Jürgen Klopp. Elmar Neveling

Jürgen Klopp - Elmar Neveling


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Er redete nun offen vom Aufstieg in die Erste Liga und forderte von Präsident Harald Strutz, das Bruchwegstadion auszubauen, obwohl die Kapazität von 13.000 Zuschauern bis dahin so gut wie nie ausgeschöpft worden war. Sein Ehrgeiz machte auch vor der Persönlichkeitsentwicklung seiner Spieler nicht Halt. In den Teamsitzungen nahm das Mentaltraining immer breiteren Raum ein. Einige, die daraus ihren Nutzen ziehen konnten, hörten ihrem Trainer weiterhin aufmerksam zu. Andere, die darin für sich keinen Wert sahen, fühlten sich gegängelt. »Im Nachhinein muss man sagen: Dieses Gezwungene hat nicht funktioniert. Du kannst niemanden zum Mentaltraining bringen, wenn er nicht will. Damit bewirkst du eher das Gegenteil«, sagt Christian Hock.

      Die ausufernden Mentalsitzungen änderten nichts daran, dass die Mainzer Profis immer noch von der Wirksamkeit des intensiven Trainings überzeugt waren. Doch Wolfgang Frank machte es ihnen immer schwerer, nach der Belastung auch mal abzuschalten. Zu Jahresbeginn 1997 waren zehn Tage Trainingslager auf Zypern angesetzt, die der Trainer voller Begeisterung über die guten Trainingsbedingungen und angesichts vereister Plätze in Mainz auf dreieinhalb Wochen ausdehnte. »Er war verbissen und hat nicht die Balance gefunden, um uns zu sagen, dass wir zwischendurch mal ruhiger machen konnten. Man war praktisch drei Wochen unter Hochspannung. Das hat an uns gezehrt«, so Hock.

      Zweimal verloren die mental ausgebrannten Mainzer nach ihrer Rückkehr aus Zypern, als Wolfgang Frank aus heiterem Himmel seinen Rücktritt erklärte. Seine Spieler, allen voran Jürgen Klopp, versuchten, ihn umzustimmen. Der Trainer aber blieb seiner konsequenten Linie auch beim Abschied treu. Er war durch niemanden mehr zum Bleiben zu überreden.

      2013, im Alter von erst 62 Jahren, starb Wolfgang Frank in Mainz an den Folgen eines Gehirntumors. Nicht nur Klopp verlor damit einen seiner größten Förderer und inspirierenden Impulsgeber für seine eigene Trainerkarriere.

       Die Generation Frank

      So viel Fußball wie unter Wolfgang Frank war selten. Viele Spieler, die in Mainz bei den langen Teamsitzungen des Verfechters der Viererkette dabei waren, sind nach ihrer Profikarriere Trainer geworden. »Das ist ganz sicher kein Zufall«, sagt Christian Hock. »Wir haben uns so intensiv mit Taktik beschäftigt, dass der Schritt dahin, eine Mannschaft zu trainieren, nicht mehr weit war.« Neben ihm und Jürgen Klopp gehören Torsten Lieberknecht (Cheftrainer von zunächst Eintracht Braunschweig, später MSV Duisburg), Jürgen Kramny (in Verantwortung unter anderem beim VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld), Sven Demandt (Nachwuchstrainer bei Borussia Mönchengladbach, danach Chefcoach von Wehen Wiesbaden, Rot-Weiss Essen und SpVg Frechen), Peter Neustädter (trainierte die U23-Mannschaft von Mainz 05 in der Regionalliga, danach bei TuS Koblenz und der U17 von Wehen Wiesbaden) sowie Uwe Stöver (erst Nachwuchs- und Amateurtrainer beim FSV Mainz 05, dann beim 1. FC Kaiserslautern, später Sportdirektor bei verschiedenen Klubs) zur Generation der Mainzer Wolfgang-Frank-Schüler.

      Dass Franks Nachfolger Reinhard Saftig und Dietmar Constantini die Viererkette nach einer Schamfrist Viererkette sein ließen, kam bei den Profis gar nicht gut an. Der Kern der Mannschaft war sich sicher, dass es mit dem System von Wolfgang Frank besser gelaufen wäre. Auch Jürgen Klopp und Christian Hock. »Wir hatten und haben da ähnliche Vorstellungen«, sagt Letzterer.

      Davon war allerdings wenig zu sehen, wenn der rechte Verteidiger und linke Offensivspieler im Trainingsspiel aufeinander trafen. Die Zweikämpfe zwischen Christian Hock, 1,74 Meter, gegen den 17 Zentimeter größeren Jürgen Klopp, boten den wenigen Trainingskiebitzen in Mainz beste Unterhaltung. Der eine klein und wendig mit einem starken linken Fuß, der andere eher wegen seiner Kopfballstärke und Laufbereitschaft zum Profi geworden, als wegen seiner Technik. »Wir haben uns häufiger quer über den Platz angepöbelt«, erinnert sich Hock. »Der Kloppo konnte sehr impulsiv sein.«

