Die Omega-Spur. Raimund Badelt
sich mit dem Verhältnis von Glauben und natürlicher Erkenntniskraft des Menschen, so auch Thomas von Aquin (1225–1274), vor allem im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit Aristoteles. Zu dieser Zeit wurde die Gefahr der Aufspaltung des geistigen Lebens sichtbar, die Trennung von „Wissen“ und „Glauben“ – gewissermaßen eine Vorläufer-Debatte zur heutigen Thematik der Spannung von Naturwissenschaft und Religion. Thomas beschäftigte sich mit dem Verhältnis der beiden Bereiche, ihrer Autonomie, aber auch der Notwendigkeit ihrer Verknüpfung. Er betont den Eigenwert der Materie, besonders auch des menschlichen Leibes; Letzteres als Antwort auf die Behauptung, dass Gottähnlichkeit als Ziel des Menschen nur die vom Leib getrennte Seele beträfe.
Schon eine Generation nach Thomas beginnt auch unter Theologen die Vorstellung von einer Schöpfung zu einem konkreten Zeitpunkt, der einige Jahrtausende zurückliegt, zu wanken: Meister Eckhart (1260–1328) definiert Schöpfung als „Verleihen von Sein nach dem Nichtsein“. Er spricht nicht nur von der fortdauernden Schöpfung, sondern sogar auch von der allzeit gegenwärtigen Menschwerdung Gottes und Vergöttlichung des Menschen. Eckhart wehrt sich gegen die verbreitete Vorstellung, Gott als ein im Himmel thronendes Wesen zu sehen; er greift stattdessen das alte Wort von der „Gottesgeburt“ als Ereignis unserer eigenen Lebensgeschichte auf, spricht davon, dass Gott im Stall oder am Feuer (d. h. im Alltag, bei der Arbeit) genauso zu finden sei wie in „Andachten und süßen Empfindungen“. Damit schlägt er wohl eine Brücke zu einer Spiritualität des Handelns. Eckhart als Dominikaner und prominenter Theologieprofessor wird wegen einiger seiner Thesen in einem Häresie-Verfahren vor ein Inquisitionsgericht gestellt; er unterwirft sich öffentlich dem kirchlichen Lehramt.
Eine seit Jahrhunderten immer wieder geführte theologische Diskussion betrifft die Frage, warum es zum Auftreten Christi, zur Menschwerdung Gottes kam. Ist all das nur die göttliche Reaktion auf die Sünden der Menschen, oder wäre Christus auch ohne dieses Verhalten der Menschen gekommen?
Im Altertum vertrat Augustinus noch die Ansicht, dass ohne Sünde des Menschen Christus nicht gekommen wäre. Etwas abgeschwächt argumentierte auch Thomas von Aquin in diese Richtung. Im Gegensatz dazu war der berühmte Theologe aus dem Franziskaner-Orden, Duns Scotus (1266–1308), ein prominenter Vertreter der Meinung, dass Christus auch Mensch geworden wäre, wenn Adam nicht gesündigt hätte.
Mit Nikolaus Cusanus (1401–1464) greift ein vielseitiger Denker diese Debatte auf. Er ist Konzilstheologe, Jurist, Historiker, Diplomat, Bischof von Brixen, Kardinal, aber auch Mathematiker mit Interesse für Astronomie und physikalische Messungen. Seine Interessen reichen von Kirchenpolitik bis zum interreligiösen Dialog, gleichzeitig aber auch zu naturwissenschaftlichen Spekulationen, wonach das Weltall unendlich sein müsse und daher keinen Mittelpunkt habe, weder die Erde noch die Sonne – ein sehr moderner Gedanke! Er argumentiert auch, dass im Weltall keinerlei Substanz vernichtet, sondern nur umgewandelt werde. Dazu führten ihn systematische theoretische Überlegungen, die wissenschaftlichen Geräte der Gegenwart standen ihm ja nicht zu Verfügung. Er kommt aber prompt in Schwierigkeiten mit der Kirche, Gegner werfen ihm Pantheismus vor.
Mit diesem breiten geistigen Hintergrund argumentiert nun Cusanus in Weiterführung der Linie von Duns Scotus, neben der unbestrittenen Behebung des Sündenfalls sei es die Hauptabsicht Gottes gewesen, mit der Fleischwerdung des Wortes das Universum zur Vollkommenheit zu führen. Cusanus leitet die Notwendigkeit der Menschwerdung Christi aus der liebevollen Güte Gottes ab, die nicht nur den Sünder oder den Menschen allgemein, sondern den ganzen Kosmos betrifft – eine ungewöhnliche These 600 Jahre vor Teilhard mit seiner Sicht auf den „Punkt Omega“ der Evolution!
So unterschiedlich auch Zeitalter, Lebensweg und Wirkungsgeschichte von Cusanus und Teilhard sind, so fällt doch auf, dass die Verbindung von theologischen und naturwissenschaftlichen Interessen bei beiden zu einem breiteren Verständnis der Inkarnation führt, zu einem Ernstnehmen der Materie, zu einem vertieften Gottesbegriff, aber auch zum Vorwurf des Pantheismus.
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