In der Fremde glauben. Torsten W. Müller

In der Fremde glauben - Torsten W. Müller


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der SBZ wurde diese Entwicklung beschleunigt. Die zunehmenden Hemmnisse des Fuldaer Bischofs, in seinem östlichen Jurisdiktionsgebiet zu agieren und reagieren, erforderten es vermehrt, Entscheidungen vor Ort zu treffen.

      Eine dauerhafte kirchliche Zentralisierung auf Erfurt hin bahnte sich zu dieser Zeit immer deutlicher an. Seit Jahresende 1944 erfolgte die Koordinierung der rheinischen Priester „wegen der schlechten Post- und Verkehrsverhältnisse“ vollständig von Erfurt aus, indem Dompropst Freusberg den Geistlichen die „Cura animarum“ erteilte, Obmann Plettenberg die Seelsorgebezirke zuteilte und die Priester in ihre Aufgaben einwies. Das Ordinariat in Fulda erteilte nachträglich die Genehmigung der Anstellung.105

      Am 20. Januar 1945 errichtete der Bischof von Fulda in Erfurt schließlich ein eigenes Bischöfliches Kommissariat für die Abgewanderten-Seelsorge, das die gesamte Seelsorge an den evakuierten Katholiken nach festgelegten Richtlinien regelte, und ernannte Joseph Plettenberg zum Kommissar.106 Plettenberg arbeitete auch jetzt eng mit dem Leiter des Bischöflichen Geistlichen Gerichts, Dr. Freusberg, zusammen, mit dem er alle Versetzungen und Neuanstellungen der Priester – besonders im Dekanat Erfurt – besprach.107

      Zunächst führten diese beiden Geistlichen eine Strukturreform der Diasporapfarreien durch, indem sie allzu große Seelsorgsbezirke provisorisch neu aufteilten. Für diese Umgruppierung erteilte das Generalvikariat in Fulda dem Bischöflichen Kommissar im Voraus die Genehmigung.108 So befanden sich beispielsweise die an der Pfarrgrenze der Pfarrei Weimar liegende Orte über 20 km vom Pfarrort entfernt, dagegen nur wenige Kilometer von Erfurt. Eine Neuumschreibung der Pfarreien war also durch die Migrationsströme und die damit verbundenen Neugründungen von Seelsorgestellen und Gottesdienststationen am Kriegsende unbedingt notwendig geworden.

      Die in der Seelsorge an Evakuierten und Flüchtlingen eingesetzten Priester, zumeist aus der Erzdiözese Köln, wurden schließlich nur noch auf Antrag bzw. Anregung Plettenbergs angestellt.109 Er entschied – meist nach einer Rücksprache mit Freusberg – auch über Versetzungen, führte Verhandlungen mit den zuständigen Stellen für den katholischen Gottesdienst in evangelischen Kirchen110 und teilte dem Fuldaer Generalvikar stets neue Vorschläge über den zweckmäßigen Einsatz der Abgewandertenseelsorger mit.

      In Erfurt rief man die monatlichen Konferenzen der Abgewanderten-Seelsorger ins Leben, an der stets 30 bis 40 Priester teilnahmen.111 Ziel dieser Zusammenkünfte war es unter anderem, eine einheitliche Regelung der auftretenden Schwierigkeiten zu erreichen.

      Das Kölner Generalvikariat war über diese sich als eigenständig, zumeist der Verwaltung und Organisation widmenden Tätigkeit des Obmanns wenig erfreut. Am 28. Februar 1945 schrieb der Kölner Generalvikar an den Erfurter Dompropst Freusberg:

       „Das Amt eines Obmannes war von uns gedacht nur als Zwischenstelle zwischen Ordinariat und Abgewanderten-Seelsorgern, soweit von ersterem allgemeine Anweisungen für letztere notwendig würden, so dass das Vorhandensein einer Zwischenstelle eine Erleichterung für das Ordinariat bedeuten würde. Wir sehen nicht gern, dass darüber hinaus das Amt des Obmannes sich zu einer Zentralstelle der Abgewanderten-Seelsorge auswächst und verselbständigt wird. Wir haben von Anfang an Wert darauf gelegt, dass die Abgewanderten-Seelsorge sich in die seelsorglichen Gegebenheiten der Aufnahme-Diözesen sorgfältig einfüge und nicht schließlich als eine Art Diözese innerhalb der Aufnahme-Diözesen in Erscheinung trete. In allen Aufnahmediözesen, in die wir Geistliche beurlaubt haben, mit Ausnahme von Fulda, wird nach Möglichkeit von einer Zentralisierung der Abgewanderten-Seelsorge neben der Diözesen-Organisation abgesehen. Auch für das Bistum Fulda wäre es uns erwünscht, wenn dem Obmann keine Aufgaben zugewiesen würden, die z.B. von den örtlich zuständigen Pfarrern geregelt werden könnten. Wir würden es begrüßen, wenn Herr Pfarrkurat Plettenberg in den Stand gesetzt würde, wenigstens einen kleinen Bezirk in der Abgewanderten-Seelsorge persönlich zu übernehmen.“112

      Plettenberg hatte vor allem durch Aufgabe seiner Seelsorgetätigkeit, die alle seine Vorgänger als Obleute beibehalten hatten, und durch eine gewisse „Überorganisation“ der Obmannstätigkeit zum quasi eigenständigen Amt den Groll des Kölner Generalvikariats provoziert. Das Chaos der letzten Kriegstage hat vermutlich ernstere Konsequenzen verhindert. Plettenbergs pastoraler Stil jedenfalls, sich unkonventionell und teilweise im Gegensatz zu Weisungen kirchlicher Oberer in der Notsituation zu verhalten, sollte sich im Folgenden kaum ändern und hatte auch da Erfolg.

