Jürgen Klopp. Elmar Neveling
einer Tankstelle angehalten. Dann sind alle mit Sonnenbrillen raus und haben Bier geholt. Wenn sie den Mannschaftsbus von Mainz 05 gesehen haben, haben damals noch alle gedacht: ›Wer sind denn die Ochsen, die da rauskommen?‹ Heute wäre das so nicht mehr möglich. Aber mit dieser Mannschaft, von der etwa alle so alt waren wie ich, war das durchaus nicht die falsche Maßnahme. Das ist mehr als zehn Jahre her, es war eine andere Zeit.«
Weiland erinnert sich lachend an die internationalen Spiele, als Mainz dank der Fairplay-Regelung im UEFA-Pokal spielt, etwa gegen MIKA Aschtarak in Armenien, gegen Keflavik ÍF auf Island und gegen den FC Sevilla. Als Klopp ein Keflavik-Video vorführt, bittet er um Ernsthaftigkeit, weil er selbst darüber lachen muss, wie die Isländer Ecken und Freistöße hoch vor das Tor treten, in der Hoffnung, der Wind schiebt den Ball Richtung Kasten, oder am besten gleich rein. Was er auch tut.
Ende
Im Jahr 2006 läuft Weilands Vertrag aus und wird nicht verlängert. Es gibt kein großes Gespräch. Weiland braucht das nicht, er ist nicht böse darüber. Es »tat weh, ein bisschen«, weil Weiland ahnt, dass er was verliert, was er nicht mehr bekommen wird: Das Gefühl, dass es passt, menschlich und spielerisch. Toni da Silva kommt zu Mainz, ein guter Spieler, bei Weiland reißt das Syndesmoseband, er kommt nicht mehr ran. Der Bruder geht auch, kurze Zeit später Babatz. Dennis Weiland landet bei Eintracht Braunschweig, der Unterschied ist riesig.
Klopps Mischung aus Kumpelhaftigkeit, Humor und sehr detaillierter, ernsthafter Feinarbeit ist einmalig. Üben, bis was sitzt, auf Winzigkeiten achten, und bei Weiland Shampoo schnorren: »Wo issn dein Shampoo?«, fragt Klopp. »Das weißt du doch«, sagt Weiland. Das ist Klopp in Mainz. Im Dortmunder Spiel erkennt Weiland bald das Mainzer Spiel wieder, weiterentwickelt. Immer Klopps Handschrift, und immer was dazu.
Heidel muss jetzt zur Nationalmannschaft, er hat einen Termin mit Joachim Löw und Oliver Bierhoff. Aber er will das Gespräch über Klopp nicht abwürgen, er will, dass was rüber kommt von dem, was Klopp in Mainz war und noch immer ist. »Gut?«, fragt er am Ende, »ja, Herr Heidel, gut«, sage ich.
Mit Weiland verquatsche ich mich so, dass ich fast den Bus verpasse, der mich zum Zug bringt, der dann nicht fährt. Wir landen bei Iniesta und Xavi, da kann man nicht so einfach aufhören, außerdem ist der Latte macchiato im Café Raab gut. Weiland überlegt, wie er die A-Lizenz, eventuell die Fußballlehrer-Lizenz, und das Studium unter einen Hut bekommt. Da ist etwas in ihm, das will Trainer werden, hoffentlich lässt er es raus.
Wie gut es damals war, ist Weiland heute klar. Erst wenn man nicht mehr drinsteckt, bis zum Hals, fängt der Kopf zu überlegen an. Wenn Weiland herausfindet, was gut war bei Klopp, wird das auch denen etwas bringen, die er mal trainiert. Und so geht das dann immer weiter.
Der Aufstieg des FSV Mainz 05 im Jahr 2004 war hart erkämpft. Ziemlich langer Weg bis dahin. Zweimal hintereinander waren die Mainzer gescheitert, dünn und hauchdünn. Zweimal rappelten sich die Stadt und ihr Klub wieder auf. Hätte die Stadt, hätten die Fans, nicht jeden neuen Anlauf mitgemacht, wäre es nicht gegangen. Die Mainzer »Stehaufmännchen«. Klopp gelang es, Motivation aus dem Scheitern zu ziehen, die Spieler glaubten daran, dass es irgendwann klappt. Und als die Chancen am schlechtesten waren, kam der Aufstieg. Drei Spielzeiten später stieg Mainz aus der Bundesliga ab und ohne Klopp wieder auf.
von Roger Repplinger
Knapp
Am 5. Mai 2002 spielt in Berlin, in der Alten Försterei, der FSV Mainz 05 gegen Union Berlin. Es ist das letzte Spiel der Saison. Mainz braucht einen Punkt, um in die Erste Liga aufzusteigen. Zwei Chancen, diesen Punkt zu holen, hatte Mainz unter Trainer Jürgen Klopp schon vergeben. In Duisburg und zu Hause gegen die SpVgg Greuther Fürth. »Fürth!«, sagt der Mainzer Trainer, »Fürth!!« Gegen die klappt nie was. In beiden Spielen hatte es Spielstände gegeben, da war Mainz durch, am Ende reichte es nicht. Auch nicht gegen Berlin. Ein Journalist des Berliner Kurier hatte mit erfundenen Zitaten die Stimmung gegen Klopp und Mainz angeheizt.
