Plyometrie Anatomie. Derek Hansen
heraus, mit der Schwerkraft zurechtzukommen, ob in Urzeiten aus Gründen des Überlebens oder in neuerer Zeit bei der Verfolgung sportlicher Glanzleistungen. Die Gegenbewegung vor einem Sprung, einem Sprint oder Wurf spiegelt die natürliche Neigung des Athleten wider, eine Strategie zur Überwindung der Schwerkraft oder Trägheit eines Objekts oder des eigenen Körpers zu entwickeln, um eine kraftvollere Leistung zu erzeugen. Auch wenn die Strategie einfach zu sein scheint, sind die physiologischen Mechanismen bei der Ausführung plyometrischer Bewegungen recht weit fortgeschritten und umfassen eine Reihe koordinierter, synergistischer Muskelaktionen für beste Ergebnisse. Um die physiologischen Mechanismen und anatomischen Strukturen zu erklären, ist es nötig, die wichtigsten Muskelaktionen und die Anatomie zu verstehen, die bei diesen Übungen beteiligt sind.
Muskelaktionen bei der Plyometrie
Eines der häufigsten Beispiele einer plyometrischen Aktion ist der Laufzyklus eines Läufers. Beim Aufsetzen des Fußes verlängern sich die Muskeln des betroffenen Beines rasch, weil der Körper durch die Schwerkraft zum Boden gezogen wird. Exzentrische Muskelaktionen in Hüfte und Bein verhindern, dass der Sportler zusammensinkt, indem sie sich der Verlängerung dieser Muskeln langsam widersetzen. Zusätzlich zur Vorbeugung eines übermäßigen Absinkens des Körperschwerpunkts tragen die exzentrischen Muskelaktionen dazu bei, den Stoß bei der Landung zu dämpfen. Exzentrische Muskelkontraktionen in den unteren Extremitäten, in Hüften und Rumpf wirken gemeinsam als Stoßdämpfer, minimieren eine übermäßige Krafteinwirkung auf die Bindegewebe und Skelettstrukturen. Während der exzentrischen Muskelkontraktionen können die Muskeln eine um 40 % stärkere Kraft entwickeln als bei anderen Muskelaktionen, was durch die Stärke der Kraft nachgewiesen wird, die bei der Landung von einem Schritt oder Sprung gemessen wird (Chu und Myer 2013). Ohne diese Stoßdämpfer würde der Körper eines Sportlers bei jeder Landung nach einem Sprung oder Schritt bestraft werden, was letztlich zu einer schweren Verletzung führen könnte.
Sobald die Muskeln abbremsen und die Abwärtsbewegung des Körpers im Laufschritt beim Bodenkontakt stoppen, gibt es einen kurzen Moment, in dem sich die Muskeln weder verlängern noch verkürzen. Die Gelenke im unteren Teil des Körpers – wie Knie und Sprunggelenk – sind während dieser kurzen Phase fest; es kommt weder zu einer Beugung noch zu einer Streckung. Befinden sich die Muskeln in einem statischen Zustand konstanter Spannung, ohne dass eine Bewegung erfolgt, findet eine isometrische Muskelkontraktion statt. Im Fall des Laufschritts und ähnlicher plyometrischer Aktivitäten sind die isometrischen Muskelkontraktionen sehr kurz. Sie gehen der Umkehr der Muskelaktion von der Verlängerung zur Verkürzung voraus. Ein Läufer landet mit einem Schritt auf dem Boden, fängt die Kraft der Landung ab und stößt sich schließlich nach oben und vorne ab in die Flugphase des Laufzyklus’. Diese isometrische Aktion, die auch als Übergangsperiode (Coupling Phase) bezeichnet wird, ist entscheidend für die Kraftentwicklung, die für kraftvolle Muskelkontraktionen bei plyometrischen Aktivitäten erforderlich ist. Sobald die Muskelverlängerung verlangsamt, gestoppt und umgekehrt wird, wird die Muskelverkürzung, die für kraftvolle Bewegungen erforderlich ist, als konzentrische Muskelkontraktion bezeichnet. Konzentrische Muskelaktionen sind das Ergebnis plyometrischer Aktivitäten und führen, im Fall eines Laufzyklus’ beim Laufen, zur Abstoßphase, die den Läufer in die Flugphase katapultiert. Die konzentrische Muskelaktion lässt sich gut beobachten, wenn ein Hochspringer abhebt oder ein Basketballer beim Korbleger zum Korb springt. Üblicherweise erhält eine konzentrische Aktion bei sportlichen Leistungen die meiste Aufmerksamkeit: ein Absprung, ein Abwurf oder eine überraschende Ausführung eines K.-o.-Schlags. Großartige Leistungen sind jedoch das Ergebnis des gesamten Spektrums von Muskelaktionen, perfekt getimed und effizient ausgeführt. Abb. 1.1 zeigt alle Muskelaktionen, die beim Laufzyklus erfolgen. Eine ähnliche Kombination exzentrischer, isometrischer und konzentrischer Muskelaktionen findet bei zahlreichen Bewegungen in verschiedenen Sportarten statt. Diese Aktionen werden auch als Belastungs-, bzw. Übergangs- und Entlastungsphase bezeichnet.
