Puzzeln mit Ananas. Pascale Gmür

Puzzeln mit Ananas - Pascale Gmür


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diskrete Präsenz der Spitex sichtbarer werden, andererseits gibt es Reklamationen von Kunden, die verhindern wollen, dass die Nachbarschaft merkt, wer die Spitex braucht. Viele Autos und Fahrräder der Spitex sind beschriftet, andere nicht. Kleinere Stützpunkte können sich nur wenige Firmenautos leisten, weshalb die Mitarbeitenden mit dem privaten Fahrzeug unterwegs sind und die gefahrenen Kilometer verrechnen. Und dann gibt es auch Pflegefachpersonen, die sich selbst dazu entscheiden, unauffällig zu bleiben: zum Beispiel, wenn sie für beratende Gespräche zu einer Familie mit einem psychisch erkrankten Vater gehen.

      Kritik an fehlender Kontinuität

      Die gegenüber der Spitex am häufigsten geäusserte Kritik und Ablehnung reduziert sich auf einen Satz: «Es kommt immer wieder eine andere.» Die einen Kunden sprechen aus eigener Erfahrung, andere haben von der mangelnden Kontinuität nur indirekt gehört und zögern die Anmeldung bei der Spitex trotz Anratens der Hausärztin und Angehöriger hinaus, weil sie befürchten, sich an viele fremde Menschen gewöhnen zu müssen. Der Spitex selbst liegt viel daran, stabile und vertrauensvolle Pflegebeziehungen zu schaffen – nicht allein des zentralen Kundenbedürfnisses wegen. «Auch unsere Pflegewerte gewinnen mit der Kontinuität», sagt Peter Eckert, Leiter Fach- und Pflegeentwicklung der Spitex Zürich. «Wenn eine Pflegeperson ihre Kundinnen und Kunden regelmässig besucht und gut kennt, kann sie gesundheitliche Veränderungen früh beobachten, entsprechend reagieren und damit ihre professionelle Eigenverantwortung wahrnehmen. Vertrauensvolle Pflegebeziehungen bedeuten Arbeitsqualität.»

      Peter Eckert betont, die Kontinuität der Kundeneinsätze könne und müsse verbessert werden, «indem wir kleine, teilautonome Pflegeteams bilden, wie wir sie bereits in den Fachbereichen wie der Psychosozialen Pflege oder der Palliative Care kennen, wo die spezialisierten Pflegefachpersonen für eine bestimmte Klientengruppe verantwortlich sind». Kleine Teams haben allerdings den Nachteil, dass Krankheitsabsenzen von Mitarbeitenden intern schwierig auszugleichen sind, weshalb andere Teams aushelfen müssen oder jemand seine Freizeit opfert. Die meisten Spitex-Pflegenden wählen eine Teilzeitanstellung und haben damit die Option, ihre Arbeitszeiten der Auftragslage anzupassen.

      Trotz hoch motivierten Personals lässt sich in der alltäglichen ambulanten Grund- und Behandlungspflege nicht vermeiden, dass die vorgesehene Kontinuität aus den Fugen gerät. Denn es ist Pflicht der öffentlichen Spitex, alle Aufträge anzunehmen: Am Freitagnachmittag wird der Spitalaustritt des Patienten Huber8 gemeldet, der am nächsten Morgen zu Hause einen Verbandwechsel benötigt – von einer dafür qualifizierten, diplomierten Pflegefachperson des Spitex-Teams, denn eine Pflegehelferin oder ein Fachmann Gesundheit kann und darf die Wunde nicht versorgen. Wie kurz oder aufwendig der Ersteinsatz beim noch unbekannten Herrn Huber sein wird, lässt sich im Voraus kaum einschätzen. Dann ruft Frau Kramer an, die Parkinson hat. Es müsse sofort jemand kommen, denn sie wisse nicht mehr, welche der zahllosen Medikamente sie heute Abend schlucken müsse. Weil es um die Abgabe von Medikamenten geht, ist aus Sicherheitsgründen auch hier eine diplomierte Pflegefachperson gefragt. Gut möglich, dass die Klientin dreissig Minuten vom Spitex-Stützpunkt entfernt wohnt, der verrechenbare Einsatz aber schliesslich nur zehn Minuten dauert. Was in diesem Fall weit mehr zählt, ist die präventive Wirkung des Hausbesuchs: Würde die Klientin falsche oder falsch dosierte Tabletten schlucken, könnte dies den Gleichgewichtssinn beeinflussen und das Sturzrisiko erhöhen. Vorsorgend wirkt auch, dass die Klientin ernst genommen und darin bestärkt wird, sich erneut zu melden, sobald sie Hilfe braucht. Unvorhergesehenes und schwankende Kundenzahlen gehören zum Alltag der häuslichen Pflege. Es ist die anspruchsvollste Komponente der Budget- und Einsatzplanung und fordert von allen Mitarbeitenden ein hohes Mass an Flexibilität, Improvisationsfreude sowie Ausdauer. Wertgeschätzt wird ihr Engagement von den allermeisten Kundinnen und Kunden. Besonders von jenen, die schon seit Langem froh um die zuverlässige Unterstützung sind und es interessant finden, verschiedene Charaktere und Arbeitsweisen der Pflegenden kennenzulernen. Einfacher gestaltet sich die vergleichsweise langfristige Einsatzplanung für die hauswirtschaftlichen Mitarbeitenden, da hier nur selten akute Situationen auftreten. Wer am Donnerstagmorgen zwei Stunden im Haushalt von Frau Zogg hilft, tut dies im vereinbarten Turnus zur immer gleichen Zeit. Auch im hauswirtschaftlichen Aufgabenbereich muss die Spitex alle Aufträge ausführen, die ärztlich verordnet sind.

