Willy Garaventa. Rebekka Haefeli
kann, ein Kind zu erwarten, ohne verheiratet zu sein: Das ist nicht gern gesehen in der Familie, wo der Vater Kirchen- und Gemeinderat und ein Onkel Pfarrer ist.
Darum gibt man sich viel Mühe, die Angelegenheit möglichst schnell zu legalisieren. Aus Italien müssen Papiere angefordert werden. Der nicht gerade willkommene Bräutigam muss lernen, seinen Namen zu schreiben. Eine Heiratsurkunde hat schliesslich eigenhändig unterschrieben zu sein.
Die werdende Mutter muss unter diesen Umständen einiges erdulden, wie sie später erzählt. Was sie in ihrer eigenen Familie durchmacht, ist aber noch lange nicht das Schlimmste. Richtig arg wird es erst, als sie mit ihrem Mann die Winter in Italien bei seiner Familie verbringt. In der Schweiz ist Giuseppe Garaventa der Schuldige, der ein anständiges junges Mädchen verführt hat. Ennet dem Gotthard aber ist sie das Mädchen, das den gut verdienenden Arbeiter wegen des Kindes zur Heirat zwang, was bedeutet, dass sein Geld nicht mehr so reichlich in die Familienkasse fliesst. Leicht verächtlich wird sie «la tedesca», die Deutsche, genannt.
Ins Eheregister trägt sich Giuseppe Garaventa als Akkordant ein. In der Familie erzählt man sich, er habe schon vor der Hochzeit damit begonnen, Auffahrten zu Ställen für Heuwagen zu mauern. Diese Arbeit ist hart. Von Hand müssen tonnenweise Steine herangeschleppt werden, die man mit Erdreich zu Mauern verarbeitet. Die Heuwagen werden damals noch von Pferden gezogen. Nach seiner Hochzeit macht sich Giuseppe Garaventa selbstständig, und er übernimmt Akkordarbeiten an verschiedenen Eisenbahnen, wie zum Beispiel den Bau der Brückenpfeiler zwischen Walchwil und Arth-Goldau.
Er arbeitet auch mit beim Bau der Südostbahn. Der Abschnitt zwischen Biberbrugg und Arth-Goldau wird 1891 eröffnet.10 Mit einem Kompagnon übernimmt Giuseppe Garaventa die Strecke zwischen Arth-Goldau und Steinerberg. Es ist ein glückloses Unternehmen. Die Akkordanten erhalten eine hohe Konventionalstrafe, weil sie infolge des schwierigen Geländes den vereinbarten Termin nicht einhalten können. «Grossvaters Millionenloch» wird dieses Teilstück in der Familie genannt. Giuseppe Garaventas Begründung für das Fiasko ist: «Bini inegheit mit de Bergsturz. Hend sie mir verwütscht, die schlechti Kheibe!» Man habe ihn über den Tisch gezogen, sagt er sinngemäss. Schlechte Kumpane seien das! Die Arbeit an jenem Teilstück der Eisenbahn ist wohl tatsächlich wegen der Folgen des Bergsturzes so schwierig. Die Naturkatastrophe vom 2. September 1806 wird als «Bergsturz von Goldau» in die Geschichte eingehen. Dabei kamen 457 Menschen ums Leben.11 Noch heute liegen im Gebiet unter der Abbruchstelle am Rossberg zahlreiche grosse Gesteinsbrocken und erinnern an das Unglück.
In der Zeit seiner grössten Unternehmungen stehen an die sechzig bis siebzig Arbeiter im Lohn von Giuseppe Garaventa. Viele von ihnen sind Italiener wie er selbst. In diesen für ihn ertragreichen Jahren stellt er einen Sekretär ein. Später erzählt der Grossvater, der Sekretär habe ihn bestohlen; er sei eines Tages einfach mit der ganzen Lohnsumme verschwunden: «Isch er Luuskheibe gsi, isch er durrebränne mit de ganzi Lohngälde.» Viele seiner drolligen, verdeutschten Sprüche erzählen sich die Kinder und Nachbarn noch lange nach seinem Tode.
Als sich Giuseppe Garaventa entschliesst, einen festen Wohnsitz in der Schweiz zu kaufen, ist seine Frau Dorothea erleichtert. Guiseppes Familie in Italien hat sie ja nicht besonders herzlich aufgenommen. Weil «die Dorothea eini Puuremaiteli» ist, entschliesst sich der Grossvater, einen landwirtschaftlichen Betrieb mit dazugehöriger Käserei zu erwerben. 1895 meldet sich Giuseppe Garaventa in Goldau ab. Inzwischen hat das Paar drei Kinder bekommen. Der Zweitgeborene stirbt aber wenige Jahre nach der Geburt. Willy Garaventas Vater Karl ist am 22. November 1888 zur Welt gekommen.
Giuseppe Garaventa verlässt also mit seiner Familie Goldau und kauft für 37 000 Franken mehrere Liegenschaften in Oberimmensee. 3000 Franken kann er selbst aufbringen. 34 000 Franken erwirbt er in Schuldbriefen, die er zu 5 Prozent zu verzinsen hat. Spezialisierte Mineure verdienen damals drei bis vier Franken pro Tag, also knapp hundert Franken pro Monat.12 Ein Kilogramm Brot kostet etwa dreissig Rappen. 3000 Franken sind also eine stattliche Summe; um sie zusammenzusparen, hat Giuseppe Garaventa auch Jahrzehnte gekrampft.
1895 ist er fast sechzig Jahre alt. Er hat in seinem Leben viel geleistet. In den Jugendjahren ist er als Analphabet ohne Ausbildung aus Italien in die Schweiz eingewandert. Schlechte Voraussetzungen eigentlich, um ein eigenes Geschäft aufzubauen und Mitarbeiter zu beschäftigen. Doch Giuseppe Garaventa wusste die Gunst der Stunde zu nutzen und baute sich eine Existenz auf. Mit harter Arbeit verdiente er sich sein Leben und unterstützte viele Jahre lang auch noch seine Familie in Italien. In rund zwanzig Jahren Selbstständigkeit gelang es ihm, ein kleines Vermögen zusammenzusparen, sodass er sich schliesslich Grundbesitz leisten konnte.
Der Kaufvertrag für die Liegenschaften in Oberimmensee lautet auf den Namen Josef Garaventa; der Grossvater hat seinen Namen also – ohne formell eingebürgert zu sein – den Deutschschweizer Gegebenheiten angepasst.
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