Für Trainer und Athleten ist es wichtig, diese Komponenten einer plyometrischen Aktivität zu verstehen, um die einzelnen Übungen bestmöglich zur Verbesserung verschiedener Aspekte der sportlichen Aktivitäten einzusetzen. Oft bestimmen die erreichten Gelenkwinkel und die Zeit, die für diese verschiedenen Muskelaktionen aufgewendet wird, welche Übungen für eine spezielle Phase des Trainingsprogramms zu wählen sind. Ein geschickter Trainer wird für eine optimale Steigerung der Übungen sorgen, die die Leistung schrittweise verbessern, damit der Athlet zur rechten Zeit seine Spitzenleistungen erreicht.
ABB. 1.1Laufzyklus
Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus
Die Kombination von Muskelaktionen, neuraler Beteiligung und Elastizität des Bindegewebes, die eine wirksame plyometrische Aktion begünstigt, lässt sich einfacher durch eine Besprechung des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus’ (DVZ) erklären. Wenn Muskel und Sehne gemeinsam schnell gedehnt werden, wie bei einer exzentrischen Bewegung, reagiert das Nervensystem, indem ein größerer Teil von Muskelfasern rekrutiert wird, um für den Versuch, die Bewegungsrichtung umzudrehen, eine größere Kraft zu entwickeln (Komi 1984). Der Muskel-Sehnen-Komplex spürt die rasche Verlängerung über die Fasern der Muskelspindel, die spezifische sensorische Organe innerhalb des Muskels darstellen, wie in Abb. 1.2 gezeigt. Die Muskelspindelfasern kontrollieren die Muskelverlängerung sowie die Geschwindigkeit der Verlängerung, indem sie mit einer kraftvollen konzentrischen Muskelkontraktion reagieren. Diese auf die rasche Muskelverlängerung automatisch erfolgenden Reaktionen gewährleisten, dass die Athleten nicht aktiv daran denken müssen, ihre Muskeln für eine explosive Leistung rasch zu kontrahieren. Die vereinten Mechanismen, die am Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus beteiligt sind, wurden als Dehnreflex, Sehnenelastizität, Voraktivierung und Verstärkung bezeichnet (Fukutani, Kurihara und Isaka 2015). Es gab viele Diskussionen, aber wenig Einigkeit über den jeweiligen Beitrag dieser verschiedenen Mechanismen zum Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (Komi 2000).
Der Dehnreflex, auch als myotatischer Reflex bezeichnet, ist ein Hauptmechanismus des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus’ und der Kraftentwicklung bei einer plyometrischen Übung. Während ein Teil der Kraft bei einer plyometrischen Bewegung von der elastischen Grundenergie aus den elastischen Qualitäten von Muskeln und Sehnen freigesetzt wird, ähnlich wie bei einem Gummiband, stammt ein bedeutender Kraftbeitrag aus der raschen Rekrutierung von Muskelfasern, die durch den Dehnreflex hervorgerufen werden. Die Forschung hat tatsächlich gezeigt, dass die schnelle Verlängerung eines Muskels zur selektiven Aktivierung von Fast-Twitch-Muskelfasern (schnell kontrahierend) und der Deaktivierung von Slow-Twitch-Muskelfasern (langsam kontrahierend) führt (Nardone und Schieppati 1988). Der Dehnreflex wird in einer Arztpraxis täglich demonstriert, wenn mit einem Gummihammer eine Reflexprüfung durchgeführt wird. Ein schneller Schlag auf die Patellarsehne bewirkt bei einem gesunden Menschen normalerweise eine Verkürzung der Quadrizepsmuskeln und die Streckung des Kniegelenks. Signale aus den Muskelspindelfasern an das Rückenmark lösen eine schnelle Antwort mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Metern pro Sekunde aus, um die Quadrizepsmuskeln zu rekrutieren (Radcliffe und Farentinos 1985).
Der primäre Zweck des Dehnreflexes besteht darin, vorsichtshalber die Stärke der Muskeldehnung zu kontrollieren, um eine Überdehnung und Schädigung des Muskels zu verhindern. Durch die Rekrutierung eines großen Anteils von Muskelfasern in jedem Muskel in sehr kurzer Zeit stellt diese automatische Antwort sicher, dass sich der Muskel nur in einem sicheren Ausmaß verlängert, bevor er sich verkürzt. Auch wenn dies als automatisch regulierte Sicherheitsmaßnahme betrachtet werden kann, fanden Trainer und Sportwissenschaftler es vorteilhaft, diese Reaktion zum Zweck einer Leistungsverbesserung sicher zu trainieren.
ABB. 1.2Muskelspindelfasern im Muskelbauch.
Sportwissenschaftler