Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart. Günter Huth

Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart - Günter Huth


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bist mir heute aber wieder eine ganz Wilde!“

      „Ach, Papilein, mein Bärchen, du machst mich ganz einfach tierisch an.“ Mit einem gekonnten Augenaufschlag fuhr sie fort: „Was ich dich noch fragen wollte: Wie steht es eigentlich um meine Bewerbung für die Wahl zur Miss Grafeneckart? Du hast mir doch versprochen, dass ich die Wahl mit Sicherheit gewinnen werde.“ Dabei kraulten ihre langen roten Fingernägel die grauen Haarbüschel auf seiner Brust. „Du weißt, dass mich das enorm motivieren würde …“ Sie zwickte ihn spielerisch in die linke Brustwarze. Er grunzte angeregt, dann erklärte er: „Jasmin Cheyenne, mein Schatz, da mach dir mal keine Gedanken, wenn ich etwas in die Hand nehme, dann gelingt das auch.“ Wie um seine Aussage zu unterstreichen, glitt seine fleischige Hand tapsig über ihren Rücken nach unten und fand ihren knackigen Po, den er kernig zusammenkniff. Die junge Frau quiekte leise, sprang dann elastisch von der Liege auf den Teppich und bemühte sich dabei angestrengt, ihren gewichtigen Liebhaber mit sich auf die Beine zu ziehen.

      „Langsam, langsam, ein alter Mann ist doch kein D-Zug!“, stellte er mit sattem Lachen fest und ließ sich von ihr quer durch den Raum in Richtung Schlafzimmer ziehen. Dass er dabei etwas kurzatmig wurde, ignorierte er, schließlich wollte er keine Minute der Wirkung des blauen Glücksbringers versäumen. Sein Teil von Win-win begann jetzt.

      3

      Am nächsten Tag, kurz nach zehn Uhr, trafen sich im Café Michel am Oberen Markt zwei Herren. Der Erstankömmling hatte sich einen Platz im hinteren Bereich des Cafés in einer Nische ausgesucht, wodurch er den gesamten Raum im Auge behalten konnte. Er trug einen dunklen Nadelstreifenanzug, sein schwarzes Haar war eng an den Kopf gegelt. Neben ihm auf der Sitzbank lag ein silberfarbener Aktenkoffer.

      Kurz nachdem er sich niedergelassen hatte, betrat ein älterer grauhaariger Mann in grauem Anzug das Café. Kurz hinter dem Eingang blieb er stehen und ließ seinen Blick suchend durch den Raum schweifen. Er wirkte etwas nervös. Als er den Grund seines Besuches entdeckte, schlängelte er sich zielstrebig durch die besetzten Tische. Dabei musste er verschiedentlich nach beiden Seiten die Grüße mehrerer Gäste erwidern. Er war offensichtlich eine in der Stadt bekannte Persönlichkeit. Sein dabei wie ins Gesicht getackertes Lächeln verschwand in dem Maße, in dem er sich dem Mann in der Nische näherte. Ohne Begrüßung ließ er sich am Tisch nieder. Kaum saß er, zischte er seinem Gegenüber zu: „Verdammt, Sanson, wie kommen Sie dazu, sich mit mir an einem derart öffentlichen Ort zu verabreden, wo mich jeder kennt?“

      „Aber lieber Herr Stadtrat, bleiben Sie doch gelassen. Im Auge des Orkans ist man immer noch am sichersten. Eine alte Binsenweisheit, das muss ich Ihnen doch nicht erzählen.“

      Die Bedienung trat an den Tisch, zückte ihren Bestellcomputer und sah die beiden Herren fragend an.

      „Bringen Sie mir bitte einen Latte macchiato … und dem Herrn Stadtrat …“ Er sah sein Gegenüber fragend an. Da keine Reaktion kam, fuhr er fort: „… einen großen Cappuccino.“

      Die Bedienung gab die Bestellung ein, bedankte sich und ging. Das Gegenüber des Stadtrats beugte sich leicht nach vorne und kam mit gesenkter Stimme gleich zur Sache. „Mein Lieber, ich kann Ihre ungehaltene Reaktion nicht ganz nachvollziehen und schon gar nicht akzeptieren. Die Person, in deren Auftrag ich hier handele, hat Ihnen meines Wissens vor einiger Zeit einen erheblichen Gefallen getan, der die Ursache dafür ist, dass Sie sich heute in einer recht komfortablen beruflichen Lage befinden. Er hat Ihnen auch gesagt, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem auch von Ihnen ein kleiner Gefallen einzufordern sei. Dieser Tag ist heute. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie sich weigern werden, ihm diese Bitte zu erfüllen.“ Der Mann sah den Stadtrat mit durchdringendem Blick an.

      Ehe der Angesprochene antworten konnte, trat die Bedienung mit den bestellten Heißgetränken an den Tisch. Sie stellte sie ab und entfernte sich wieder. Während dieser Unterbrechung hatte der Stadtrat Gelegenheit, sich seine Reaktion zu überlegen. Ihm war völlig klar, dass trotz des relativ verbindlichen Tonfalls, hinter den Worten seines Gegenübers eine Mahnung, um nicht zu sagen eine latente Drohung steckte. Er wusste, weigern konnte er sich nicht. Dazu stand zu viel auf dem Spiel.

