Lebendige Seelsorge 2/2018. Echter Verlag

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gegen sie immunisieren und mit falschen Vertröstungen Optimismus verbreiten. Denn auch für sie ist, wie für Oltmer, Migration weder „gut“ noch „schlecht“, sondern in ihrer praktischen wie theologischen Bedeutung aushandlungsbedürftig und kann, biblisch gesprochen, zum Fluch ebenso wie zum Segen gereichen: Leben zerstören oder Leben mehren.

      Derzeit dominiert in der europäischen Migrationspolitik das Kriterium der (ökonomischen) „Nützlichkeit“ von Migrant/innen. Das ähnelt durchaus der Perspektive des antiken Ägypten und Babylon. Die biblische Tradition kann aber daran erinnern, dass es Migrationsphänomene waren, denen viele der „Werte“ abgerungen wurden, auf die Europa heute so stolz ist. Als reiche Aufnahmeländer bedeutet dies, dass wir uns nicht so ohne weiteres mit den biblischen Zusagen identifizieren dürfen – diese sprechen zuerst den Migrant/innen Schutz, Trost und Hoffnung zu. Wohl aber kann man zu den Schlüssen kommen, die auch Oltmer andeutet: für eine zukunftsträchtige Migrationspolitik sind der Schutz von Flüchtlingen sowie der Dialog mit den Migrant/innen und das Miteinbeziehen von deren Interessen unabdingbar.

      Der Päpstliche Rat der Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs hat dies in seiner Instruktion Erga migrantes caritas Christi so formuliert: „Wir können also das gegenwärtige Migrationsphänomen als ein sehr bedeutsames „Zeichen der Zeit“ betrachten, als eine Herausforderung, die es beim Aufbau einer erneuerten Menschheit und in der Verkündigung des Evangeliums des Friedens zu entdecken und zu schätzen gilt“ (EM 14).

       Dramatisierung der europäischen Dimension der globalen Fluchtbewegungen und Verschweigen der Immobilität

      Die Replik von Jochen Oltmer auf Regina Polak

      Schutzsuchende Menschen sind auch ‚Botschafter/innen‘“, schreibt Regina Polak in ihrem Beitrag einleitend, künden diese doch „von den globalen Verwerfungen, die zur Flucht zwingen“. Solche ‚globalen Verwerfungen‘, die unter anderem in Kriegen, Bürgerkriegen und Staatszerfall ihren Ausdruck finden, sind ebenso wenig ein Spezifikum der Gegenwart wie Fluchtbewegungen, Vertreibungen und Deportationen als einige ihrer Folgen. Vielmehr kann, wie Regina Polak ebenfalls deutlich macht, die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte des Aufbruchs, des Fliehens, des Ankommens, der Suche nach Sicherheit und der Gewährung von Schutz verstanden werden. Und in Europa entfalte die Aufnahme von Schutzsuchenden aus aller Welt transformative Kraft: „Im Zusammenleben mit Schutzsuchenden verändern sich Gemeinden. Kirche kann zur Lerngemeinschaft werden.“

      Diesen wichtigen Gedanken möchte ich um eine Perspektive ergänzen: Die weit ausgreifenden Debatten in Europa um die Fluchtbewegungen der vergangenen Monate und wenigen Jahre haben sich vor allem mit den Folgen und Konsequenzen der Aufnahme in europäischen Gesellschaften auseinandergesetzt; sie haben also gewissermaßen ein globales Phänomen als eine lokale Herausforderung verstanden. Gelegentlich (vielleicht zu selten) ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass der weitaus überwiegende Teil der weltweit registrierten Flüchtlinge (also Menschen, die als verfolgt oder bedroht anerkannt worden sind und sich außerhalb ihres Heimatstaates befinden) bzw. Binnenvertriebenen (die zwar ebenfalls vor Gewalt geflohen sind, aber keine Grenzen überschritten haben) im globalen Süden Aufnahme findet, Europa und andere Regionen des relativ wohlhabenden globalen Nordens also nie erreicht.

      Der überwiegende Teil der Flüchtlinge findet im globalen Süden Aufnahme.

      Völlig übersehen worden aber ist ein anderer Aspekt: Angesichts der weltweit zahllosen Kriege, Bürgerkriege, zerfallenden Staaten und Maßnahmen autoritärer politischer Regime, die (Über-)Lebensmöglichkeiten, Rechte und Handlungsmacht von Individuen und Kollektiven massiv beschränken, muss eine Zahl von 65 Millionen Schutzsuchenden (2017) bei einer Weltbevölkerung von 7,5 Milliarden (2017) als bemerkenswert klein gelten. Woran mag es liegen, dass letztlich recht wenige Menschen als Flüchtlinge oder Binnenvertriebene registriert werden? Ein zentraler Hintergrund dafür ist die ausgesprochen hohe Bedeutung von Immobilität und Immobilisierung: Zahllose Menschen, die mit Gewalt konfrontiert oder von Gewalt bedroht sind, erweisen sich als nicht in der Lage, Sicherheit oder Schutz durch eine Flucht zu suchen und zu finden. Aufgrund fehlender bzw. im Kontext von Kriegen und Bürgerkriegen verminderter, weil zerstörter Ressourcen, verfügen sie nicht über die Möglichkeit, die für eine Bewegung im Raum nötigen Mittel aufzuwenden. Krieg und Bürgerkrieg tragen außerdem dazu bei, dass Dokumente fehlen, Transportwege zerstört sind oder Kommunikationsmöglichkeiten beschränkt bleiben. Viele vermögen nicht zu fliehen, sondern müssen bleiben, ausharren.

      Darüber hinaus können wir erkennen, dass jene, die die Konfliktzonen zu verlassen streben, häufig mit Politiken und Praktiken der Immobilisierung durch verschiedenste Akteure konfrontiert sind. Ziel von Maßnahmen der Immobilisierung ist die Einhegung von Migrationsdynamiken durch die Verlangsamung von Bewegung bis hin zum Stillstellen.

      Das heißt also: Ein zentrales Ergebnis kriegerischer Konflikte weltweit sind, anders als in Europa vornehmlich diskutiert wird, nicht die Mobilisierungen, die Migration, die Flucht, sondern die Unfähigkeit zur Bewegung, die Verlangsamung von Bewegung, deren Unterbindung. Für die betroffenen Menschen bedeutet dies das Erdulden von Gewalt und das (häufig vergebliche) Warten darauf, selbst aktiv werden zu können, um ihre Situation, auch durch Bewegung, verbessern zu können.

      Folgen der Kriege sind weniger Migration als Immobilität.

      Vielleicht wäre es an der Zeit, in Europa vermehrt über die Hintergründe, Bedingungen und Folgen von Immobilität und Immobilisierung im Kontext der Androhung und Ausübung von Gewalt zu sprechen als nur über Flucht und deren Effekte.

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