Toter Dekan - guter Dekan. Georg Langenhorst

Toter Dekan - guter Dekan - Georg Langenhorst


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und Kirche nicht viel Ahnung. Können Sie es so erklären, dass man das auch als Laie versteht? Und bitte nur das, was für unseren Fall wirklich wichtig ist.“

      „Okay“, seufzte Kösters, „ich werde es versuchen. Also: Man hat im Christentum immer schon versucht, das Besondere an Jesus Christus zu erklären. In der Kirche hat sich – grob gesagt – die Tradition durchgesetzt, dass man das ‚von oben‘, sozusagen aus göttlicher Perspektive versucht hat. Alle zentralen Glaubensaussagen in den Bekenntnissen, zum Beispiel:Jesus Christus ist ‚wahrer Mensch und wahrer‘ Gott, lassen sich so verstehen.“ „Hmm, ja und?“, knurrte Kellert, der sich für diese Spitzfindigkeiten offenbar wenig interessierte. „Nun ja, und Mühlsiepe versucht – wie einige andere auch – den Zugang ‚von unten‘, also aus menschlicher Sicht, von der biblischen Basis und unserem heutigen Verständnis her. Mir als Neutestamentler ist das natürlich sehr sympathisch.“

      Wieder unterbrach Kellert mit unverhohlener Ungeduld: „Ja, und wo ist nun das Problem?“ „Genau an diesem Punkt. Eher konservative Theologen unter den Bischöfen und unter unseren Kollegen denken, dass damit der Glaube verkürzt werde, die Tradition verfälscht, dass man damit die Substanz des Christentums verrät. Gerstmaier gehörte dazu, ja, er war ein Wortführer dieser Fraktion. Und, äh, verstehen Sie, er hatte einen besonders engen Draht zum Bischof.“ „Nein, das verstehe ich nicht. Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte der Kommissar sichtlich ungehalten nach.

      Kösters wand sich auf seinem Stuhl, räusperte sich, rang mit sich. „Nun, das hatte einige Konsequenzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn wir im Professorium – also dem internen Treffen aller Professoren – unsere inneren Angelegenheiten besprachen, konnten wir uns eigentlich immer darauf verlassen, dass das unter uns blieb. Nicht, dass es da große Geheimnisse zu hüten galt, aber es war einfach gut zu wissen, dass man da offen miteinander organisatorische wie inhaltliche Dinge bereden und klären konnte. Seit einiger Zeit war uns klar, dass der Bischof schon wenige Stunden nach unseren Sitzungen haarklein über alles informiert war, was wir intern besprochen hatten. Da wird man dann vorsichtiger und misstrauischer, wie Sie sich denken können.“

      „Schon klar, ja“, antwortete Kellert, „aber woher wussten Sie, dass Gerstmaier die undichte Stelle war?“ „Dass die beiden häufig zusammenhockten, ist nun wirklich kein Geheimnis, das weiß man in hiesigen kirchlichen Kreisen. Friedensberg ist eben doch ein Dorf mit einer Universität. Und spätestens die Sache mit Mühlsiepe war dann der Beweis.“

      „Jetzt sagen Sie doch schon, was da war!“ „Gerstmaier hat unseren Kollegen beim Bischof angeschwärzt. Damit, dass der eine nichtkatholische Theologie befürworte und folglich häretische Positionen, also kirchliche Irrlehre vertrete. Und das zielte darauf ab, dass man ihm seine Lehrtätigkeit und den Lehrstuhl entziehen sollte. Stellen Sie sich das vor, unter Kollegen!“

      „Und wie stand die Fakultät dazu?“, wollte Kellert wissen. „Wir standen und stehen geschlossen hinter unserem Kollegen, das ist doch klar!“, beteuerte Kösters mit fester Stimme, um dann jedoch nachdenklich nachzuschieben: „Zumindest nach außen … Ob alle Kollegen im Inneren so denken, das weiß ich natürlich nicht. Und ob sie im Konfliktfall bei ihren Willensbekundungen bleiben würden, weiß ich auch nicht. Bei einigen habe ich so meine Zweifel.“

      „Das heißt aber doch, dass dann die ganze berufliche Karriere Ihres Kollegen ruiniert wäre, oder?“, fragte Kellert nach, der hier natürlich sofort ein mögliches Tatmotiv witterte. „Ruiniert wäre Mühlsiepe nicht direkt, wenn es so weit käme“, gab der Prodekan zu bedenken. „Wir sind ja Beamte, entlassen kann man uns also nicht so einfach. Die Universität müsste im Extremfall einen Ersatzposten für ihn bereitstellen. So etwas gibt es an einigen anderen Universitäten schon: Ersatzstellen im Bereich Religionswissenschaft oder Ethik oder was immer sich im Einzelfall anbietet. Das macht natürlich keine Universität gern, aber dazu sind sie nun einmal verpflichtet. Für die wissenschaftliche Karriere von Mühlsiepe wäre es aber natürlich das Aus. Wer liest dann schon noch seine Bücher, wer publiziert Aufsätze, wer lädt zu Vorträgen ein?“

