Abdulmesih und der liebe Gott. Markus Grimm

Abdulmesih und der liebe Gott - Markus Grimm


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Abdulmesih weiß nicht, ob diese annähernde Wahrheit besser ist als die Märchen seines Schleusers, aber er kann das Lügen nicht mehr aushalten.

      »Na ja«, meint der Offizier nach einer Pause und gähnt, »wie ich schon sagte: Geheimnisverrat. Ihr wandert vor Gericht.«

      Es folgen sorgenvolle Stunden und Tage. Man führt Abdulmesih umgehend unter strenger Bewachung vor einen Justizbeamten. Der hört sich die Sache kaum an, sondern besieht sich die Aktenlage und erkennt, dass er nicht zuständig ist.

      »Schwerwiegend«, sagt er nur, »wird an höherer Stelle entschieden.«

      Weiter geht es in die Provinzhauptstadt Mardin, dort steht Abdulmesih vor dem Staatsanwalt. Wie kann er ihn davon überzeugen, dass er kein Spion ist?

      »Das weiß ich nicht«, sagt der Staatsanwalt weder unfreundlich noch freundlich. »Das hätten Sie sich vorher überlegen sollen. Sie wurden beim illegalen Grenzübertritt festgenommen, alleine das ist strafbar. Was hatten Sie in Syrien zu tun?«

      »Ich habe gearbeitet.«

      »Ja, das hatten wir schon, aber wo ?«

      Abdulmesih weiß nicht, was er sagen soll. Er kann doch nicht von seinem Bruder anfangen. »Auf der Baustelle, als Schreiner und Zimmermann.«

      »Auf welcher Baustelle.«

      »Auf verschiedenen, hier und da…«

      »Sehen Sie«, sagt der Staatsanwalt, »das ist genau das Problem, dass Sie nicht alles sagen. Wie soll man denn solche Angaben überprüfen?«

      »Das weiß ich nicht, Herr Staatsanwalt.«

      »Sehen Sie.« Nach einer Pause fährt der Staatsanwalt aber plötzlich in anderem Ton fort: »Jetzt hör mal her, junger Mann: Als Mensch glaube ich dir schon, dass du kein Spion bist, da müsste ich mich sehr täuschen. Aber als Staatsanwalt kann ich dich nicht davonkommen lassen. Was ich tun will, ist: Ich erspare dir – und deiner Familie, für die du sorgst, wie ich vermute, wenn ich dich so ansehe – ich erspare dir eine Verurteilung zum jetzigen Zeitpunkt. Allerdings besteht der Spionageverdacht nach wie vor. Du bleibst bis auf Weiteres unter behördlicher Aufsicht, bis der Verdacht ausgeräumt ist, und wirst nur gegen Kaution entlassen.«

      »Danke, Herr Staatsanwalt.«

      Fürs Erste ist Abdulmesih erleichtert, immerhin darf er – wenn auch immer noch unter Bewachung – wieder zurück zu seiner Familie, die sich schon die ärgsten Sorgen macht. Hier in Midyat hinterlegt er die Kaution und ist endlich wieder frei und dankt seinem Gott. Aber jetzt hat ihn die Staatsmacht im Visier und lässt ihn nicht aus. Gleich am nächsten Tag muss er beim Militär zur Musterung anrücken.

      »Voll tauglich «, bescheidet ihm der Musterungsbeamte mit soldatischem Nachdruck, »willkommen bei der Truppe! Erwarten Sie umgehend den Stellungsbefehl!«

      Der kommt schon nach wenigen Tagen: Abdulmesih wird einberufen zum Militärdienst in Manisa. In der Familie herrscht Bestürzung: Manisa liegt ganz am anderen Ende der langgestreckten Türkei, im westlichen Teil Anatoliens, fast am Mittelmeer. Viel weiter könnte man Abdulmesih nicht wegschicken, in Manisa jedenfalls werden ihm keine heimlichen Grenzübertritte einfallen. Zum Packen bleiben ihm wiederum nur ein paar Tage.

      Am Tag der Abreise weint Mutter Sara, deren Jüngster jetzt nach einem Ort verschwindet, von dem sie keinerlei Vorstellung hat, eineinhalbtausend Kilometer weit weg. Sie segnet Abdulmesih, wünscht ihm Kraft und erinnert ihn an Gott. Sie hat keine Ahnung, wie man sich einen Christen im türkischen Militär vorzustellen hat, und Abdulmesih auch nicht. Wie wird es ihm da ergehen? Abdulmesih ist nicht frei von Angst, aber entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

      »Mutter«, sagt er und fasst ihre Hände, »ich weiß, wer ich bin und woher ich komme, sorge dich nicht. Ich werde schreiben und euch alles wissen lassen.«

      Vor Abdulmesih liegt nun eine kleine Weltreise. Mit dem Bus fährt der offiziell Neunzehnjährige nach Diyarbakir und von dort mit dem Zug nach Manisa. Die Stadt ist annähernd dreimal so groß und bevölkert wie Midyat, auch das Klima ist völlig anders, deutlich wärmer. Christliches kann er hier nicht entdecken, dafür osmanische und seldschukische Moscheen und Medresen. Auf seiner langen Zugfahrt ist Abdulmesih auch durch weite und arme Landstriche gekommen, Manisa aber macht einen reichen Eindruck, es ist eine alte Residenzstadt der Sultane.

