Ein Leben für Ruanda. Rolf Tanner
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort Von alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey
Einleitung Reise nach Ruanda 1979
Teil 1 Ein ganz normales Leben
Kontext Das obere Fricktal an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
Kapitel I Familie und Geschwister
Kapitel II Kindheit, Schulen und Internat in Belgien
Kontext Die Region Brugg-Windisch 1917–1970
Kapitel III Erwachsenenleben auf der Klosterzelg
Kontext Die katholische Pfarrei St. Nikolaus Brugg
Kapitel IV Leben am Wendepunkt
Teil 2 Aufgabe und Berufung in Afrika
Kontext Ruanda – Land und Leute
Kapitel V Hausmutter von Kabgayi
Kapitel VI Station in Solothurn
Kapitel VII Am Centre St. André
Kontext Die Kirchen und Religionen in Ruanda
Kapitel VIII Sozialer und karitativer Einsatz
Kapitel IX Flucht und Rückkehr
Kontext Bürgerkrieg und Völkermord
Teil 3 Private Entwicklungsarbeit
Kapitel X Neubeginn in Gitarama
Kapitel XI Von der Überlebenshilfe zur Entwicklungshilfe
Kontext Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Ruanda
Kapitel XII Die Beziehungen zur Schweiz
Kapitel XIII Abschied und Kontinuität
«Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr hat mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.»
«Nimuze, abahawe umugisha na Data, muhabwe ingoma mweguriwe; kuko nashonje mukamfungurira, nagize inyota mumpa icyo kunywa, naje ndi umugenzi maracumbikira, nari ndwaye muransura, nari imbohe muza kundeba, … Ibyo mwagiriye umwe muri abo bavadimwe banjye baciye bugufi, ninjye mwabaga mubigiriye.»
(Matthäus, 25.34–36, eine der Lieblingsstellen von Margrit Fuchs in der Bibel, auf Deutsch und auf Kinyarwanda.)
Geleitwort
Von alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey
Ich erinnere mich gut an meine erste Begegnung mit Margrit Fuchs. Es war ein sonniger Spätherbsttag im Jahr 2005. Sie kam nach Bern, um mir und der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) die Situation ihres Hilfswerks in Ruanda darzulegen. Sie schilderte mit bewegenden Worten die Not der Kinder in diesem kleinen afrikanischen Land. Ich war sehr beeindruckt, mit welch grossem Engagement und Herz sie sich für die Armen und Bedürftigen einsetzte – und das im Alter von 88 Jahren! Sie erzählte mir auch, wie sie zu dieser Aufgabe gekommen war: Sie reiste 1970 erstmals nach Ruanda und fand in der Unterstützung von Waisen- und Strassenkindern ihre Lebensaufgabe. Insbesondere aber gefiel mir das Motto, von dem sie sich in ihrer Arbeit leiten liess: «Hilfe zur Selbsthilfe». Nur wer sich selbst zu helfen weiss, der oder die kann Armut und Diskriminierung überwinden und sich emanzipieren.
Margrit wurde 1917 in eine Welt hineingeboren, in der vorwiegend Männer das Sagen hatten. Die Frauen galten nicht als vollwertige Mitbürgerinnen; sie besassen nicht das Stimm- und Wahlrecht. Rechtlich waren sie zahlreichen Einschränkungen und Ungleichheiten unterworfen: Eine Schweizerin, die einen Ausländer heiratete, verlor die schweizerische Staatsbürgerschaft, ein Schweizer, der eine Ausländerin ehelichte, dagegen nicht. Heiratete eine Frau, verlor sie ohnehin einen Teil ihrer Mündigkeit: Die wirtschaftliche Verfügungsgewalt in der Familie lag beim Mann, dem Oberhaupt. Hatte die Frau ein Erwerbseinkommen, konnte der Mann darüber befinden. Sie konnte nur arbeiten, wenn der Mann damit einverstanden war. Eine unverheiratete Frau bewahrte zwar ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit. Doch ihre beruflichen Chancen und Aussichten waren auf subalterne Funktionen beschränkt. Führungspositionen waren prinzipiell Männern vorbehalten. Frauen konnten höchstens Chefs von anderen Frauen werden. Und Frauen verdienten viel weniger als Männer. Die Rechtfertigung war, dass ein Mann mit seinem Gehalt eine Familie zu ernähren habe, eine Frau dagegen nicht. Denn eine Frau, die arbeitete, war nicht verheiratet – so dachte man damals. Das war natürlich unzutreffend, da sehr viele Frauen, vor allem aus der Arbeiterschicht, arbeiten mussten, da das alleinige Gehalt des Mannes vorne und hinten nicht reichte, um die Familie zu ernähren, die Miete zu bezahlen und vieles mehr. Doch das änderte nichts an der paradoxen Argumentation, mit der die Lohnungleichheit gerechtfertigt wurde. Eine Frau war nur vollwertig an der Seite ihres Mannes und als Mutter. Natürlich gingen Ehe und Mutterschaft Hand in Hand. Doch diesen angeblich vollwertigen Frauen nahm man die wirtschaftliche Mündigkeit mit der Verheiratung gleichzeitig weg. Es war eine Welt voller Ungerechtigkeit und Ungereimtheiten für Frauen.
Starke Frauen wie Margrit Fuchs bahnten sich trotzdem ihren Weg. Sie heiratete nie und arbeitete