      „Aber kann einem das nicht sogar noch mehr Aufmerksamkeit bringen?“, überlegte Kellert. „Nur kurzfristig“, gab Kösters zurück. „Es gibt zwar einige Stars der Szene, Küng und Drewermann zum Beispiel, deren öffentliche Bekanntheit durch den Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis sicherlich eher noch gesteigert wurde, aber im Normalfall versinkt man nach kurzer Zeit in der Anonymität.“

      „Ganz schön heftig!“, meinte Kellert nach einigem Überlegen, massierte sich die rechte Schläfe, fügte dann aber hinzu: „Und wie steht es denn nun mit dieser, äh Denunziation, also mit diesem Verfahren?“

      Kösters kratzte sich am Hinterkopf und runzelte die Stirn: „Das weiß man nicht so genau. Wissen Sie, in der Kirche läuft so etwas eher hinter den Kulissen. Da gibt es keine klaren öffentlichen Prozesse mit Anklage, Verteidiger und Richter. Soweit wir informiert sind, verhält sich unser Bischof zögerlich. Der ist kein Scharfmacher oder Polarisierer, eher ein ausgewogener und nachdenklicher Mensch. Entweder teilt er die Einschätzung des Dekans nicht, oder er will den Fall nicht hochkochen lassen. Unsere Fakultät hat ja auch einen guten Ruf zu verlieren. Doch, doch, wir gehören in Deutschland zu den führenden Fakultäten! Katholische Theologie aus Friedensberg, die kennt man in den USA und in Lateinamerika. Und das setzt man nicht so leicht aufs Spiel. Gerstmaier war jedenfalls nicht begeistert. Beim letzten Konflikt im Professorium – vorletzte Woche war das – hat er gedroht: ‚Dann wende ich mich eben direkt an Rom!‘“

      „Und, kann er das denn?“ „Sicherlich kann er das! Er hat seine Kontakte, seine Netzwerke und Verbindungen. Mit welchen Aussichten – keine Ahnung … Aber welche Mittel einem Dekan ganz legal zur Verfügung stehen, dazu könnte ich Ihnen vieles sagen. So hat Gerstmaier dem Kollegen Mühlsiepe zum Beispiel letztes Jahr ein Forschungsfreisemester verweigert.“

      Kellert blickte auf, drehte an seinem Kugelschreiber herum und unterbrach: „Ein was?“ „Ein Forschungsfreisemester!“, erwiderte Kösters. „Das muss ich Ihnen natürlich erklären! Bitte entschuldigen Sie! Es gibt so viele Begriffe, die für uns hier in der Uni so selbstverständlich sind. Kritiker sagen ja, die Universitäten sind wie Elfenbeintürme, ganz eigene geschützte Welten. Mit einer eigenen Sprache und mit Regeln und Gesetzen, die nur hier gelten.“

      ‚Von wegen, eigene Gesetze. Mord bleibt Mord!‘, dachte Kellert, unterbrach den Prodekan aber nicht, der fortfuhr: „Also das ist so: Jeder Professor hat die Möglichkeit, sich alle vier bis fünf Jahre für ein Semester von der Lehrverpflichtung freistellen zu lassen. Er muss also weder Vorlesungen noch Seminare halten.“ „Nett, warum gibt es so etwas bei uns nicht“, entfuhr es Kellert.

      „Ja, das ist schon ein Privileg von uns Professoren, da haben Sie Recht“, räumte Kösters ein. „Andererseits sind wir an den Universitäten ja für zwei Bereiche zuständig: Lehre und Forschung. Und zu echter Forschung kommt man im laufenden Betrieb kaum. In dem Freisemester soll Raum für diese Forschung sein. Für Prüfungen und Verwaltungsaufgaben müssen wir aber auch da weiterhin zur Verfügung stehen, und allein das frisst enorm viel Zeit.“

      „Und wie war das nun mit Gerstmaier und Mühlsiepe?“, wollte der Kommissar wissen. „Nun, Mühlsiepe war eigentlich mal wieder an der Reihe. Wir wechseln in regelmäßiger Abfolge durch, so dass jeder genau weiß, wann er an derReihe ist. So gibt es keinen Streit und keine Bevorzugung.“ „Ist doch fair, oder?“, fragte Kellert dazwischen.

      „Genau!“, stimmte Kösters zu. „Deshalb haben wir diese Regelung ja auch so getroffen. Aber in diesem Fall hat Gerstmaier anders entschieden. Es ist so: Jeder von uns muss ein konkretes Forschungsprojekt benennen und skizzieren, das er in dieser Zeit bearbeiten will. Und der Dekan muss beurteilen, ob das valide ist oder nicht. Normalerweise ist dieser Vorgang nur ein formaler Akt. Man stimmt dem halt zu, egal, was man davon hält. Wir kennen uns ja auch nicht genau im Fachgebiet der anderen aus, können das also kaum kompetent bewerten. Und ob nun jemand die Freiheit zur Forschung nutzt oder das als ‚Semester frei von Forschung“ definiert, das steht letztlich im Belieben des Einzelnen.“

      „Aber?“ „Ja, dieses Mal hat Gerstmaier die Zustimmung verweigert“, meinte Kösters, lehnte


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