Tilman und die Nackten. Christoph Pitz
sind doch nicht die Apostel unseres Herrn, es ist das Geld, das uns drückt. Zwölf lebensgroße Figuren in der Höh’ dort oben. Herrschaftszeiten, lassen wir der Kapell’ doch alleweil mal die Ruh’. Wir kommen doch kaum noch mit der vielen Steuer deines Bischofs hinterher“, entgegnete Endres Stein von der mächtigen Zunft der Wirte und Weinmesser.
„Und die Brücke“, rief ein anderer aus den Reihen der einfachen Räte, „sag dem Allendorfer doch mal, wer dem Bischof die Brücke baut.“
So ging es für eine Weile hitzig hin und her. Den Vertretern des Oberrates und dem Fürstbischof warf man vor, die Stadt und ihr Bürgertum nicht nur kontrollieren zu wollen, sondern mittels erzwungener Pflichten wie dem Neubau der Brückenbögen und Fahrbahn in Stein, immer weiterer Mauern, Tore und Türme sowie nun auch noch die Figuren an der städtischen Kirche in nicht endender Sorge und Geldnot halten zu wollen. Die Oberräte hielten dagegen, dass Brücke und Mauern zwar einer Sorge ihres gnädigen Landesherrn entsprängen, aber es sei dies doch nur die Sorge um das Wohlergehen der Stadt und ihrer Bürger, die Sorge um seine Untertanen. Endlos hätte der Wortkampf aus Rede und Widerrede angedauert, wäre nicht der Anton Mühlbach aus der Hauger Vorstadt schließlich vorgetreten, um den Räten einen neuen Vorschlag anzutragen. Er hatte hier das Rederecht, durfte bei Entscheidungen aber nicht mitstimmen.
„Ihr Herren, geben wir der Stadtkirche doch zunächst nur zwei große Figuren. Sehen wir, wie das Volk diese aufnimmt und ob es die weiteren sodann bezahlen will.“
Unschlüssiges Raunen. „Nur zwei Apostel?“, meldete sich nun wieder Endres Stein misstrauisch zurück. „Welche wählst du dafür aus?“
Mühlbach rieb sich kurz den spitz geschnittenen Bart. „Keine Apostel. Es müssten andere sein, eine Zweiergruppe, ein Paar …“
„Da kannste der Maria ja gleich Adam und Eva hinstellen“, feixte ein anderer dazwischen und schlug sich auf die Schenkel, gefolgt von einigem Gelächter aus dem Kreis der Räte.
‚Adam und Eva! Das ist es doch, Ihr Herren, der Mutter Gottes stehen wohlgefällig die ersten Menschen, die Eltern des Menschengeschlechts zur Seite.“
Getuschel breitete sich im Wenzelsaal aus, zum ersten Mal an diesem Tag. Dann ließ sich einer der Zunftvertreter vernehmen: „Aber wo stellen wir die dort oben an den Pfeilern auf? Nach Süden sind es vom Chor bis zum Westportal genau zwölf Pfeilerplätze für die Figuren. Auch deshalb die Apostel. Willst du sie also daruntersetzen?“
Wieder überlegte der besonnene Mühlbach. „Nicht darunter, nein. Dem Südportal mit der Krönung Mariens zu den Seiten. Im Tabernakel, geradewegs wie es für Apostel an den Pfeilern vorgeschlagen wurde.“
So wie es dem Rat anstand, wurde das Für und Wider noch zur Gänze ein Stündchen lang abgewogen. Der beinahe einmütige Beschluss fiel indess zur Beauftragung zweier lebensgroßer Figuren von Adam und Eva für das Südportal der ebenso riesigen wie prachtvoll lichten Kapelle der Würzburger Bürgerschaft aus. Der Bildhauer zur Ausführung wäre noch zu bestimmen, das hatte Zeit, vielleicht ja der junge Meister Til von der Sankt-Lukas-Gilde. Nicht wenige beglückwünschten den pfiffigen Mühlbach für seine kluge Idee zu der doch sehr viel kleineren Gruppe. So gewann man gegenüber Oberrat und Bischof Zeit, solcherlei Jahre wahrscheinlich, und man sparte sich viele städtische Gulden, die an anderer Stelle dringender gebraucht wurden. Es kam nicht oft vor in diesen Zeiten, dass es ihrem Rat gelang, der fürstbischöflichen Obrigkeit eine lange Nase zu drehen. Die großen Ratskrüge wurden herbeigeschafft und dem Anlass gemäß recht ordentlich gefüllt.
Johann von Allendorf aber verließ mit den übrigen Gesandten des Oberrates grußlos den Saal: „Dies hier ist noch nicht vorbei. Es fängt gerade erst an!“
4
Tilman schob Anna den Stuhl mit der langen, über Kopf hohen Lehne zurecht. Sie hatte es nicht leicht, mit den vielen Schichten und Falten ihres besten Reisegewandes darauf Platz zu nehmen, doch der Anlass an der Tafel Lorenzo de Medicis ließ nichts anderes zu als das Beste, das sie besaßen. Auch er hatte aus seiner kleinen Truhe die feinsten Kleider herausgesucht, nachdem sie hier in diesem gewaltigen Palast eine Kammer bezogen hatten, als seien sie ein Fürstenpaar aus edelstem Geblüt. Sein Weib gab sich glücklich wie nie zuvor.
