Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe
Soziologe Stefan Kühl warnt davor, die Hebelwirkung von Personalentwicklungsinstrumenten bei der Veränderung von Organisationen überzubewerten. Er hinterfragt gerade die inhaltliche Verknüpfung von Personal- und Organisationsentwicklung als „Heilmittel“ jeder Veränderungsgestaltung und konstatiert, dass es in der Praxis weniger um eine Balance beider Prozesse, als vielmehr um Entscheidungen zwischen dem einen oder anderen Ansatz geht. Als zusätzliche Relativierung konstatiert Kühl, dem Organisationskonzept von Luhmann folgend und allen Behauptungen von „Personal als Software“ widersprechend: „Die Strukturen der Organisation sind die Software. Sie sind bei allen Verhärtungen durch einfache Entscheidungen ‚umzuprogrammieren‘. Die Personen sind dagegen Hardware, weil sie sich diesen einfachen Programmierungsprozessen entziehen.“114 Und selbst wenn der Einzelne bereit wäre sich zu ändern, sieht er sich durch die sozialen Erwartungen festgelegt, mit denen er sich tagtäglich konfrontiert findet. Veränderte Anforderungen treffen immer noch auf dieselbe Person, die für viele Kontakte ihre Identität wahren muss.
Bei der Planung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen ist es wichtig zu beachten, dass es sich bei den von Veränderungsmaßnahmen betroffenen bzw. daran beteiligten Mitarbeitern um erwachsene Menschen handelt, die bereits mit relativ überdauernden Ausprägungen unterschiedlicher Verhaltens- und Wertdispositionen (also Motiven) ausgestattet sind. Die Beeinflussbarkeit der Ausprägung von Motiven ist deutlich geringer anzusiedeln als die Gestaltung von situativen Bedingungen und deren Wahrnehmung durch die Organisationsmitglieder.
Aus der Perspektive der Organisationssoziologie ertönt der Ruf nach Bescheidenheit: Personalentwicklung ist kein Allheilmittel zur Umgestaltung von Organisationen. Organisationspraktiken stehen in der Gefahr, dass sie Programme, Technologien und Dienstwege als Hardware betrachten, während alles, was „den Menschen betrifft“, unter die Software gerechnet wird. Angemessener aber wäre es, Strukturen und technische Gegebenheiten als relativ rasch zu ändernde Software, die in einer Organisation handelnden Personen als Hardware zu behandeln. Auch bei Niklas Luhmann findet sich eine Relativierung der Personalfragen in Bezug auf ihre Bedeutung für Veränderungsprozesse in Organisationen. „Organisationspläne und Aufgabenbeschreibungen lassen sich leicht, praktisch mit einem Federstrich ändern. Dagegen ist das Agglomerat von individuellen Selbsterwartungen und Fremderwartungen, das als ‚Person‘ identifiziert wird, schwer, wenn überhaupt umzustellen.“115 Grund ist das zirkuläre Zusammenspiel von Selbst- und Fremderwartungen. Selbst wenn der Einzelne bereit wäre sich zu verändern, sieht er sich durch soziale Erwartungen festgelegt und ist bestrebt, die eigene Identität durch soziale Kontakte zu wahren. „Personales und soziales Gedächtnis verfilzen so stark, dass eine planmäßige Änderung kaum jede Asymmetrie herausfinden kann, die sie bräuchte, um ihren Hebel anzusetzen.“116 Im Bereich der Personalentwicklung bedeutet dies, dass Weiterbildungsmaßnahmen ohne Wirkung bleiben, weil der einzelne Mitarbeiter in sein Umfeld mit den alten Fremderwartungen zurückkehrt und beruflich wie privat Kontinuität im Verhalten erwünscht wird. Eine gleichzeitige Veränderung von Selbst- und Fremderwartungen ist nach Kühl eine „unrealistische Steuerungsphantasie“ von Trainern und Beratern. „Veränderungen der Selbst- und Fremderwartungen so takten zu wollen, dass am Ende ein anderes Verhalten herauskommt, bedeutet die Komplexität von sozialen Erwartungshaltungen völlig zu unterschätzen.“117 Hochgespannte Erwartungen der Personalentwicklung „stoßen sich hart an der Unberechenbarkeit der Individuen. Auch wird die Fähigkeit des Individuums zu rationalem Entscheiden trotz aller Einschränkungen immer noch überschätzt.“118
Nach Luhmann hat Personalentwicklung auf diesem Hintergrund wenig Einfluss auf Organisationsveränderungen. Sie kann aus organisationssoziologischer Perspektive nur mit größten Schwierigkeiten die Art und Weise, wie Entscheidungen in Organisationen gefällt werden, verändern. Personalentwicklung dient in der Regel der sinnvollen Ausstattung von Arbeitsplätzen, stellt Hilfen für persönliche und berufliche Probleme bereit, plant Eingewöhnungszeiten für Neuankömmlinge und Abkühlzeiten für Versager und Opfer von Stellenkürzungen. Diese angesichts der meisten Managementkonzepte sehr bescheidenen Ansprüche von Personalentwicklung reduziert Luhmann weiterhin auf „Angebote von Ersatzbefriedigungen für Personen ohne Aussicht auf ein Weiterkommen“ bis hin zu „Scheinhierarchien, die Beförderungsmöglichkeiten bieten, ohne dass dem auf der Ebene der Kompetenzen ein Bedarf entspräche.“119
