Toter Dekan - guter Dekan. Georg Langenhorst

Toter Dekan - guter Dekan - Georg Langenhorst


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vollem Mund. Mutter und Tochter hatten in den letzten Jahren einige heftige Auseinandersetzungen miteinander ausgetragen. Er war gespannt, wie sich ihr Verhältnis nach diesem Jahr weiterentwickeln würde.

      „Na ja, Tobias kommt ja am nächsten Wochenende auch mal wieder vorbei“, sagte er, nachdem er den Bissen heruntergeschluckt und einen Schluck Rotwein getrunken hatte. Die beiden blickten sich eine Zeit lang schweigend an. Nach einundzwanzig Ehejahren waren sie es durchaus gewohnt, dass man nicht unbedingt immer reden musste. Sie wussten, wann man dem anderen die Zeit für eigene, nicht mitgeteilte Gedanken lassen musste. Dann brach Beate das Schweigen.

      „Und wie geht’s deinem toten Professor? Also ich meine: Was macht dein Fall mit diesem Theologen?“ Bernd Kellert atmete tief durch und blies die Wangen auf. „Puhh, nicht so leicht. Eine richtige Spur haben wir noch nicht. Aber hoi, also bei denen arbeiten möchte ich nicht!“ „Wieso das denn?“ „Na, da herrscht eine Spannung, dagegen ist das bei der Polizei richtig angenehm. So etwas von … Verschrobenheit, von Neid und Eifersucht! Da gönnt keiner dem anderen auch nur den Dreck unter dem kleinen Fingernagel!“

      Dann besann er sich. „Das gilt bestimmt nicht für alle, okay. Manche duzen sich sogar, aber das ist die Ausnahme. Kannst du dir das vorstellen: Arbeiten dreißig Jahre zusammen und siezen sich! Das sagt doch alles!“ Beate seufzte zustimmend und fragte dann nach: „Ja, und der Fall?“

      „Schwierig, schwierig! Diese Uni ist ja ein offenes Haus, da kann jeder raus und rein. Es gibt eine Bibliothek, die hat wochentags bis dreiundzwanzig Uhr geöffnet. … Eh, Moment …“ Er winkte einen vorbeigehenden Kellner herbei: „Für mich noch einmal einen Rotwein, den Chianti. Für dich auch?“ Er blickte zu seiner Frau. Als diese kaum merklich nickte, verbesserte er sich: „Also zwei, noch zwei Chianti bitte!“

      Er lehnte sich wieder bequem zurück und fuhr fort: „Und der Dekan, also dieser Professor Gerstmaier, hat alle möglichen Feinde gehabt. War total unbeliebt. Aber ein Motiv, ihn umzubringen, sehe ich beim besten Willen nicht.“ „Unbeliebt, wieso?“ „Na ja, das war wohl so ein sturer Paragraphenheini. Kannte alle Vorschriften und jeden Gesetzestext und hat alle anderen damit genau kontrolliert und gegängelt. Und das mögen Professoren offenbar gar nicht. Der war noch gar nicht so lange hier in Friedensberg. Ist erst mit über fünfzig Professor geworden und wollte es deswegen denen zeigen, die das schon mit Ende dreißig oder Anfang vierzig geworden sind. So habe ich das jedenfalls verstanden. Ehrlich, ich habe mit nicht einem geredet, der wirklich positiv über den Dekan gesprochen hat.“

      „Furchtbar!“, gab Beate Kellert zurück. „Das wird für den ja auch nicht gerade angenehm gewesen sein, oder?“ „Ich weiß nicht“, gab ihr Mann zurück. „Es gibt eben Typen, die sich am wohlsten fühlen, wenn die anderen Angst vor ihnen haben. Denen wird bei Freundschaft und Nähe richtig unwohl. Da könnte ich dir bei uns auch einige nennen. Außerdem haben fast alle übereinstimmend bestätigt, dass die Atmosphäre an der Fakultät vor ein paar Jahren viel besser war. Richtig familiär. Gerstmaier wird von den meisten als Urheber dieser unguten Entwicklung genannt. Richtig traurig hat deshalb keiner auf mich gewirkt. Geschockt schon, fassungslos – ja, aber traurig – nein.“

      Der Kellner brachte zwei frisch gefüllte Rotweinpokale und räumte das fast komplett geleerte Geschirr fort. „Hat es geschmeckt?“, fragte er in routinierter Höflichkeit. „Ja, danke, war sehr gut“, antwortete Beate Kellert automatisch. „Ein Nachtisch oder vielleicht ein Espresso?“ „Später vielleicht“, brummte ihr Mann, der offensichtlich in Ruhe seinen Rotwein genießen wollte. Er führte das Glas zum Mund, blickte seiner Frau in die Augen, lächelte und sagte in gespielter Förmlichkeit „Zum Wohlsein“, doch statt zu trinken, setzte er das Glas abrupt ab.

      „Moment, das ist doch …“ Schon war er aufgesprungen und eilte zwei Personen entgegen, die soeben das Lokal betreten hatten, und sich – vergebens – nach einem leeren Tisch umschauten. Wenig später kam er mit den beiden auf den von ihm und seiner Frau besetzten Tisch zu, an dem noch zwei freie Plätze waren. Beate Kellert wunderte sich. Normalerweise hasste ihr Mann es, wenn er beim Essen gedrängt saß.

