Abdulmesih und der liebe Gott. Markus Grimm
will Sie als einen Christen nicht zur Islamkunde nötigen, es sei denn, Sie möchten teilnehmen.«
Jetzt nimmt Abdulmesih all seinen Mut und Stolz zusammen und erwidert freundlich, aber bestimmt:
»Wenn es erlaubt ist, Herr Hauptmann, möchte ich der Islamkunde fernbleiben.«
»Es ist erlaubt«, sagt der Hauptmann, ohne mit der Wimperzu zucken, »Sie sindfrei. Vielleicht halten Sie sich in der Kantine auf, bis das Trompetensignal zur Nachtruhe ertönt. Sie können wegtreten.«
Abdulmesih nimmt Haltung an, grüßt und verlässt den Raum. Vor der Tür atmet er durch und lacht. Das hat er richtig gemacht. Ihm fällt das Jesuswort aus dem Evangelisten Johannes ein: ›Die Wahrheit wird euch frei machen. ‹
»Alle Achtung, du traust dich was«, sagt später, als sie die Betten zurechtmachen, ein anderer junger Rekrut halblaut zu Abdulmesih.
»Was traue ich mich?«
»Na, dich als Christ zu bekennen.«
»Als was sonst?«
»Ja«, sagt der andere nachdenklich, »recht hast du, als was sonst? Ich hab trotzdem nichts gesagt.«
»Was hast du nicht gesagt?«
»Dass ich auch einer bin, ein Christ.«
Abdulmesih freut sich. »Du auch?«
»Ja, ich auch, aber ich hatte Angst.«
Das versteht Abdulmesih, und auch wieder nicht. »Angst, wovor? Es ist erstens nichts passiert, außer dass ich vom Islamunterricht freigestellt worden bin. Und zweitens ist Angst das Falsche. Unser Herr Jesus Christus sagt doch immer, wir sollen uns nicht furchten.«
»Ja, ich weiß, aber das kann ich doch nicht durch schieres Wollen.«
»Durch schieres Wollen nicht, aber durchs Tun. Du musst einfach schneller sein als die Angst und darauf vertrauen, dass du niemals allein bist.«
Abdulmesih findet heraus, dass in der 110 Mann starken Kompanie insgesamt drei Christen sind. Aber nur er hat sich gemeldet.
Gleich anderntags muss die ganze Kompanie der frischgebackenen Rekruten zum Appell antreten. Einige werden zum Küchendienst eingeteilt, während die anderen auf dem Trainingsplatz ihren Körper in verschiedenen Gangarten ertüchtigen dürfen – das ist der sogenannte Grunddienst. Abdulmesih muss aber nur selten auf dem Bauch durchs Gelände robben, denn für ihn als Schreiner gibt es weitaus sinnvollere Einsatzmöglichkeiten. Es ist genauso, wie er es damals zu seinem Schullehrer gesagt hat: Schreiner werden immer gebraucht. Und in der Kaserne gibt es viel zu reparieren.
»Sie machen das sehr ordentlich, Rekrut«, lobt man ihn, »und hier wäre auch schon gleich das Nächste.«
Nach vier Monaten Grunddienst werden etliche Truppen verlegt. Die Reise geht mit dem Bus nach Norden, nach Bandirma am Marmarameer. Von dort bringt sie eine riesige Fähre innerhalb einiger Stunden in die etwa 150 Kilometer entfernte Hafenstadt Yalova. Der junge Abdulmesih aus dem fernen Hochland des Tur Abdin sieht und riecht zum ersten Mal in seinem Leben das gewaltige Meer. Er schaut mit schmalen Augen an den fernen Horizont, der Wind bläst ihm kühl um die Ohren, und sein Herz wird weit und froh. Auch das Meer ist alt, älter sogar als der Tur Abdin, es ist am Anfang der Schöpfung das Erste, woraus alles Lebendige aufsteigt. Zugleich ist es aber so frisch und bewegt, so unbegrenzt und tief und ganz lebendig. Und dahinter, hinter dem Meer, dort hinter dem Horizont? Was für Leben werden wohl dort gelebt ?
In Yalova geht die Fähre vor Anker, und wahre Hundertschaften von Soldaten strömen an Land und werden wie eine riesige Schafherde zusammengetrieben. Offiziere aus unterschiedlichen Regimentern warten schon auf die Ankömmlinge, um sie je nach Bedarf zu rekrutieren. Zuerst darf der Oberst der Militärpolizei, ein schneidiger Mann in seinen Fünfzigern, seine Leute auswählen, zwölf braucht er, und Abdulmesih ist gleich mit dabei. Alles geht so schnell und ist zugleich so überraschend, dass er kaum mitkommt. Dann muss er innerlich lachen: Der Spion als Militärpolizist, das ist auch eine Laufbahn! Die Laufbahn eines aufgeweckten Aramäers im türkischen Heer.
Sofort geht es mit dem Bus eineinhalb Stunden weiter nach İzmit, hier ist seine neue Kompanie stationiert, im äußersten Nordwesten der Türkei, 90 Kilometer östlich von İstanbul. Spätabends kommen sie an, alle sind hundemüde und legen sich direkt in ihre Betten, aus denen sie am nächsten Morgen im Befehlston wieder herausgeholt werden.
»Aufgeht’s, alle Mann in den Bus!« ruft ein Offizier mit rauer Ironie.
Man wechselt verschlafene Blicke. »Wohin soil’s denn gehen?« fragt einer.
»Nicht fragen! Tempo, die Herren, nicht so faul!«
Abdulmesih hat es gestern schon gemerkt: Hier herrscht ein besonderer Ton, an den er sich erst noch gewöhnen muss, der ihm aber nicht schlecht gefällt.
Sie steigen in den Bus, schaukeln durch die Straßen, und am Ende folgt eine wundersame Überraschung.
»So, aussteigen, die Herren!«
Wo sind sie gelandet, was ist das hier? Das türkische Bad!
Abdulmesih kann sich nicht erinnern, ob er schon jemals so porentief sauber war. Fast strahlend vor Sauberkeit, so kehrt die Truppe wieder zurück zum Stützpunkt, wo alle komplett frisch eingekleidet werden, von der Unterwäsche bis zu den Schuhen. Nicht zum ersten Mal hat Abdulmesih den Eindruck, dass er ein Glückspilz ist.
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