Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart. Günter Huth

Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart - Günter Huth


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bleiben Sie ganz gelassen, für Sie habe ich selbstverständlich drei Paar vegane Würstchen zubereitet. Meine Spezialmischung aus Kidney-Bohnen, Räuchertofu, Austernpilzen, Seitan, Tempeh, texturiertem Soja, Yuba und Lupineneiweiß. Fein abgeschmeckt mit Steinsalz, Thymian, Majoran und einigen anderen ökologisch angebauten Gewürzen, die alle unter Beachtung der Nachhaltigkeit von zarten indischen Kinderhänden geerntet wurden.“ Er griff sich eine zweite separate Terrine und stellte sie vor Bedenken-Träger ab. „Selbstverständlich wurden sie in einem separaten veganen Gefäß zubereitet.“

      Bedenken-Träger entspannte sich und bemühte sich dabei, die genussvollen Kaugeräusche seiner Kollegen zu ignorieren.

      „Das klingt ja so, als hätte man für die Herstellung dieser Würstchen, die ja eigentlich den Namen nicht verdienen, eine ganze Chemiefabrik geplündert.“ Melinda Burgfried schüttelte den Kopf. Für diese Art von ökologischen Strömungen hatte sie kein Verständnis.

      „Wo bleibt denn der Wein?“, wollte Steinklopfer lauthals wissen. „Blaue Zipfel ohne einen trockenen Silvaner sind nur der halbe Genuss.“

      „Geduld, Geduld!“ Der Wirt griff nach unten und holte aus der zweiten Etage des Servierwagens die benötigten Weingläser.

      „Also, an mir kann es nicht liegen. Ich habe mit einer ausreichenden Beschaffungsmaßnahme vorgesorgt“, beeilte sich Xaver Beutelschneider zu versichern, wobei die Verständlichkeit seiner Aussprache etwas unter dem voluminösen Inhalt seines Mundes litt. „Erst vorletzte Woche habe ich beim Bürgerspital eine umfangreiche Bestellung für den Stadtrat aufgegeben. Die einhundertfünfzig Bocksbeutel wurden drei Tage später ordnungsgemäß geliefert und, von mir überwacht, in der Turmkammer des Grafeneckarts eingelagert. Wir hatten zwar in der Zwischenzeit schon etwas Schwund durch mehrere Stadtratssitzungen, aber ich denke, es müssten da noch einige Fläschchen vorhanden sein.“

      Der Wirt schob seinen Servierwagen hinter den Tresen und befüllte die oberste Etage mit einer Anzahl Bocksbeutel. Wenig später bewies der Frankenwein wieder einmal seine verbindende Wirkung. Nachdem alle Gläser eingeschenkt waren, hoben die anwesenden Stadträte über die trennenden Fraktionsschranken hinweg die Gläser und prosteten sich zu.

      Nachdem auch die letzte Bratwurst sowie das gesamte Gemüse den bestimmungsgemäßen Weg gefunden hatte, blieben die Stadträte noch sitzen und besprachen dank des geistförderlichen Schoppens nun wieder einsatzfreudig den einzigen Punkt der Tagesordnung.

      Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig, als auch die letzten beiden Räte, eingehenkelt beim Oberbürgermeister, leicht schwankend das Casino verließen. Da man der Einigung hinsichtlich des strittigen Punktes der Tagesordnung trotz der aufopfernden Nachtsitzung keinen Schritt nähergekommen war, hatte man zu guter Letzt wieder einmal eine Vertagung beschlossen.

      Nachdenklich schloss der Wirt das Casino hinter ihnen ab. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hätte er mit den Damen und Herren keine Sekunde tauschen mögen. Er empfand großen Respekt vor diesen großartigen Persönlichkeiten, die teilweise schon seit Jahrzehnten in bewundernswerter Selbstlosigkeit ihre Körper jede Legislaturperiode zur Wahl trugen, bereit, ihre Gesundheit der Stadt und ihren Bürgern zu opfern. Als er die Terrinen vom Tisch abräumte, stellte er befriedigt fest, dass die Blauen Zipfel restlos verzehrt waren. Lediglich ein paar einzelne Karottenstückchen schwammen noch vereinsamt im erkalteten Sud. Es freute ihn sehr, immer wieder mit seiner Kochkunst dazu beitragen zu können, die Stadträtinnen und Stadträte so zu stärken, dass sie die Bürde ihres schweren, verantwortungsvollen Amtes leichter tragen und ertragen konnten.

      2

      SECHS WOCHEN SPÄTER

      IM LÄNDLICHEN EINZUGSGEBIET

      VON WÜRZBURG

      Die Fassade der doppelstöckigen, im neoklassizistischen Landhausstil erbauten Villa war dank des dichten Baumbestandes und der das große Grundstück umgebenden Mauer von der Straße aus kaum zu erkennen. Ein Stück vom Hauptgebäude entfernt stand die einstige Remise, die früher als Unterstand für die Pferdekutschen diente. Heute befanden sich in dem Gebäude die Garagen für drei PKWs und zwei Wohnungen für das Personal. In beiden Wohnungen brannte Licht, denn der Butler und der Chauffeur hatten für heute Abend von ihrem Arbeitgeber frei bekommen.