Mainz verliert mit 1:3 gegen Union, der VfL Bochum steigt nach einem Sieg gegen Alemannia Aachen auf. Klopp bricht vor dem Interview mit dem ZDF zusammen und heult. Bei der offiziellen Pressekonferenz sagt er: »Ich will nicht weiter lamentieren. Wir hätten es hier regeln können, wir haben es nicht getan. Wir haben unseren Anhängern den größten Wunsch nicht erfüllt. Aber wir werden es wieder versuchen.« Und später: »Ich habe in Berlin geheult wie noch nie in meinem Leben. Doch so, wie ich leiden kann, kann ich mich auch freuen. Von mir aus kann es morgen wieder losgehen. Wir werden die begonnene Entwicklung vorantreiben.«
Knapper
Wieder Mai, diesmal ist es der 25., ein Sonntag, im Jahr 2003. Das letzte Spiel der Saison, diesmal in Braunschweig. In der vergangenen Saison fehlte ein Punkt, diesmal ein Tor. Knapper geht es nicht. Mainz gewinnt gegen Eintracht Braunschweig mit 4:1. Als das Gegentor fällt, denkt sich keiner was dabei. Mainz lässt zahlreiche Chancen liegen. Eintracht Frankfurt erzielt in der Nachspielzeit das entscheidende 6:3 gegen Reutlingen. Mainz und Frankfurt haben 62 Punkte, die um ein Tor bessere Tordifferenz entscheidet für die Eintracht. Torschütze des entscheidenden Frankfurter Tores ist Alexander Schur, ein Freund Klopps, mit dem er bei Rot-Weiss Frankfurt unter Dragoslav Stepanovic gespielt hat.
Das Spiel in Braunschweig ist schon aus, Mannschaft und Trainer stehen auf dem Rasen, die Arme um die Schultern gelegt, als die Nachricht von Schurs Tor eintrifft. Andrey Voronin tröstet seinen Trainer, der tröstet ihn, Klopp rennt in die Kabine, Christof Babatz bekommt einen Weinkrampf. Klopp, 36 Jahre alt, bricht erst in Tränen aus, als ihn sein Sohn im Kabinengang fragt, ob er am nächsten Tag in die Schule gehen muss. »Da habe ich losgeheult«, sagt er.
In der Pressekonferenz erklärt Klopp: »Ich glaube nicht an den Fußballgott, nur an den richtigen. Ich glaube daran, dass alles im Leben für etwas gut ist. Irgendwann werde ich erfahren, für was das hier heute gut war.« Auf der Rückfahrt feiern die Spieler trotzig mit Bier, Polonaise und Liedgut: »Nie mehr Zweite Liga.« Am nächsten Tag, vor dem Staatstheater, Tausende beklatschen die Mannschaft, sagt Klopp: »Gestern hab ich mir ja noch überlegt, für was das alles gut ist, und mir ist eingefallen, für was: Irgendjemand hat entschieden, dass irgendwann mal gezeigt werden muss, dass man tatsächlich einmal, zweimal, dreimal, vielleicht sogar viermal hinfallen kann und immer wieder aufstehen kann, und er hat gedacht, es gibt keine bessere Stadt dafür.«
Es reicht
Erneut Mai, wieder der 25., diesmal das Jahr 2004. Die Mainzer, die bei einigen Journalisten als »unaufsteigbar« gelten, spielen eine durchwachsene Saison. Vor der letzten Partie ist die Ausgangssituation schlechter als in den Spielzeiten davor, in denen es nicht gereicht hat. Alemannia Aachen ist Dritter, hat 53 Punkte, aber die gegenüber Mainz schlechtere Tordifferenz, und muss beim Karlsruher SC, der gegen den Abstieg kämpft, antreten. Mainz ist Vierter mit 51 Punkten und hat es mit Eintracht Trier zu tun.
Ebenfalls 51 Punkte, aber das schlechtere Torverhältnis, hat Energie Cottbus, die ein paar Wochen vorher wie der sichere Aufsteiger ausgesehen hatten, und bei denen der Mainzer Stürmer Michael Thurk bereits einen Vertrag zur neuen Saison unterschrieben hat. Ein paar haben auch noch Rot-Weiß Oberhausen, 50 Punkte, auf der Rechnung. An diesem 25. Mai hat Christian Heidels Tochter Kommunion, da kann der zu diesem Zeitpunkt noch ehrenamtlich arbeitende Manager im katholischen Mainz nicht kneifen, und geht in die Kirche. Am Ende des Gottesdienstes stimmen Pfarrer und Organist der Albanskirche »Steht auf, wenn ihr Mainzer seid«, an. Alle stehen auf und singen mit. Der Pfarrer lächelt.
Heidel, der ein Autohaus führt, glaubt an den Aufstieg: »Mit Beistand von oben, was soll da noch schiefgehen?« Thurk macht das 1:0 (23.), Oberhausen und Cottbus gehen ebenfalls in Führung. In der 43. Minute