Wer ist dein Gott?. Vitus Seibel
sollen wir Menschen eine so starke, souveräne Liebe, also die Gottes zu uns, von unserer Seite aus erwidern und IHN ehren, ja verehren! Allein solche Gegenseitigkeit trägt zu unserem Wohlbefinden – und Heil – bei.
4. Die von Menschen aufgestellte Lehre, dass sich Gott aus Trauer über uns zurückzog, ist unrichtig. Allerdings überträgt Gott sein unmittelbares Wirken zumindest im politischen Zusammenleben von sich auf die Menschen; ER bleibt selbstverständlich, vermittelt durch Menschen, höchst verantwortlich!
Gott zog sich also weder aus Abneigung zu uns noch aus Zorn über uns zurück, sondern aus tiefer Zuneigung zum Menschen, der als freies Wesen geschaffen ist, um sich in freiem Handeln seinem Ziel, dem wahren Menschsein, anzunähern. Menschliches Handeln soll die Schöpfung ihrer Vollendung näherbringen und sie verantwortlich zum Guten, Schönen und gerechten Leben ausgestalten. Und jedes Handeln soll Gott zur wahren Ehre gereichen.
5. Somit lässt sich die von kritischen Zeitgenossen angestrebte Verantwortung auch – und eigentlich nur! – erreichen und anzielen, wenn wir mit Gott, dem Schöpfer, zusammenleben wollen. Unser Ziel bleibt: Gott, den Schöpfer und Erlöser, zu ehren, zu verehren und in Freiheit zu lieben. Gott hilft zugleich unermüdlich, dass wir Schritt für Schritt, Tag für Tag auf dem Weg zu ihm vorwärtskommen, um dieses Ziel, also IHN selbst, zu erreichen.
Schluss:
1. Wer Gott aus der Welt und zu Verzichten drängen will, soll wissen, dass und weshalb Gott sich selbst enorm zurückzieht und verzichtet.
2. Wenn der Mensch sich selbst verliert oder verneint, so hilft Gott, dass der Mensch sich wieder findet und zu bejahen vermag.
3. Wer Gott töten will, soll wissen, dass Gott seinem einzigen Sohn schmerzlichst den Weg zu den Menschen freigab, die fähig zum Töten waren.
4. Wo der Mensch für sich Vorteil, allenfalls Gerechtigkeit fordert, schenkt Gott sich selbst und heilt den Menschen aus Krankheit, Selbstbetrug und Versklavung.
Norbert Brieskorn SJ, München, geb. 1944
Mein Gott für die anderen
Begegnet bin ich Kathrin bei einem Kurs für Krankenpflegeschülerinnen. Sie war keine Christin, aber ein sehr offener, freundlicher Typ. Irgendwann fragte sie mich: »Pater, neulich wollte ich das Zimmer eines Sterbenden verlassen, da hielt mich der Mann fest, schaute mir in die Augen und sagte: Schwester, Sie glauben doch auch an den Himmel!« Und Kathrin erzählte mir, dass ihr Gott und Himmel eigentlich fremd sind, dass sie diesem Sterbenden aber sehr spontan gesagt hatte: »Ja, ich glaube auch an den Himmel!« Und ihre Frage an mich: »Habe ich da gelogen oder war meine Antwort richtig? Wie sehen Sie das?«
Ich denke immer mal wieder an Kathrin, ihre Antwort an den Sterbenden und ihre Frage an mich. Denn es geht mir oft ähnlich, etwa wenn ich Eucharistie mit Menschen feiere, die mir wichtig sind. Da müsste ich manchmal während des Hochgebetes aufhören und den Freunden sagen: Lasst mich mal nachdenken, ob ich an all das glauben kann und auf diesen Jesus, sein Leben und seinen Tod und Gottes Barmherzigkeit wirklich vertrauen darf oder ob das alles nur dahingesagt ist und nicht von meinem Glauben getragen wird. Aber ich bin gerade dann froh, dass ich eingebunden bin in eine liturgische Handlung, die Eucharistiefeier, in ein Hoffen der anderen Menschen, die mich in all meinen Fragen und Unwägbarkeiten mitnehmen in ihren Erwartungen. Ich lasse mich dann darauf ein, für die anderen an Gott zu glauben, auch wenn mein eigener Glaube oft fraglich bleibt. »Für die anderen!« – das ist mein Gottesbild. Für sie möchte ich glauben dürfen; für sie will ich eigentlich das leben und sein, was ich bin.
»Glauben heißt die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten«, sagt Karl Rahner. Diesen Satz haben diejenigen, die das Gotteslob, das katholische Gesangbuch, zusammengestellt haben, ausgerechnet unter das Lied »Großer Gott, wir loben dich« geschrieben. Ich selbst würde wahrscheinlich formulieren: »Herr, ich bin froh, dass ich für andere an dich glauben möchte, über alle Fragen und Nöte hinweg. Hilf du meinem Unglauben, damit mein Vertrauen auf dich wahrhaftig ist und den anderen hilft, einen lebendigen Glauben zu haben.« – Für die anderen!
