Wie lernt Kirche Partizipation. Группа авторов

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in hohem Maße „konstantinisch“ formatiert.20 Zwar hat in Deutschland der organisierte Laienkatholizismus als Verbands- und Politischer Katholizismus eine lange und durchaus eindrucksvolle Geschichte, so wurde nach der Würzburger Synode eine Rätestruktur auf allen kirchlichen Ebenen installiert, das pastorale Laienamt des Pastoralreferenten/der Pastoralreferentin eingeführt und überhaupt das nicht-klerikale professionelle Personal massiv ausgeweitet. Und doch: All dies führte vielleicht zu einer gewissen Änderung der Kommunikationskultur zwischen Laien und Priestern, nicht aber zu einem wirklichen neuen pastoralen Paradigma. Die kirchliche Rätestruktur etwa wird nicht zuletzt durch mangelnde Relevanzvermutung und Relevanzerfahrung seitens des Volkes Gottes21 ausgehöhlt, dies signalisieren zumindest die Partizipationszahlen an den entsprechenden Wahlen. Signifikante Orte öffentlicher kirchlicher Laienaktivität wie etwa die Laienpredigt22 wurden zudem wieder eliminiert, selbst die aktuellen kirchenrechtlichen Spielräume zur Gemeindeleitung durch Laien werden nicht oder nur zögerlich ausgenutzt.23 Selbstverständlich gibt es bei einzelnen dieser Punkte auch gegenläufige Entwicklungen in einzelnen deutschsprachigen Diözesen, sie differenzieren den Gesamtbefund, ändern ihn aber nicht grundlegend.

      III. ASYMMETRIEN

      Jene Sozialform der katholischen Kirche, wie sie sich nach dem Konzil von Trient (1545 bis 1563) in Reaktion auf den beginnenden Reichweitenverlust kirchlicher Pastoralmacht gebildet hatte, zerfließt in den Kontexten einer spätmodernen Gesellschaft. Man kann davon ausgehen, dass die Zukunft der katholischen Kirche in unseren Breiten nicht primär von der Verfügbarkeit diverser Ressourcen, auch nicht von ihrer konkreten Organisationsform vor Ort, sondern von der Transformation zentraler, für die katholische Kirche typischer asymmetrischer Kontraste abhängt.

      Vier solcher Kontraste sind innerkatholisch erkennbar: a) jener von Priestern und Laien, der katholisch herkömmlich in Über- und Unterordnungskategorien formatiert ist, b) jener von gelegentlichen Kirchennutzern (früher: „Fernstehende“, heute: „Kasualienfromme“) oder gar Ausgetretenen zu regelmäßigen Kirchgängern, der klassisch als Kontrast zwischen „wir“ und „jenen“, wenn nicht sogar zwischen „drinnen“ und „draußen“ gefasst wird, c) jener von Männern und Frauen, der in der katholischen Kirche nach wie mit der Konzeption „gleiche Würde“, „ungleiche Rechte“ definiert wird, d) jener von Hauptamtlichen und „Ehrenamtlichen“, der gewöhnlich auf der Achse Kompetenz – Unterstützung praxiswirksam wird. Die Hauptverantwortung für die Gestaltung dieser Kontraste liegt bei den jeweils Gestaltungsmächtigeren, also den jeweils Erstgenannten: den Priestern, den Hauptamtlichen, bei jenen, die sich im institutionellen „Innen“ der Kirche engagieren, und bei den Männern.

      Diese Asymmetrien rufen nach partizipativer Auflösung seitens der diese Relationen bisher innerkirchlich Dominierenden und Definierenden. Das ergibt sich aus der bereits geschilderten dekonstruktiven Lage der katholischen Kirche. Denn die bisher unterlegene Seite kann sich unter den gegebenen Umständen der Definitionshoheit der stärkeren Seite entziehen – und tut es auch. Partizipation bedeutet damit für die bisher dominierende Seite die (letzte) Chance, den Kontakt mit den bislang von ihnen Dominierten, also den Laien, den Ehrenamtlichen, dem „Außen“ und den Frauen, aufrecht zu erhalten. Partizipation wird eine Überlebensfrage für das System überhaupt.

      Systemisch und pastoral wird alles darauf ankommen, ob die genannten Differenzen kreativ werden im Sinne des pastoralen kirchlichen Auftrags oder nicht. Dabei wird es nicht so relevant sein, was sich die Beteiligten selber dabei denken, als vielmehr, welche Erfahrungen sie machen und welche Erfahrungen andere mit ihnen machen. Denn von der Wahrheit dieser Erfahrungen kann sich niemand mehr in der Kirche auf Dauer durch irgendwelche Schutzmechanismen abkoppeln. Sollten diese Kontraste weiterhin und gar zunehmend als destruktiv und dysfunktional wahrgenommen werden, sehe ich keine Zukunft für die katholische Kirche, weder institutionell noch pastoral. Die Entscheidung ist offen.

