Der Schoppenfetzer und der Henkerswein. Günter Huth

Der Schoppenfetzer und der Henkerswein - Günter Huth


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dass das kein Fall für die Mordkommission ist!«, ergänzte er. »Das Skelett ist doch mit Sicherheit uralt!«

      »Was Sie denken, interessiert mich nicht! Was fällt Ihnen ein, sich in meine Zuständigkeiten einzumischen?«, schnauzte Krämer zurück. »Da drinnen liegt eine Leiche, deren Todesursache ungeklärt ist. Und für derartige Fälle sind zunächst einmal wir zuständig. Also, machen Sie voran, und sorgen Sie dafür, dass wir an das Skelett herankommen. Wir werden hier alles absperren, damit kein Unbefugter die Stelle betreten kann! Deichler, Sie kümmern sich darum!« Er warf dem zweiten Zivilbeamten einen scharfen Blick zu. Und Braun sah ein, dass er hier im Moment nicht weiterkam.

      »Herr Krämer, ich denke, das werden unsere Vorgesetzten entscheiden müssen, wie es hier weitergeht.« Er holte seine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie dem Leiter der Mordkommission. »Für den Fall, dass wir Kontakt aufnehmen müssen.«

      Krämer zögerte einen Augenblick, dann verfuhr er ebenso. »Ich werde dem Polizeidirektor und der Staatsanwaltschaft berichten, dann werden wir sehen, wer hier zuständig ist.«

      Ohne weiteren Gruß drehte er sich um und kletterte über die Leiter in den Pfeiler, um wenig später wieder auf der Brücke zu stehen. Die anderen folgten ihm.

      Krämer ließ einen der Streifenbeamten am Fuße des heiligen Kilian als Wache zurück, dann fuhren die Polizeifahrzeuge von der Brücke. Nun konnte auch der Techniker wegfahren. Der Fußgängerverkehr über die Alte Mainbrücke wurde wieder freigegeben.

      Schöpf-Kelle hatte genug gesehen und gehört. Er war sich sicher, dass das Behördengerangel um die Zuständigkeit für den Brückentoten auf jeden Fall bis morgen dauern würde.

      In seinem findigen Kopf entwickelte sich ein kühner Plan. Wenn der gelänge, würde ihm das eine hübsche Summe einbringen. Von seinem sprunghaft ansteigenden Bekanntheitsgrad ganz zu schweigen. Allerdings musste er dafür etwas riskieren. Er eilte zu seinem Auto, denn er musste dringend einige Telefonate führen.

      Erich Rottmann, ein Mensch, der sonst mit keinerlei Schlafproblemen zu kämpfen hatte, wälzte sich im Bett stöhnend von einer Seite auf die andere. Tags zuvor beim Frühschoppen hatte er den Schmerz nach einem kräftigen Schluck vom kühlen Silvaner zum ersten Mal gespürt. Ganz leicht nur, eigentlich nur die Ahnung eines leichten Ziehens im rechten oberen Backenzahn. In diesem Augenblick leicht zu ignorieren, weil er gleich wieder verschwand.

      Als Rottmann, rückblickend, an diesem Morgen in seinen heißen Leberkäs gebissen hatte, der vor ihm auf dem Teller so verlockend geduftet hatte, war aus dem leichten Ziehen ein heftiges Bohren geworden, das sich nachdrücklich ins Bewusstsein drängte. Der pensionierte Leiter der Würzburger Mordkommission hatte sich die Hand an die Wange gehalten und das Gesicht verzogen.

      »Schmeckt der Schoppen nicht?« Dr. Ritter, ehemaliger Leiter der Würzburger Staatsanwaltschaft und wie Rottmann Gründungsmitglied des Stammtisches Die Schoppenfetzer, hatte seinen Stammtischbruder besorgt angesehen.

      Rottmann hatte den Kopf geschüttelt. »Mein verdammter Backenzahn macht mir Probleme.«

      Dr. Ritter hatte sich beruhigt zurückgelehnt. »Du musst halt mal zum Zahnarzt!«

      »Was Du nicht sagst«, hatte Rottmann grantelnd erwidert. »Ich wäre doch jetzt glatt zum Tierarzt gegangen.«

      Wie auf Kommando hatte sich Öchsle geregt. Er hatte es sich, wie gewöhnlich, unter der Eckbank, direkt unter dem Gesäß seines Herrchens bequem gemacht. Öchsle war wie sein Mensch ein ausgesprochener Leberkäsenthusiast und wartete immer geduldig auf seinen Anteil. Seinen eigentümlichen Namen hatte er Rottmanns Vorliebe für Spätlesen zu verdanken, von denen Öchsle gelegentlich ein paar Tropfen ablecken durfte.

      Der Rüde hatte leise gewinselt und dann seinem Menschen auffordernd gegen die Wade gestupst. Rottmann hatte sofort kapiert. Begeistert schmatzend kaute Öchsle den diesmal ausgesprochen großzügig bemessenen Leberkäsanteil, den Rottmann ihm hinuntergereicht hatte. Der Hund hatte ja nicht wissen können, dass er dies dem Umstand zu verdanken hatte, dass seinem Herrchen der Appetit vergangen war.