      Die Kampfhandlungen zwischen der Wehrmacht und der 3. US-Armee um Thüringen wurden am 16. April 1945 eingestellt.113 Mit dem Stillstand der Bombardierung deutscher Städte und dem Kriegsende begann auch die Rückkehr der rheinischen Katholiken und ihrer Seelsorger. Angesichts der schwierigen pastoralen Lage und der Bitte an das Erzbistum Köln, vorerst die Priester in Mitteldeutschland zu belassen114, verfügte die Kölner Diözesanbehörde, dass keiner der Abgewanderten-Seelsorger seinen Posten ohne die Genehmigung des Generalvikariates Fulda verlassen solle.115

      Ein Einsatz der Kölner Priester in Thüringen war – trotz der Heimkehr der rheinischen Katholiken und dem Wunsch der Geistlichen, diesen nachzufolgen – dringend erforderlich, da die Heimatvertriebenen nur wenige Seelsorger mit in die SBZ brachten. Die Mehrzahl der Priester zog es vor, sich in den Westzonen niederzulassen. Plettenberg berichtete im Dezember 1945:

       „Tatsache ist, daß die meisten Westevakuierten die Bezirke verlassen haben. Andererseits sind viele Katholiken aus Schlesien und dem Sudetenland ohne Priester hier eingetroffen. Trotz meiner vielen Bemühungen sind kaum 20 Priester aus ostdeutschen Diözesen hier in Thüringen […] Ich darf wohl behaupten, daß alle Kölner Geistlichen zugleich heimkehren würden, wenn durch den Weggang nicht Tausende Gläubige ohne Hirten wären.“116

      Am 1. Januar 1946 bildeten die 17 noch in Thüringen tätigen Kölner Priester die größte Gruppe der 51 Abgewandertenseelsorger dieses Gebietes, für die Plettenberg zuständig war. Weiterhin lebten in Thüringen Geistliche aus den Diözesen Aachen (1 Priester), Trier (4), Leitmeritz (11), Olmütz (1), Prag (2), Breslau (9), Königgrätz (3), Linz (1), Ermland (1) und Paderborn (1).117 Die Bezahlung der Geistlichen erfolgte durch das Ordinariat Fulda gemeinsam mit dem Erzbischöflichen Generalvikariat Köln.118

      Der massenhafte Zuzug der Heimatvertriebenen bereitete der kirchlichen Behörde und der Pastoral ernstliche Schwierigkeiten, die sich durch die fortschreitende Teilung Deutschlands nach Kriegsende noch vermehrten. Die westliche Diözesanleitung und -verwaltung in Fulda war von ihrem östlichen Diözesananteil getrennt. Deshalb erteilte Bischof Dietz den vier Hauptgeistlichen der vier thüringischen Regionen bereits 1945 Sondervollmachten.119 Im Schreiben des Fuldaer Generalvikars Robert Günther120 an Dompropst Freusberg wird Plettenberg eigens erwähnt:

       „Uns ist es leider unmöglich, zu deren [der Ostflüchtlinge] Pastorisierung Geistliche zu entsenden. Deshalb bitten und beauftragen wir Sie, mit Hilfe des Herrn Plettenberg durch mitgekommene Ostgeistliche die notwendigste Seelsorge zu organisieren und zu diesem Zweck auch, wenn es nötig sein sollte, Diözesangeistliche in Anspruch zu nehmen.“121

      Joseph Plettenberg war bis zum Mai 1946 in Erfurt (SBZ) in der Abgewandertenseelsorge tätig. Er übersiedelte dann nach Paderborn (britische Besatzungszone), um dort als Generalsekretär des Bonifatiusvereins und als „Bischöflicher Kommissar für die Umsiedlerseelsorge im Bistum Fulda (russischer Anteil)“ die Seelsorge in Thüringen weiter zu unterstützen und um als weithin bekannter „Verbindungsmann“ zu agieren.122 Eine Einreisegenehmigung in die SBZ wurde ihm generöser als anderen Geistlichen gewährt.123 Sein Einsatz für Thüringen war beispiellos: So predigte er im Fuldaer Dom und in der dortigen Stadtpfarrkirche im Juni 1946 über die Flüchtlingsseelsorge und hielt in Fulda und Salmünster vor Fuldaer Diözesanpriestern – darunter auch Bischof Dietz und Generalvikar Günther – ein flammendes Referat über die Seelsorgsnot und den Priestermangel in Thüringen, was die Verantwortlichen dankbar annahmen und Hilfen für den Ostteil der Diözese anberaumten.124

      Freusberg resümierte über die Arbeit Plettenbergs anerkennend:

      


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