Nach und nach füllte sich der Speisesaal und fröhlich miteinander scherzende oder auch ernsthaft in Gespräche vertiefte Gäste nahmen Platz an der langen Tafel des Herrn der Toskana. Einzeln, zu zweit oder in kleinen Grüppchen trafen sie ein, während Mägde und Diener bereits auftrugen und die Kelche aus edlem Kristall füllten. Zu Tilmans Verwunderung benahm man sich hier anscheinend völlig zwanglos. Edel gewandete Frauen und Herren gingen freundschaftlich lachend mit anderen um, welche wiederum erschienen, als könnten sie sich gerade noch ein paar zurecht geflickte Lumpen leisten. Anna rümpfte erschrocken und auch pikiert mehr als einmal die Nase, denn auch der ein oder andere Geruch wehte mit Neuankömmlingen herein. Gerade neben ihnen nahm ein nicht mehr ganz junger, recht untersetzter Mann Platz, dessen Ausdünstungen in einem Gemisch aus Schweiß und Wein auch für weniger empfindliche Nasen einer gewissen Gewöhnung bedurften.
Tilman fand aus dem Staunen über die seltsame Ausgelassenheit dieses Landes selbst an der Tafel eines so hohen Herrn kaum noch heraus. Undenkbar, dass sich die Gäste ihres Fürstbischofs in Würzburg auf diese Weise ungebührlich benähmen. Dass der alte Meister Bertoldo erschien, verwunderte ihn nicht, dass aber jener ernste Knabe aus dem Bildhauergarten, der sein eigenes Reliefbild so harsch geschmäht hatte, gleich hinterher in den Saal stapfte, entlockte ihm einen Laut der Verblüffung. Wie hieß er noch gleich? Ach ja, Michelangelo Buonarroti.
„Lorenzo hat einen Narren an dem Jungen gefressen“, der Untersetzte stupste Tilman mit dem Ellbogen an, „wenn du mich fragst, wird man in fünfhundert Jahren sich nur deshalb an uns erinnern, weil der kleine Bursche da unter uns wandelte. Dafür muss der Alte dem Knaben aber noch die Flausen und Lorenzo ihm den Missmut austreiben. Du solltest nur mal sehen, wie sich der Bengel in der Akademie benimmt.“
„Akademie? Was ist das?“
Der Untersetzte mit den starken, schwer zu entschlüsselnden Ausdünstungen lachte kurz auf. „Du kommst wahrlich aus weiter Ferne in unser herrliches Firenze. Die Akademie Lorenzos ist der zusammengefundene Geist der klügsten Denker und … ah … Il Magnifico.“
Lorenzo erschien. Die Gespräche erstarben augenblicklich. Die Gäste an der Tafel des Prächtigen applaudierten. Abwehrend hob der Bewunderte die Arme, näherte sich von der Gicht schwer geplagt mit schleppenden Schritten den Menschen.
„Dürstet und hungert nicht in meinem Haus. Labt euch an den Genüssen meiner Tafel und stärkt eure Geister im regen Austausch zueinander.“ Lorenzo begrüßte einige seiner Gäste mit Handschlag und mit Wangenkuss, darunter den jungen Michelangelo. Anschließend nahm er nicht etwa am Kopfende der Tafel Platz, sondern inmitten der langen Reihe seiner Familie, wie er es häufig nannte. Noch in Gesprächsweite gegenüber Anna und Tilman.
Gerade nahm der Untersetzte das unterbrochene Gespräch zur Akademie wieder auf, als die Stimme Lorenzos direkt zu ihnen herüber drang.
„Wie ich mit Freude sehe, habt ihr euch schon bekannt gemacht, Meister Tilman. Stellt ihm nur wohlgemut eure Fragen. Aber seid auch recht streng damit. Zuviel des Lobes und der Bewunderung gehen dem Meister nur in die Leibesfülle, wie man sieht.“
Der Untersetzte schnaubte verächtlich auf und nahm einen fetten Bratenschlegel von einer Platte.
„Ich verstehe nicht, Eure Exze …, Lorenzo.“
Der Funken fröhlichen Schalks sprühte auf in den dunklen Augen des Prächtigen. „Ah, Meister Tilman, ich sehe, Ihr wisst noch nicht, mit wem Ihr euch zu eurer Seite unterhaltet. So lasst mich vorstellen“, er nahm seinen Pokal zur Hand und die Angesprochenen taten es ihm gleich, „Meister Tilman, dies ist Sandro Boticelli, Schöpfer von La Primavera und zahlreicher weiterer Werke seiner außerordentlichen Kunstfertigkeit, wie ich es nur ungern vor all diesen Zeugen zugebe. Aber es ist so.“ Lorenzo gönnte sich ein Augenzwinkern in die Runde seiner Gäste, ein Kichern lief in einer Welle die Tafel entlang, Boticelli verzog das Gesicht zu einem