Aber es gibt auch Momente in meinem Leben, die sich mir anders darstellen: Wenn ich nach mühsamen Wegen auf einen Gipfel gestiegen bin und unter mir vielleicht der Nebel liegt, der manches verbirgt, über mir ein blauer Himmel und um mich herum die vielen anderen Gipfel der Alpen, die sich aus dem Nebel wie Inseln erheben, dann ist es für mich ganz einfach, im Herzen zu singen: »Preist den Herrn, ihr Berge und Hügel, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit. Preist den Herrn, ihr Meere und Flüsse, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit« (Dan 3,75.77).
All dies – die Nöte und Zweifel, »der Gott für die anderen« und das Lob der Schöpfung – gehören in meinem Herzen zu »meinem Gott für die anderen und für mich«.
Jörg Dantscher SJ, Nürnberg, geb. 1941
Du, mein Gott
Du Gott meiner Kindheit
Am frühen Morgen durch die wogenden Weizenfelder zur Schule. Der blaue Himmel und die leuchtende Sonne lassen mir das Herz aufgehen. Schweigen geht gar nicht. Also singe ich dir mit lauter Kinderstimme – es hört mich ja keiner! –, was ich zuhause gelernt habe: »Der Tag ist aufgegangen, Herr, Gott, dich lob ich allezeit. Dir sei er angefangen, zu deinem Lob bin ich bereit …« Oh, wie ich dieses Gotteslob in der Natur geliebt habe – und immer noch liebe. Dir, dem »Herrgott« – so hießest du bei uns –, bin ich zunächst in der Schöpfung begegnet. Und dort habe ich dich immer wieder neu gesucht – und oft leicht und jubelnd gefunden. Dort hast du mich später »hinausgeführt in die Weite«, wann immer es mir eng war, mir alles oder alle auf die Nerven gingen.
Du Gott meiner Jugendjahre
So vollmundig ich dich als Kind gepriesen hatte, mit dem Stimmbruch wurde ich unsicherer, verschlossener und schweigsamer. Das Auf und Ab der Gefühle, das erstmalige Erspüren von Freiheit und Verantwortung für gute und, ja: schlechte Taten – wohin sollte ich mich wenden mit all dem? »Jugend vor Gott«, dieses Buch eines Jesuiten, das mit seinen Gebeten, Gedichten und Bildern eine ganze Generation katholischer Jugendlicher geprägt hat, hat auch mich begleitet. Es hat mir geholfen, dich als einen aufmerksamen, verständnis- und liebevollen Gesprächspartner an meiner Seite zu entdecken. Du hast meinen Blick auf dich und dein Wirken geweitet, aber mir auch die Tiefe meines Inneren und meine Aufgabe in der Welt erschlossen.
Du Gott meiner Lebensmitte
Im Heiligen Land, in der Wüste Sinai, begegnete ich dir auf neue Weise. Dort sprachst du zu mir mit einer »Stimme verschwebenden Schweigens« (Martin Buber), die mich betört und begeistert, ohne die ich mich kaum auf den Weg der Nachfolge deines Sohnes begeben hätte.
Mit dem Alter steigen die Verantwortung und das Risiko, mich, der ich scheinbar unersetzlich bin, im Aktivismus zu verlieren. Da begegnest du mir im Strudel der Wasser als der, um den allein sich alles dreht. Da erblicke ich dich, wo ich zu versinken drohe, am Ufer als der rettende Hafen. Dass ich deine Gegenwart, aus welchem Grunde auch immer, heute weniger spüre als früher, ist wahr. Aber dann bricht es plötzlich aus mir beschwörend heraus: »Du in mir und ich in dir.« Manchmal sind es genau diese Worte, die »den Schalter umlegen« und mein Leben plötzlich und unerwartet in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Du Gott meines Alters
Du, Jesus, sollst der Gott meines Alterns sein. Fast täglich denke ich ans Sterben, stets auf der Suche nach einer end-gültigen Perspektive für mein Leben. Mich begleitet seit über 20 Jahren das Gebet eines jung verstorbenen spanischen Jesuiten namens Isidro, der im klaren Bewusstsein seines nahen Endes dich, seinen Freund und compañero Jesus, bat:
»Wenn dein Weg an meinen Füßen vorbeigeht, sag mir, wohin wir gehen.
Gib, dass ich mich in deine Hände fallen lassen kann, in deine Augen schauend,
um zu erkennen, dass der Vater ein so mitfühlendes Herz hat wie das deine.