Fremde Richter. Georg Kreis

Fremde Richter - Georg Kreis


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in internationalen Konflikten, zumal man da auf eine lange innenpolitische Tradition zurückblicken konnte.23 Schon vor 1914 war die Schweiz eine entschiedene Befürworterin dieser Art von Konfliktregelung. Schiedsgerichte gab es bereits im 14. Jahrhundert für Konflikte, die unabhängig von obrigkeitlichen Instanzen und ohne entsprechende territoriale Begrenzungen gemäss privater Vereinbarung der Streitschlichtung dienten.24 Marcel Senn konnte darum im Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) festhalten: «Das Schiedsgericht diente v. a. Kaufleuten und Händlern, die zwischen verschiedenen Hoheitsgebieten und Rechtsordnungen ein ökonomisch kalkulierbares Beziehungsnetz aufrechterhalten wollten.»25 Ob es Schiedsverfahren zwischen öffentlichen oder privaten Stellen waren, ihrem Wesen war eigen, dass neben den beiden Parteirichtern der dritte, gemeinsame Richter (der Obmann) stets ein «fremder Richter» war, ja sein musste.26 «Fremd» war er allerdings insofern wiederum nicht, als die Streitparteien sich auf ihn geeinigt und ihn sich so zu eigen gemacht hatten. Das konnte man auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg sagen, hingegen nicht vom Europäischen Gerichtshof (EuGH), weil dieser, wenigstens was das Rechtssystem betraf, in eigener Sache urteilte. Auf gesamteidgenössischer Ebene setzte sich die Schiedsgerichtsbarkeit im 15. Jahrhundert durch.27

      1947/48 berieten die eidgenössischen Räte den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Gerichtshof der UNO und hiessen ihn mit starkem Mehr gut, der Nationalrat mit 95:0, der Ständerat ebenfalls ohne Gegenstimme.28 Die «fremden Richter», die man sich mit diesem Entscheid einhandelte, wurden nicht thematisiert, obwohl damit zu rechnen war, dass sich auch die Schweiz einer derartigen Gerichtsbarkeit unterziehen müsste. Nationalrat Karl Renold (BGB/AG) führte als Berichterstatter rein sachlich und nicht im Sinne einer beruhigenden Versicherung aus, dass auch die Schweiz, obwohl kein Mitglied der UNO, dem Gericht angehören könnte, wenn Sicherheitsrat und Generalversammlung eine entsprechende Empfehlung abgäben. Die näheren Bedingungen seien aber noch nicht festgelegt und würden erst umschrieben, wenn weitere Nichtmitgliedstaaten der UNO Mitglied des Gerichtshofs würden.29 In dieser Debatte wurde mehrfach betont, wie vertraut die Schweiz mit Schiedsgerichtsverfahren sei. Antoine Favre (CVP/VS) zum Beispiel erklärte: «[…] l’idée d’une jurisdiction internationale répond à un idéal qui a toujours été le nôtre. La Suisse possède une expérience plusieurs fois séculaire dans le domaine de l’arbitrage.»30

      Um gegen «fremde Richter» im modernen Sinn zu sein, musste es Gerichte mit Zuständigkeit für die Schweiz geben. Das war aber, von den internationalen Schiedsgerichten abgesehen, erst seit 1974 der Fall.

      Frühe Abwehr «fremder Richter»

      Überraschen kann, wie spät die frühe Abwehr «fremder Richter» einsetzte. Wenig überrascht kann man dann jedoch feststellen, dass die «fremden Richter» im Juni 1969 und im Oktober 1974 in den parlamentarischen Beratungen zum Beitritt der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und damit auch zur Zuständigkeit des entsprechenden Gerichtshofs (EGMR) einen recht breiten Raum einnahmen.31

      Wenn wir davon ausgehen, dass diesem Topos einmal über eine bestimmte Debatte gleichsam ein kräftiges und fortbestehendes Leben eingehaucht wurde, dann war es diese Diskussion und nicht erst diejenige von 1992 um den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Für 1969 bleibt allerdings unbeantwortet, aus welchem Fundus, aus welchem Reservoir die Richterfigur bezogen werden konnte.

      Paradoxerweise waren es die Befürworter einer Mitwirkung im Rahmen der EMRK, die als Erste die «fremden Richter» auftreten liessen. Zunächst tauchten diese im Votum des Nationalrats Ettore Tenchio (CVP/GR) auf. Als Sprecher seiner Fraktion erinnerte er daran, dass Antoine Favre, Bundesrichter und ein früherer Ratskollege, die Schweiz im EuGH «vertrete», und bemerkte dann: «Ich weiss, dass uns nun jemand sagen wird: Wir wollen keine fremden Richter in unserem Lande. Aber anderseits können wir nicht mehr im totalen Immobilismus des 13. Jahrhunderts verbleiben.»32

      Nationalrat Walther Hofer (SVP/BE), Professor für Geschichte an der Universität Bern, kam dann ebenfalls auf die offenbar gängige Formel zu sprechen: «Das Wort von den fremden Richtern ist auch heute noch geeignet, zahlreiche Schweizer zu erregen, weil es tiefe Schichten des geschichtlichen Bewusstseins aufwühlt. Wir sollten uns daher erst dann einer europäischen Gerichtsbarkeit unterziehen, wenn wir das mit gutem Gewissen tun können.» Dabei dachte er vor allem an das noch immer nicht durchgesetzte Frauenstimmrecht. Immerhin sprach sich der Sprecher der SVP für ein «Unterziehen» aus, meinte damit aber kein «Unterwerfen».