      IV. SEHNSÜCHTE

      Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat in seinem Buch „Selbst denken“ eine kleine Analyse der Psychologie absteigender Institutionen entwickelt. „Immer, wenn sich Gesellschaften im Abstieg von ihrer ehemaligen Bedeutung befinden, kommt das Bewusstsein nicht hinterher. Man kann nur schwer verkraften, nicht mehr so bestimmend und mächtig zu sein wie einst, und zieht es daher vor, sich wenigstens noch bestimmend und mächtig zu fühlen. […] Die Menschen verharren, trotz mit Händen zu greifender Veränderungsprozesse in Rolle, sozialer Lage und politischer Macht, in ihrer Persönlichkeitsstruktur, in ihrem sozialen Habitus auf einer früheren Stufe – nämlich auf dem Höhepunkt ihrer gefühlten historischen Bedeutsamkeit.“24 Man kann die Reformvorschläge für die katholische Kirche und die sich daraus ergebenden Partizipationsmuster danach einteilen, auf welchen konkreten „Höhepunkt der gefühlten Bedeutsamkeit“ sie sich beziehen.

      Bei den Traditionalisten, wie etwa den „Piusbrüdern“, ist es die Kirche des Tridentinums in ihrer Realisierung durch die Pianische Epoche von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, ist es die Priesterkirche der Spitzengewänder und der barocken Gesamtentfaltung kirchlicher Schönheit, Gottesgewissheit und innerkirchlicher Macht, ist es die im letzten ästhetische Vision einer kosmischen Bedeutsamkeit der katholischen Kirche über und jenseits aller konkreten Zeiten und Orte. Partizipation bedeutet hier Gehorsam, aber eben auch Partizipation an dieser Vision kosmischer Bedeutsamkeit und Schönheit.

      Beim alltäglichen Gemeindechristentum ist es die Pfarrfamilie, bei der die Kinder ebenso froh in die Kirche gehen wie die Eltern, ist es die mittelständische Volkskirche der Anständigen und Fleißigen, die sich um einen freundlichen Priester schart und die das Leben alltäglich wie in den Krisensituationen stützt und begleitet. Partizipation bedeutet hier teilzunehmen am gemeindlichen „Familienleben“ in dem von ihm vorgegebenen Rahmen und Milieu.

      Bei den Engagierten im Bewegungsspektrum ist es die Aufbruchskirche der Nachkonzilszeit, sind es die religiös motivierten sozialen Bewegungen für die Umwelt und die Armen, für Gerechtigkeit und Frieden, heute oft formatiert in der Nachfolge der lateinamerikanischen Basisgemeinden als „small christian communities“. Partizipation bedeutet hier Aktion, Engagement und auch politischgesellschaftliche Mitwirkung.Nichts davon ist per se illegitim. Nur: Die eigenen Sehnsüchte als Zukunftsmodelle von Kirche zu nehmen, funktioniert in dekonstruktiven Zeiten nicht mehr, zumindest nicht unbesehen. Zu leicht droht die projektive Falle, die eigenen guten Erfahrungen mit Kirche, das was man ihr verdankt und anderen wünscht, eben den „Höhepunkt der gefühlten Bedeutsamkeit“, als quasi natürliche Basis für eine mögliche Zukunft der Kirche zu nehmen. Das eigene Erleben, das eigene Fühlen, die eigenen Wünsche, so berechtigt und biographisch authentisch sie auch sein mögen, werden zur Basis für eine gewünschte Zukunft von Kirche.

      Das ist die zentrale Dekonstruktion, welche die aktuelle dekonstruktive kirchliche Lage dem Volk Gottes zumutet: Die eigene, als wertvoll und wichtig erfahrene Kirche ist für die meisten Menschen dieser Gesellschaft offenkundig keine mögliche Kirche und es ist aussichtslos, dies ändern zu wollen. Man wird dann immer nur jene erreichen, die ungefähr so sind oder werden wollen wie jene, die noch in kirchlichen Zusammenhängen anzutreffen sind, und deshalb diese, in sich zudem differenten, Sehnsüchte teilen. Es ist aber nicht erlaubt, die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat an jene Realisationen zu binden, die bereits existieren, in dekonstruktiven Situationen ist es sogar existenzgefährdend. Denn alle drei projektiven Sehnsüchte unterbieten die Pluralitäts-, Kontrast- und Entwicklungsproblematik von Kirche in der späten Moderne. Sie imaginieren – unterschiedlich zentrierte und unterschiedlich strukturierte – Einmütigkeitsträume und Einmütigkeitsräume, die es innerhalb der Kirche(n) praktisch nie gegeben hat und in postmodernen Zeiten erst recht nicht oder nur unter massiven Kosten geben kann.

      Was bedeutet dies für die Partizipationsproblematik? Nichts weniger denn die Dekonstruktion eines rein institutionellen Partizipationsbegriffs. Was notwendig wäre, wird so noch nicht garantiert: vertrauen, experimentieren, an vielen Stellen Evangelium und heutige Existenz miteinander ins Spiel bringen, an die Peripherien gehen, in Bewegung bleiben, mit Gott einen Tanz wagen (M. Delbrêl), nie mehr daran glauben, dass es wieder feste Formen geben werde. Notwendig wäre zu realisieren, dass tatsächlich gilt, was Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“ schreibt: „Die Zeit ist mehr wert als der Raum“25


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