      Natürlich hatte Rottmann nicht bei seiner Zahnärztin angerufen. Stattdessen hatte er sich eingeredet, dass er den Schmerz mit alten Hausmittelchen aus Omas Hexenküche wieder wegbekommen würde. Aber auch das Nelkenöl, das er sich im halbstündlichen Abstand auf den rebellischen Zahn geträufelt hatte, hatte nur vorübergehend geholfen.

      Rottmann, zurück in der Gegenwart, richtete sich auf und setzte die Füße auf den Bettvorleger. Ein Blick auf den Wecker zeigte ihm, dass es erst kurz nach Mitternacht war.

      Es half alles nichts, er musste eine Schmerztablette nehmen. Er stand auf und ging ins Bad. Öchsle, der gemütlich in seinem Körbchen lag, hob den Kopf und sah seinem Herrchen verschlafen hinterher. Derartige nächtliche Unruhe war er nicht gewohnt.

      Rottmann kam aus dem Bad zurück, setzte sich in seinen Sessel und schaltete den Fernseher ein. Bevor er sich wieder hinlegte, wollte er erst die schmerzstillende Wirkung des Medikaments abwarten. Gelangweilt zappte er sich durch die Programme. »Nur Mist!«, brummte er vor sich hin und schaltete das Gerät wieder ab.

      Öchsle erhob sich mühsam, trottete zu ihm hinüber, legte seinen Kopf auf Rottmanns Oberschenkel und sah seinen Menschen fragend an.

      Erich Rottmann streichelte Öchsles Kopf. »Du kannst nicht schlafen, weil ich hier in der Nacht herumgeistere, was?«

      Der Rüde wedelte freudig mit dem Schwanz.

      Rottmann gab sich einen Ruck. Er spürte bereits eine leichte Besserung. Eine unerwünschte Nebenwirkung bestand allerdings darin, dass seine Müdigkeit durch das Koffein im Medikament vollkommen verflogen war.

      »Weißt Du was, wir machen einen Spaziergang. Vielleicht werde ich dann wieder müde. Schlafen wir halt morgen etwas länger.«

      Rottmann erhob sich und zog sich an. Öchsle wedelte zaghaft mit dem Schwanz, weil er diesen nächtlichen Ausflug nicht einordnen konnte, dann trippelte er ergeben zur Tür. Grundsätzlich war er von seinem Menschen ja merkwürdige Verhaltensweisen gewohnt.

      Wenig später tappten Rottmann und Öchsle am Mainkai entlang in Richtung Alte Mainbrücke.

      Mitternacht war lange vorüber. Der Polizeiwächter am heiligen Kilian war mittlerweile durch einen Streifenpolizisten ersetzt worden, der sein Fahrzeug an der Auffahrt zur Brücke in der Nähe des Vierröhrenbrunnens postiert hatte. Der Polizeibeamte, der allein im Fahrzeug saß, konnte die Heiligenfigur von seinem Platz aus einigermaßen im Auge behalten.

      Der Beamte war ein Polizeihauptmeister im letzten Dienstjahr, dem man diese Wache aufgetragen hatte. Als abgeklärter Streifenbeamter wusste er, wie man aus einem derartigen Auftrag das Beste machte. So lehnte er sich bequem in den Sitz zurück und lauschte dem Polizeifunk, um bei dieser langweiligen Aufgabe wenigstens ein bisschen Abwechslung zu haben. – Wer konnte es ihm verdenken, dass ihm die Augenlider immer schwerer wurden? Aber selbst wenn er nicht eingenickt wäre, hätte er das Fahrzeug nicht sehen können, das sich auf der anderen Flussseite der Alten Mainbrücke näherte und im Bereich der Auffahrt beim Brückenbäck parkte.

      Zwei Männer saßen in dem Auto. Sie blieben erst eine ganze Zeit lang ruhig sitzen und beobachteten die Umgebung. Außer einigen wenigen vorbeifahrenden Spätheimkehrern war keine Menschenseele auf der Straße.

      »Schorsch, Du gehst jetzt über die Brücke und siehst nach, ob die Bullen noch immer Wache schieben«, flüsterte Christian Schöpf-Kelle, obwohl dies im Fahrzeuginneren völlig überflüssig war. »Ich mach’ mich jetzt fertig. Wenn Du mir von drüben mit dem Handy grünes Licht gibst, marschier’ ich los. Die ganze Aktion muss schnell über die Bühne gehen. Wenn wir erwischt werden, kann’s gewaltigen Ärger geben. Also, pass auf, dass Du keinen Mist baust!«

      Schorsch, ein alter Spezi von Schöpf-Kelle, den dieser mit einem Fünfziger für diese Aktion engagiert hatte, nickte, dann öffnete er die Beifahrertür des alten Kombis und stieg aus. Schöpf-Kelle konnte die Wagentür gerade noch abfangen, die Schorsch mit Schwung zuschlagen wollte.

      »Armleuchter!«, entfuhr


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