      Wo findet er hier nun die Kaserne ?

      An der Pforte meldet er sich, weist seine Papiere vor und kommt zur schweren Infanterie. Die Kaserne ist weitläufig und nicht ganz leicht zu überblicken, offenbar gibt es hier viel Personal. Männer in braunen Uniformen und mit gleichem, kurzem Haarschnitt eilen zielstrebig durch Flure und über das Gelände. Abdulmesih muss sich orientieren. Schließlich findet er seinen Schlafsaal, in dem sich alsbald alle jungen Rekruten versammeln sollen.

      »Aus welchem Grund, was findet hier statt?« fragt Abdulmesih einen Bettnachbarn.

      »Islamkunde.«

      Abdulmesih schluckt, offenbar hat das Schicksal es so eingefädelt, dass die erste Probe nicht lange auf sich warten lässt. Dann strafft er sich innerlich und wartet, was kommt.

      Es kommt der Hauptmann der Kompanie, auch er in Uniform, mit einer Brille und mit kurzen, lichten Haaren – ein eher kleiner Mensch, der ohne Uniform ganz gemütlich wirken könnte. Markiges Auftreten liegt ihm offenkundig fern. Trotzdem nehmen alle selbstverständlich Haltung an. Der Hauptmann nickt und schaut freundlich in die Runde.

      »Rekruten«, spricht er wenig spektakulär, »ich grüße Sie. Hoffe, Sie haben sich gut eingefunden. Nun, Sie wissen es, vor dem Schlafengehen ist der Religionsunterricht an der Reihe. Nehmen Sie Platz.«

      Alle setzen sich.

      »Wir sind, Sie wissen es«, fährt er fort und geht auf und ab, »die Streitkräfte eines Staates, der sich seit dem großen Atatürk die Säkularität auf die Fahne geschrieben hat. Gleichwohl hat der Islam seinen unumstößlichen Platz nicht nur in unserem Staat, sondern vor allem auch bei uns, den Streitkräften. Wir stehen ein für unser Vaterland, aber auch für unseren Glauben. Deshalb gehört der Islamunterricht zu Ihrer Ausbildung. Nun«, sagt er, bleibt stehen und schaut in die Runde, »in unserer schönen Türkei gibt es gleichwohl verschiedene religiöse Bekenntnisse, nicht nur unseren Islam. Ist also einer unter Ihnen, der kein Muslim ist?«

      Abdulmesih hört das, als wäre die Frage eigens an ihn gerichtet. Obwohl der Hauptmann weiter freundlich wirkt, kann Abdulmesih nicht einschätzen, was sich hinter der Frage verbirgt und welche Konsequenzen folgen können. Aber er überlegt nicht lange, sondern hebt entschlossen die Hand.

      »Aha«, sagt der Hauptmann, »dann kommen Sie bitte mal her, Rekrut.«

      Abdulmesih erhebt sich und geht nach vorn – was passiert jetzt mit ihm, was hat der Hauptmann vor? Aus der Nähe sieht er fast noch freundlicher aus.

      »Was also sind Sie?« fragt er.

      »Ich bin Aramäer, Herr Hauptmann.«

      »Aramäer?«

      » Syrisch-orthodoxer Christ, Herr Hauptmann.«

      »Ach, ich verstehe, Sie kommen wohl aus dem Südosten.«

      »Jawohl, Herr Hauptmann.«

      Der Hauptmann legt den Finger an die Lippen und denkt kurz nach. »Aramäer«, beginnt er nach einer Weile, »hm, und woran glauben Sie, als Aramäer?«

      »An Gott natürlich, Herr Hauptmann, woran sonst?«

      »Aha, aber ist Ihr Gott auch mein Gott?«

      »Aber Herr Hauptmann, Sie wissen selbst: Es gibt keinen Gott außer Gott.«

      Der Hauptmann lächelt. »Ja, ganz recht, eine schöne Antwort. Und was ist eure Heilige Schrift? Ihr habt doch sicher eine.«

      »Die Bibel, Herr Hauptmann.«

      »Die Bibel? Nun, die gilt ja auch uns Muslimen als heilig. Hm, so kennt ihr auch Moses und die Propheten und Maria und Jesus?«

      »Allerdings,


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