      „Was kann ich tun?“, fragte er daher mit leiser Stimme.

      Der Mann, den der Stadtrat mit Sanson angesprochen hatte, nahm einen kleinen Schluck von seinem Latte macchiato, dann erklärte er seinem Gegenüber ausführlich seinen Auftrag. Als er nach einigen Minuten endete, sah er sein Gegenüber prüfend an.

      „Ich hoffe, es ist Ihnen klar, dass mein Auftraggeber auf einer absolut zuverlässigen Ausführung besteht. Wenn alles erledigt ist, dann rufen Sie mich bitte an.“ Er griff nach einer Zeitung, die neben ihm auf der Sitzbank lag. Langsam legte er sie auf die Tischplatte und schob sie dem Stadtrat hinüber. „Für den Fall, dass Sie Auslagen haben.“ Er ergriff seinen Aktenkoffer und erhob sich. „Ich gehe davon aus, dass Sie diese Kleinigkeit übernehmen.“ Dabei wies er mit dem Finger auf die Getränke, dann nickte er knapp und eilte zum Ausgang. Die Hose seines Achthundert-Euro-Anzugs zeigte dabei eine extrem scharfe Bügelfalte, die dem Stadtrat den abstrusen Gedanken durch den Kopf fahren ließ, dass man damit Tomaten schneiden könne.

      Der Stadtrat wartete einen Augenblick, bis er sicher sein konnte, nicht beobachtet zu werden, dann holte er mit einer unauffälligen Handbewegung einen Umschlag aus der zusammengefalteten Zeitung und ließ ihn diskret in der Brusttasche seines Jacketts verschwinden. Nachdem er gezahlt hatte, verließ er ebenfalls das Café. Er befand sich in einer höchst angespannten Stimmung. Der Gefallen, den der Mann erwähnte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Mit großer Beklommenheit marschierte er Richtung Rathaus.

      Kopfschüttelnd räumte die Bedienung die beiden fast noch vollen Getränke vom Tisch. Es gab schon schlimme Verschwender unter den Menschen. Aber beim Trinkgeld wurde natürlich geknausert!

      Eine Viertelstunde später traf sich der Mann mit dem Aktenkoffer mit einer weiteren Persönlichkeit der Stadtregierung in der Mainmühle an der Alten Mainbrücke, eine Zeitspanne danach mit einem Bürgervertreter im Café der Buchhandlung Hugendubel. Auch in diesen Fällen erteilte der Mann mit dem Aktenkoffer klare Anweisungen und gab jeweils einen Briefumschlag identischen Inhalts weiter.

      Etwas später saß er wieder an seinem Schreibtisch in einem kleinen Büro in der Zellerau. Sofort griff er zum Telefon und meldete seinem Mandanten die erfolgreiche Erledigung seines Auftrags.

      AM SPÄTEN NACHMITTAG DESSELBEN TAGES

      Oberbürgermeister Merlin Schluckthardt raufte sich erneut sein üppiges Haupthaar, wodurch er seinen exakt gezogenen Seitenscheitel zerstörte, was ihm aber in der augenblicklichen Situation völlig gleichgültig war. Dabei drehte er bestimmt zum fünften Mal eine Runde um den großen Besprechungstisch in der Ecke seines Dienstzimmers. Sein Blick glitt dabei über genau einhundertfünf Farbfotografien in der Größe neun mal dreizehn, die, ordentlich nummeriert nach dem Eingangsdatum, in Reih und Glied auf der polierten Edelholzplatte aufgelegt waren. Präzise, wie der Chef der Würzburger Stadtregierung war, korrigierte er seinen Gedanken sofort: Reih war sicher richtig, von Glied konnte man aber nicht sprechen, da auf den Fotos ausnahmslos ein repräsentativer Querschnitt Würzburger Stadtschönheiten abgelichtet war. Alle in mehr oder weniger ansprechenden Posen, fast ausnahmslos alle in mehr enthüllender als verhüllender Badebekleidung, jede mit einem schmelzenden Lächeln auf den Lippen. Niemals hätte sich das Stadtoberhaupt träumen lassen, dass der vor einigen Wochen an die volljährige weibliche Bevölkerung gerichtete Aufruf des Würzburger Stadtrats, sich für die erstmals seit der Existenz der Stadt erfolgende Wahl einer Miss Grafeneckart zu bewerben, eine derartige Resonanz auslösen würde. Die Misswahl war die Idee der dreiköpfigen Fraktion der „Freudigen Wähler“ gewesen, die sich am Ende dank seiner Intervention im Rat durchgesetzt hatte. Selbstverständlich hatten auch alle anderen Fraktionen weitere Vorschläge unterbreitet, die von einer Weinolympiade über einen Bratwursttriathlon bis hin zu einer Schnitzeljagd durch alle Bauruinen der Stadt reichten. Reflexartig, wie es die Damen und Herren Stadträte gewohnt waren, hatten sie natürlich sofort die Anregungen der jeweils anderen Fraktionen als absolut untauglich abgelehnt. Einige forderten ein Gutachten, konnten sich aber nicht auf das Worüber einigen. Andere forderten den Einsatz eines Beraters. In mehreren


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