      Keine Versorgungspflicht gegenüber der Bevölkerung haben privatwirtschaftliche, kommerziell orientierte Unternehmen und freiberuflich arbeitende Pflegefachpersonen, die seit etwa zehn Jahren die spitalexterne Branche mitprägen. Sie können Anfragen ablehnen und ökonomisch interessante Aufträge annehmen, indem sie sich beispielsweise auf längere, rentable Einsätze konzentrieren. Diese lassen sich gut planen, sodass die Kundin oder der Kunde morgens dieselbe Pflegeperson wie am Vortag erwarten kann.

      Spitex für das Gemeinwohl

      Die Nonprofit-Spitex versorgt in der Schweiz über achtzig Prozent aller Menschen, die zu Hause sozialmedizinische Unterstützung erhalten. Als weitaus grösste spitalexterne Pflegeorganisation ist sie in mancher Hinsicht zwar gesamtschweizerisch organisiert, doch jeder einzelne Betrieb hat seine Besonderheiten, bedingt durch die dort arbeitenden Menschen, die Unternehmensphilosophie und nicht zuletzt durch die lokalpolitischen Gegebenheiten. Wegweisend für die öffentlich mitfinanzierten Angebote eines Spitex-Betriebs ist die Leistungsvereinbarung mit den zu versorgenden Gemeinden oder mit dem Kanton. Wünschenswert ist, dass die Spitex durch die politischen Beschlüsse finanziell gestärkt wird, um die bedarfsorientierte ambulante Versorgung zu sichern und zudem Versorgungslücken zu schliessen. Franziska Ryser, Geschäftsleiterin der Spitex Oberes Langetental in Huttwil (BE), betont: «Mir ist wichtig, der Bevölkerung anzubieten, was sie tatsächlich braucht. Die Menschen, welche heute im Pensionsalter sind, entscheiden bewusst, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen: für ambulante Leistungen und nicht für einen teuren, unpersönlichen Heimplatz. In Zukunft wird sich diese Haltung weiter verstärken.»

      Vielerorts sind die Verantwortlichen der Spitex-Betriebe gefordert, innerhalb des Leistungsrahmens so gut wie möglich die steigende Nachfrage zu decken und sich zugleich für die Erweiterung der Leistungsaufträge zu engagieren. Besonders im Bereich der ambulanten Betreuung, die immer mehr Menschen benötigen. Viele alte Menschen sind nicht auf Pflege angewiesen, sondern auf Betreuung und Unterstützung im Alltag. Mehr als die Hälfte aller Spitex-Klientinnen und -Klienten sind zurzeit über achtzig Jahre alt. Doch der Anteil jener, die Pflegeleistungen beanspruchen, hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen – andere Formen der Unterstützung sind gefragter.

      Gute Betreuung bedeutet würdevolles Altern

      Wer Pflege erhält, wird oft auch betreut – für die Spitex-Mitarbeitenden eine Selbstverständlichkeit und einer der Gründe, weshalb sie ihren Beruf gewählt haben. Die Krankenkassen trennen aber die Pflege von der Betreuung, obwohl die Übergänge gerade bei Menschen mit einer Demenzerkrankung fliessend sind. Die explizite Betreuung ist keine verrechenbare Leistung. Franziska Ryser beschreibt eine alltägliche Situation: Laut Pflegeplanung für eine Frau, die manchmal verwirrt und desorientiert ist, geht es heute darum, sie beim Duschen zu unterstützen. Das will sie aber nicht und besteht darauf, mit der Pflegenden ein Fotoalbum anzuschauen und von Reisen mit ihrem verstorbenen Mann zu erzählen. Die Pflegende verbringt mit der Klientin eine wertvolle Betreuungszeit. Damit sie vergütet wird, trägt sie die Leistung als Grundpflege ein. «Wir werden immer wieder damit konfrontiert, dass die Krankenversicherer sich weigern, eine von uns begründete Leistung zu übernehmen, die sie als nicht kassenpflichtig einstufen», sagt Franziska Ryser. «Gerade mit Demenzbetroffenen sowie in psychiatrischen und onkologischen Situationen ist die Betreuung ein wichtiger Teil unserer Leistungen.»

      Die erhöhte Lebenserwartung führt nach heutigem Wissensstand nicht zu längeren Phasen der Pflegebedürftigkeit. Aber es wird erwartet, dass es lange Phasen gibt, in denen der alte Mensch auf Unterstützung und Betreuung angewiesen ist.9 Vielleicht ist es morgens und abends notwendig, dass eine Pflegeperson hilft, die Stützstrümpfe an- und auszuziehen, doch tagsüber geht es in erster Linie um die Alltagsgestaltung mit sozialen Kontakten, Zuwendung, häuslichen Aktivitäten, Naturerlebnissen, mit sinnstiftenden Beschäftigungen. Dies sind nur einige wichtige Aspekte, welche die Betreuung umfassen sollte und die schon mit kleinen Gesten der Aufmerksamkeit beginnt. Familienangehörige leisten hier enorm viel, sind aber häufig ausgelastet. Eine privat bezahlte professionelle


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