      Im Sommer 2005 erklärte sich Jürgen Klopp dazu bereit, von den Redakteuren des Fußballmagazins RUND an einen Lügendetektor angeschlossen zu werden, um persönliche Fragen zu beantworten.6 Auf Nachfrage räumte er dabei auch seinen heftigsten Ausraster ein. »Ich habe, kurz bevor ich Trainer wurde, Sandro Schwarz, einem sehr guten Freund von mir, eine Kopfnuss verpasst. Der hat mich im Training zweimal umgehauen. Ich stehe auf, sehe nur sein Gesicht vor mir, und dann liegt er auf dem Boden. Ich wollte sterben, nur noch sterben, so furchtbar unangenehm war mir das.«

       »Lange Bälle und dann einen Kopfball, dass es kracht«

      Wolfgang Frank sah als Hauptgrund für die schon damals emotionalen Ausbrüche seines Rechtsverteidigers dessen Wut über die eigene Limitiertheit mit dem Spielgerät an. »Er ist auch manchmal auf dem Feld ausgerastet, weil er so viele gute Ideen im Kopf hatte, die er mit seinen fußballerischen Fähigkeiten nicht umsetzen konnte. Das hat ihn manchmal so geärgert, dass ich ihn zur Seite nehmen musste«, erinnerte sich Frank7. Im Rückblick wähnte sich der Spieler Jürgen Klopp im früheren britischen Fußball besser aufgehoben. »Da hätte ich vielleicht Karriere gemacht. Lange Bälle und dann einen Kopfball, dass es kracht«, vermutete er bereits 2002.8

      Von Rot-Weiss Frankfurt war er noch als Stürmer zum Bruchweg gekommen. Um den Sprung aus der dritten Liga in den Profibereich zu schaffen, half ihm seine Schnelligkeit. Im Steigerwaldstadion in Erfurt lief er im August 1991 immer richtig. Als erster Mainzer schoss er vier Tore in einem Zweitligaspiel. Wie so viele Angreifer rückte er weiter nach hinten, je länger die Karriere dauerte. Josip Kuze setzte Jürgen Klopp bereits im rechten Mittelfeld ein, unter Wolfgang Frank kam »Kloppo« dann endgültig auf der rechten Abwehrseite an. Zwischen 1990 und 2001 stehen 325 Spiele und 52 Tore in seiner Statistik. Mehr Zweitligaspiele hat beim FSV Mainz 05 keiner gemacht. Jürgen Klopp war in dieser Spielklasse, die es rustikaleren Spielertypen traditionell leichter macht, die Idealbesetzung.

      Gegen Ende der Karriere kam auch der schnelle Klopp nicht umhin, den ruppigen Routinier zu geben. Ein Profi, der gelegentlich austeilen konnte, aber auch schmerzhaft einstecken musste, wie eine Anekdote mit Bernd Hollerbach in der Hauptrolle belegt. Der Mittelfeldspieler, seinerzeit Profi beim FC St. Pauli, geriet mit Jürgen Klopp am Hamburger Millerntor aneinander. Der erinnerte sich 2002 lebhaft: »Wir fuhren einen astreinen Konter und Hollerbach hat mir an der Mittellinie einen Pferdekuss im Oberschenkel verpasst, dass ich fast gestorben wäre. Eine Ungerechtigkeit, die niemand gesehen hat, und alle haben mich als Simulanten ausgepfiffen.«9 Am Lügendetektor von RUND verkabelt, spinnt er die Anekdote nach Zweitligaart weiter. »Nur Holler und ich kannten die Wahrheit. Das hat dazu geführt, dass ich Hollerbach im nächsten Spiel auf dem Platz auch ein paar Dinge gezeigt habe.«

      Christian Hock gelingt es ebenso wenig wie seinem ehemaligen Mitspieler, diese Zeit mit dem mildernden Abstand von knapp zwanzig Jahren fußballerisch zu verklären. »Du hattest zwar viel Platz auf dem Feld, aber von hinten liefen dir die Manndecker hinterher, um dir in die Hacken zu hauen.«

      Aus dem Kuhfellstuhl schaut Hock immer mal wieder auf den Tisch zu seinem iPhone. Er darf einen Anruf nicht verpassen. Seine sechsjährigen Zwillinge wollen ihm erzählen, wie es heute in der neuen Schule und nachmittags im Reitstall gewesen ist. Die Familie lebt in der Nähe von Wiesbaden, doch jeden Tag die 460 Kilometer hin- und zurück nach Kassel zu fahren, will Hock nicht. »Wenn ich etwas mache, dann richtig.«

       Frank folgt auf Hock

      In Kassel wird zwar Profifußball gespielt, aber die Regionalliga hat Mühe, diesen Anspruch mit der Wirklichkeit zu vereinbaren. Die Klubs bekommen einen Bruchteil der Fernseheinnahmen eines Bundesligisten, dennoch trainieren die Fußballer zweimal am Tag. Nach dem Spiel bei Wormatia Worms ist einer von Hocks Spielern auf dem Platz zusammengebrochen. Zum Glück war der Mannschaftsarzt der Wormser in der Nähe und konnte helfen. Um Geld zu sparen, müssen sie bei Hessen Kassel ihren Arzt bei den Auswärtsspielen zu Hause lassen.

      Der Unterschied, ob man eine Mannschaft in der Champions League oder in der vierten Liga trainiert, ist groß. Das Meiste aber ändert sich nicht. Der Erfolg oder Misserfolg wird am Trainer festgemacht, der hilflos an der Seitenlinie steht, wenn darüber


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