      Aus einigen Fenstern des oberen Stockwerks der Villa drang gedämpftes Licht.

      Die bequeme dunkelrote Lederottomane befand sich in der Ecke des geräumigen Herrenzimmers, vor ihm ein niedriger Glastisch, auf dem zwei halbgefüllte Champagnergläser zu erkennen waren. Auf der anderen Seite des Tisches standen zwei gleichfarbige schwere Ledersessel, auf deren matt glänzendem Bezug das Licht der gedimmten Deckenleuchte einen edlen Schimmer erzeugte. Fast alle Wände des Raumes waren mit Bücherregalen vollgestellt, auf denen sich zeitgenössische Literatur, Sachbücher und eine ganze Reihe wertvoller antiquarischer Folianten dicht aneinanderdrängten. In der Luft lag der dezente Geruch eines würzigen Pfeifentabaks. Aus den in den Bücherregalen eingebauten vier Lautsprechern erklangen im dezenten, trotzdem raumfüllenden Quadrosound die einschmeichelnden Klänge des Violinkonzerts in G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart.

      Das eilige Trippeln näherkommender nackter Füße erzeugten auf dem gepflegten Parkett tapsige Geräusche, die aber auf den letzten Metern vor der Ottomane von dem dichten Flor des wertvollen orientalischen Teppichs vollständig geschluckt wurden. Die junge, in einen japanischen Seidenkimono gekleidete Frau sprang mit einem lockeren Satz auf die Liegestatt und landete mit einem freudigen Quieken sehr weich auf dem rundlichen Bauch eines dort in römischer Manier halb liegenden, halb sitzenden älteren Herrn, dessen Kopf vollständig unter einer Latexmaske verborgen blieb. Der Mann stieß mit einem vernehmlichen Ächzen übertrieben heftig die Luft aus und nahm die Frau in die Arme.

      „Jasmin Cheyenne, bitte, du solltest mit mir wirklich etwas sanfter umgehen. Ich bin doch keine Luftmatratze!“

      „… aber mindestens genauso gemütlich und bequem, Papilein“, ergänzte Jasmin Cheyenne augenzwinkernd und pikste mit dem Zeigefinger spielerisch in seinen barocken Bauch.

      „Außerdem sollst du mich nicht immer Papilein nennen!“

      „Aber so haben wir uns doch im Netz kennengelernt und ich finde diese Anrede wirklich treffend. So lieb, wie du zu mir bist.“

      Die Empörung des Herrn war natürlich gespielt, enthielt aber durchaus einen ernsten Kern. Es war nicht immer ganz einfach, eine Freundin zu haben, die achtunddreißig Jahre jünger war als man selbst. Wobei er sich nicht der Illusion hingab, dass sie beide sich in einer Liebesbeziehung befanden. Jasmin Cheyenne wusste sehr wohl seinen Reichtum und seinen Einfluss zu schätzen und auch zu nutzen. Was er ihr gerne zugestand, solange aus seiner Sicht das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte. Die junge Frau stammte, wie er ermittelt hatte, aus dem verarmten Zweig der sächsischen Adelsfamilie von und zu Köddel und genoss gerne ein ausgeprägtes Maß an Wohlstand. Womit man ihrer beider Beziehung durchaus unter dem Begriff Win-win einordnen konnte. Kennengelernt hatte er sie, wie fast alle seine Freundinnen davor, über die in seinen Kreisen als Geheimtipp gehandelte Internetplattform „Girls to go“. Schon seit gut zehn Jahren jagte er in einem Account unter dem bezeichnenden Nickname „Papilein“ nach weiblicher Beute. Jasmin war ein ausgesprochener Glückstreffer gewesen. Sie fuhr auf gut situierte ältere Herren voll ab und vermittelte ihnen das Gefühl, der Einzige zu sein.

      „Aber du weißt doch, Schatzi, du bist für mich ein Freund, aber auch so etwas wie ein Papilein. Das ändert doch nichts daran, dass ich sehr gerne mit dir kuschle.“ Sich an ihn schmiegend drückte sie ihm einen dicken Kuss auf den Mund, dann richtete sie sich etwas auf und griff nach den beiden Champagnergläsern. Dabei klaffte ihr Kimono leicht auseinander und gewährte ihm einen freizügigen Einblick auf ihr beeindruckendes Angebot. Sie reichte ihm eines der Gläser, dabei griff sie gleichzeitig in die Tasche ihres Kimonos und holte einen kleinen Gegenstand heraus. Während beide einen kräftigen Schluck nahmen, hielt sie mit einem verschmitzten Lächeln zwischen Daumen und Zeigefinger eine blaue Tablette in die Höhe und fragte mit einem harmlosen Augenaufschlag: „Meinst du nicht, dass es wieder einmal an der Zeit


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