      Walther Hofer zeigte sich allerdings gerne aufgeschlossen, er verwies auf die vielen bereits vereinbarten Schiedsgerichtsabkommen, die alle «mit entsprechender Einbusse an einst souveränen Rechten» verbunden seien; er beanstandete aber die «Unterwerfung unter supranationale Gerichtsbarkeit» und erklärte dann, wie zitiert, dass das Wort von den «fremden Richtern» auch heute noch geeignet sei, zahlreiche Schweizer zu erregen.33

      Ernst Bieri (FDP/ZH) kam auf Hofers Votum zurück, wonach mit den «fremden Richtern» die tiefsten Schichten des geschichtlichen Bewusstseins aufgewühlt würden, und hielt dem entgegen: «Wir sind aber schon längst dem Internationalen Gerichtshof beigetreten, haben sogar dessen obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit vorbehaltlos anerkannt, auch wenn es gegen schweizerisches Verfassungsrecht gehen soll. Heute stehen wir mit über fünfzig Staaten in einer schiedsgerichtlichen Bindung.»34

      Otto Fischer (FDP/BE), der später, 1986 im Nachgang des vom Stimmvolk verworfenen UNO-Beitritts, zusammen mit Christoph Blocher die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) gründen würde, verwies ebenfalls darauf, dass es «letztlich um nichts anderes» gehe als um «das Prinzip der eigenen oder fremden Richter».35 Beide, Hofer wie Fischer, störte aber nicht so sehr der Gedanke, dass sich «fremde Richter» einmischen würden, als die Möglichkeit, dass die eigenen Bürger an das externe Gericht gelangen könnten und, mit den Worten Hofers, «unsere rechtsstaatlichen Mängel internationalisieren» oder, mit den Worten Fischers, «in Strassburg gegen den eigenen Staat und gegen die Institutionen des eigenen Staats Prozesse führen» würden.36

      Franco Masoni (FDP/TI)versuchte der behaupteten Fremdheit des EGMR entgegenzutreten, indem er argumentierte, dass ein freiwillig anerkanntes Gericht, in dem man zudem selbst vertreten sei, kein von aussen aufgezwungenes Gericht sei. Dezidiert vertrat er die Meinung: «Ich glaube, dieser Ausdruck, der in der Geschichte seine Wurzel hat, wird hier missbraucht.»37

      In der Fortsetzungsdebatte griff Mathias Eggenberger (SP/SG) als Berichterstatter den eingeschleusten Terminus auf: «Der historische Begriff des ‹fremden Richters› ist, wie die Herren Masoni und Bieri klar auseinandergesetzt haben, hier völlig fehl am Platze. Wir anerkennen Richter, die uns von einer fremden Macht aufoktroyiert werden, nicht an.»38

      Für Romands war die alteidgenössische Geschichte, an der sie nicht beteiligt waren, erstaunlicherweise mindestens so wichtig wie für Deutschschweizer.39 Neben «juges étrangers» war der Begriff «sous tutelle étrangère» geläufig. In der stark föderalistisch eingestellten französischen Schweiz könnte damit auch Fremdbestimmung durch den eigenen Zentralstaat gemeint sein. Mehrheitlich war von «juges étrangers» die Rede.

      Der in der traditionellen Schweizer Geschichte stark verankerte Nationalrat und Historiker (und spätere Bundesrat) Georges-André Chevallaz (FDP/VD) kam nicht von sich aus auf den Topos, sondern in einer Entgegnung auf ein Votum des Parteikollegen Otto Fischer zu den «juges étrangers». Und einem Votum James Schwarzenbachs, das er als Ausdruck einer «méfiance fondamentale à l’égard d’institutions européennes et internationales construits sur un rationalisme malfaisant» verstand, entgegnete er mit der ironischen Bemerkung: «[…] l’on comprend que notre pureté helvétique, vêtue de spiritualité virginale et de lin blanc, ne pourrait que se détorierer au contract d’organismes manifestement inspirés par le Satan».40 Im Ständerat hingegen bezog sich Carlos Grosjean (FDP/NE) mit warmen Worten auf «1291» und sagte von dieser Bezugnahme, dass sie nicht auf einem «sentiment anachronique et suranné» beruhe.41

      Nationalrat James Schwarzenbach (Rep./ZH), Führerfigur


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