      Doch schon traten die drei an den Tisch. Der Unbekannte war ein fülliger, bulliger, auffällig großer Mann Ende fünfzig, gekleidet mit einer nicht mehr ganz neuen Jeans, einem offenen karierten Hemd und einem lässigen braunen Cordsakko; die Frau eine eher zierliche Dame undefinierbaren Alters mit einem zeitlosen lindgrünen Kostüm und streng gescheiteltem kurzem braunem Haar, wirkte an der Seite ihres Begleiters zerbrechlich und fühlte sich sichtlich unwohl. Ihre Finger spielten nervös mit einer kleinen ledernen Handtasche.

      „Darf ich vorstellen?“ Bernd Kellert ließ erst gar keine Peinlichkeit aufkommen. „Das ist meine Frau Beate, und dies sind Frau Mechtersheim und Herr, äh“ – „Brandtstätter, Elmar Maria Brandtstätter.“ „Freut mich“, sagte Beate Kellert, erhob sich, gab beiden die Hand und wies auf die beiden freien Plätze: „Setzen Sie sich doch zu uns.“ Mit fragend hochgezogener Augenbraue blickte sie zu ihrem Mann, weil ihr immer noch nicht klar war, warum er so völlig gegen seine Gewohnheiten ihm ja offensichtlich kaum bekannte Menschen an seinen, an ihren Tisch bat.

      „Frau Mechtersheim und Herr Brandtstätter sind Professoren an der Theologischen Fakultät“, klärte er sie auf. „Und ich dachte, wir könnten hier vielleicht einiges ganz ungezwungen bereden, oder?“, wandte er sich an die beiden. „Von mir aus gern“, meinte der massige Mann. „Hauptsache, ich bekomme bald etwas zu essen. Ich habe heute wirklich nicht eine Minute Zeit gehabt, etwas zu mir zu nehmen. Du auch, Klara?“ ‚Aha, also doch eine Duz-Beziehung!‘, dachte Beate Kellert.

      „Ja, ich nehme die Dorade auf Rucola und wie immer einen gemischten Salat“, entgegnete die Frau, die sich nach wie vor nicht sonderlich wohl zu fühlen schien. Brandtstätter bestellte für sie beide – für sich eine Pizza Hawaii, extragroß.

      ‚Nicht unbedingt das, was man abends bei einem Edelitaliener bestellt‘, dachte Beate Kellert, die das leichte Stirnrunzeln des Kellners sehr wohl bemerkt hatte. Ihr Blick streifte kurz die Augen von Frau Mechtersheim, die ihr Verständnis heischend zublinzelte, als wollte sie sagen: ‚So ist er nun einmal!‘

      Brandtstätter schien das alles wenig zu stören. Er hatte die Speisekarte beiseitegelegt und wandte sich nun wieder dem Kommissar zu: „Was wollen Sie denn noch wissen, Herr Kommissar? Wir haben doch schon alles Wichtige zu Protokoll gegeben, oder?“ Bevor Kellert antworten konnte, mischte sich seine Frau ins Gespräch. „Entschuldigung, darf ich mal was ganz Einfaches fragen? Also, ähm, wie sag ich das denn jetzt? Sind Sie beide wirklich Theologieprofessoren? Ich habe mir die irgendwie anders vorgestellt, also in Schwarz und mit Brille oder so. Und Sie als Frau?“

      Hier wandte sie sich an Klara Mechtersheim. „Ich wusste gar nicht, dass es weibliche Theologieprofessoren gibt. Geht das denn? Ich dachte, das sind alles Priester!“ Brandtstätter lachte, sein mächtiger Körper bebte und sein Bass dröhnte durchs Lokal. „Soso, das verbinden Sie also mit einem Theologieprofessor“, sagte er dann, als er sich wieder beruhigt hatte und sich auch die verwunderten Gäste von den Nachbartischen wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandten. „Ja, solche Typen haben wir auch im Kollegium, stimmt schon. Aber nicht nur. Und …“, nun fixierte er Beate Kellert, „… denken Sie, ich wäre ein Priester?“

      „Oh.“ So unerwartet direkt befragt, geriet Beate Kellert ins Stottern. Hilfesuchend blickte sie zu ihrem Mann, aber der schaute ausdruckslos an ihr vorbei. ‚Wenn du dich schon einmischst, dann musst du auch die Konsequenzen tragen‘, schien dies auszusagen. „Nein“, sagte sie dann, „sind Sie nicht. Oder doch?“, fragte sie nach.

      Wieder fuhr ein Lachreiz durch den mächtigen Körper, aber dieses Mal unterdrückte Brandtstätter ihn. „Falsch getippt, Gnädigste“, sagte er in bewusst übertrieben breiter österreichischer Höflichkeit. „Wissen Sie, ich bin Ordenspriester. Aber wir leben nicht im Kloster, sondern haben uns auf soziale Arbeit spezialisiert. Wir leben bei denen, die uns brauchen. Und glauben Sie, das geht: Bei den Arbeitslosen herumlaufen mit Anzug und Krawatte? In die Asylunterkünfte gehen in edlem und teurem Zwirn? Vierzehn Jahre habe ich bei denen gelebt, bei den Ärmsten der Armen, die man nicht sieht und nicht sehen will. Und als ich dann hier Professor für Pastoraltheologie wurde, habe


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