Kühl verweist auf das Dilemma, in welchem Personalverantwortliche stehen: Latente Funktionen wie das Etablieren von Scheinhierarchien oder das Installieren von Ersatzbefriedigungen für Mitarbeiter ohne Karriereaussichten dürfte weder den Mitarbeitenden noch der Unternehmensleitung gegenüber offen formuliert werden. Latenz bedeutet nicht, dass die Beteiligten gegenüber dieser Funktion zwangsläufig blind sein müssen. „Häufig weiß man, dass eine Outplacement-Beratung dazu dient, die Wut der entlassenen Mitarbeiter ‚auskühlen‘ zu lassen, aber man kann dies eben nicht immer genauso formulieren. Auch ist dem Kollegen häufig bewusst, dass eine Managerin die zweite Sekretärin nicht nur wegen der Arbeitsüberlastung, sondern wegen dem Statusgewinn anstrebt.“120 Auch Personalentwicklung in der Kirche hat ihre eigenen „Auskühlmechanismen“ und „Scheinhierarchien“. Zu nennen wären im kirchlichen Arbeitsmarkt das „Ruhigstellen“ von leitungswilligen Laienmitarbeitern auf Pfarreiebene, die statt Leitungsaufgaben innerhalb einer Pfarrei zusätzliche Dekanatsaufgaben übernehmen oder Spezialfortbildungen machen. Um nicht unfähige Mitarbeiter entlassen zu müssen oder um schwelende Dauerkonflikte einzugrenzen, werden schwierige Mitarbeitende „geparkt“ auf neu geschaffenen Stellen, die nach Stellenplan unnötig wären. Individuelle Kränkungen können durch die Vergabe von Ämtern und Ehrentiteln gemildert werden.
Die hier aufgeworfenen Anfragen an den Wirkungsgrad von Personalentwicklungsmaßnahmen führen zu einer kritischen Grundhaltung gegenüber jeglichen allzu glatten Managementkonzepten. Wenn der Personalentwicklung nur in begrenztem Umfang Veränderungskraft auf der Ebene einer großen Organisationseinheit zugestanden wird, liegt dies auch an einem zu engen Verständnis von Personalentwicklung. Dies ist der Grund, warum im Rahmen dieser Arbeit das Verständnis von Personalentwicklung bewusst geweitet wird. Es geht um mehr als um Fortbildung und Führungstrainings. Personalentwicklung umfasst die strategische Gestaltung von Prozessabläufen und die Einflussnahme auf Arbeitsstrukturen und Räume. Der Aufruf zur Selbstbescheidung der Personalentwicklungsansprüche soll an dieser Stelle Impuls sein, die „Umprogrammierbarkeit“ der „Hardware Personal“ gerade in der katholischen Kirche nicht zu überschätzen. Pfarreien sind einflussreiche Systeme, welche die Veränderungsimpulse des einzelnen Pfarrers oder Gemeindereferenten „aufsaugen“ und „neutralisieren“ können. Kirchliche Sozialisation und studienbegleitende Berufsausbildung in einer diözesanen Einrichtung prägen das eigene Berufsverständnis. Hier werden einzelnen Fortbildungsmaßnahmen oder Trainings in späteren Jahren nicht mehr als Impulse geben können und im besten Fall Irritationen verursachen, welche Suchbewegungen auslösen. Allmachtsphantasien von Fortbildnern und Persönlichkeitstrainern ist Einhalt zu gebieten. Darauf wird im Kapitel 7 („Kirchenspezifische Probleme“) noch näher einzugehen sein.
3.6 Personalentwicklung als Teil von Organisationsentwicklung – Die Bedeutung von Arbeitsstrukturen
„Personalentwicklung“ muss in engem Bezug zur Organisationsentwicklung bzw. zum organisationalen Lernen des Unternehmens definiert werden. Neben die traditionellen laufbahn-, positions- und qualifikationsbezogenen Maßnahmen treten deshalb in immer stärkerem Maße organisations- und strukturbezogene Aktivitäten. Das Verständnis von Personalentwicklung darf sich nicht beschränken auf die personenbezogenen Schwerpunkte wie Fort- und Weiterbildung. Wer den Vorrang der Person will, muss sich auch mit den Strukturen beschäftigen, die diese Personen umgeben.
Jede Organisation als Gesamtsystem ist eingebettet in ein komplexes Beziehungsgefüge interschiedlicher Wirkfaktoren. Ein im Kontext der Personalentwicklung sinnvolles Konzept zur Planung und Steuerung in Organisationen bezieht soziale, technologische und bauliche Faktoren ein. Von Interesse sind dabei die Gesetzmäßigkeiten und Wechselwirkungen innerhalb einer Organisation. Vier Subsysteme kristallisierten sich, eingebettet in den Kontext