der neuen Seilbahn macht nicht nur Schlagzeilen in den Vereinigten Staaten, sondern weit darüber hinaus. In der Schweiz wird die Nachricht ebenfalls freudig aufgenommen, denn die Seilbahn wurde von einer kleinen Innerschweizer Firma gebaut: Karl Garaventas’s Söhne aus Goldau im Kanton Schwyz.
Der Bote der Urschweiz widmet der Einweihung einen ausführlichen Artikel und vermeldet die Eröffnung in den Vereinigten Staaten mit einer Portion Lokalpatriotismus: «Die Seilbahn mit den grössten Kabinen der Welt dem Betrieb übergeben – Erstellt von einer Schwyzer Firma».5 Der Berichterstatter erfasst die Bedeutung dieses Ereignisses ganz richtig, indem er weiter schreibt: «Dieser Auftrag zum Bau der grössten Seilbahn der Welt ehrt nicht nur die Unternehmerfirma Garaventa AG und ihre Unterlieferanten, sondern beweist erneut, dass schweizerische Qualitätsarbeit im In- und Ausland hoch geschätzt wird.»
Im Rückblick kann man sich fragen, ob die Sache mit der Weltneuheit wirklich stimmte. Ebenfalls 1968 wird am Crap Sogn Gion im Kanton Graubünden eine Bahn für 125 Personen eingeweiht; erstellt hat sie die Firma Habegger, ein Konkurrent von Garaventa.6 Überliefert ist, dass die Kabinen in Squaw Valley für ein Fassungsvermögen von 140 Personen projektiert worden waren. Da sich im Lauf der Planung herausstellte, dass das Durchschnittsgewicht der Amerikaner um einiges höher liegt als das der Europäer, ging die Rechnung am Ende nicht ganz auf. Zugelassen werden die zwei Kabinen schliesslich für den Transport von je 120 Passagieren. Auch das ist freilich mehr als bei den meisten damaligen Seilbahnen üblich. Das Wetteifern illustriert die Konkurrenz der Seilbahnbauer in jener Zeit. Sie arbeiten darauf hin, sich bei der Grösse der Kabinen gegenseitig zu übertrumpfen.
Die Squaw-Valley-Bahn markiert einen Meilenstein in der Seilbahngeschichte. Schon nach kurzer Zeit ist sie weltbekannt und wird legendär. Mehr als vierzig Jahre nach dem Bau blickt Squaw Valley in einer Jubiläumsschrift auf den Tag der Eröffnung zurück und lässt die prickelnde Stimmung von damals nochmals aufleben: Die Bahn sei ein «fantastisches Bauwerk»; die Rede ist vom «technologisch fortschrittlichsten Seilbahnsystem der Welt».7 In jeder Zeile kommt die Bewunderung für die Konstrukteure zum Ausdruck: «Das Meisterstück moderner Ingenieurskunst umfasst Meilen von Drahtseilen, komplexe elektrische und mechanische Systeme und unzählige Tonnen Zement und Stahl.» Die Bahn wird aufgrund der neuartigen Dimensionen in den USA auch «The Monster» genannt. Der Rummel in der Presse und in der Bevölkerung ist gross, und entsprechend wird der Eröffnungsanlass als Spektakel inszeniert. Um die Grösse und die Bedeutung der Seilbahn zu unterstreichen, wird «Bertha the Elephant» engagiert. Der Zirkuselefant unterhält die Gäste, während diese launig an ihren Cocktails nippen.
Irgendwo in diesem fröhlichen Trubel befindet sich an diesem Dezembertag im zu Ende gehenden Jahr 1968 auch Willy Garaventa. Er hat in Squaw Valley mit seinen Monteuren seit Wochen auf die Inbetriebsetzung der Seilbahn hingearbeitet. Die Eröffnung des Bauwerks erfüllt ihn mit Stolz und Genugtuung. Der