Jürgen Klopp. Elmar Neveling

Jürgen Klopp - Elmar Neveling


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die Beziehungen zu den Gleichaltrigen in Glatten, dann spürte Haas »einen Bruch«. Nicht der letzte. Das hat nichts damit zu tun, wie man miteinander umgeht, und welche Gefühle man füreinander hegt.

      Haas hat seinen Sohn beobachtet, wie der auf Jürgen Klopp als TVoder Baumarkt-Werbefigur reagiert. Wir nehmen einen Schluck Weizenbier und überlegen, wie die Firmen heißen, für die Klopp wirbt. Wir kommen nicht drauf. »Er reagiert wie auf jede andere Werbefigur«, sagt Haas. Für seinen Sohn gibt es nur diesen Klopp. Den Unerreichbaren auf der Trainerbank und im Fernsehen. Für Vater Haas ist das anders. Da gibt es zwei. »Wenn er im Fernsehen Werbung macht, ist er eine Werbefigur, wenn er hier zur Feier kommt, dann ist er mein Schulkamerad und Mitspieler, und er fragt mich, wie es mir geht, und ich frage ihn«, sagt Haas.

       Die Meisterfeier

      Als Klopp zur großen BVB-Meisterfeier auf den Riedwiesen am 10. Juni 2011 in Glatten ist, braucht er eine Dreiviertelstunde, um eine Rote Wurst zu essen, und es tut ihm Leid, dass er nicht genügend Zeit für seinen Schulkameraden hat. Es ist alles schön, manchmal vielleicht ein bisschen peinlich, weil so gelobhudelt wird, aber das muss sein. Klopp sagt, »dass das hier Heimat ist und das ist cool«. Dann und wann spricht er Schwäbisch, das findet Astrid Wissinger »cool«, und dann wird der Applaus noch lauter. Zu vorgerückter Stunde muss er sich im Bierzelt der Besoffenen erwehren, die nicht nach Hause wollen, »und macht das sehr geschickt«, nickt Astrid Wissinger. Er sagt ganz deutlich, wenn es ihm zu viel und zu eng wird, und er Zeit für sich braucht. Und er verschwindet auch mal, wenn ihm danach ist.

      Glatten hat, nach den Eingemeindungen von Böffingen und Neuneck, 2300 Einwohner. Alemannische Reihengräber hat man hier gefunden. Im Jahr 1817 schickte die Gemeinde auf ihre Kosten 49 verarmte Glattemer in die USA; ein Kind stirbt auf der Reise nach New Orleans. Seit dem Jahr 1904 gibt es elektrische Straßenbeleuchtung. Heute haben die Straßen keine Schlaglöcher, und auf den Gehwegen vor den Häusern der ganzen Gegend stehen Fernseher, Staubsauger und Monitore, weil Elektromüll abgeholt wird. Glatten ist nicht mehr arm und leistet sich drei Fußballplätze. Die machen dem Platzwart Sorgen.

       Sportplatz Riedwiesen

      Der Platz in den Riedwiesen, auf dem die erste Mannschaft spielt, wurde 1983 eingeweiht, da spielte die Erste des SV zum letzten Mal in der Bezirksliga. In der Saison 2010/11 hatte es lange so ausgesehen, als würde der Aufstieg gelingen. Dann war es doch nur der dritte Platz. In der Saison 2011/12 der nächste Anlauf, mit den Spielertrainern Tomislav Gelo aus Kroatien, 35 Jahre alt, und dem Bosnier Senad Sencho Kacar, 39 Jahre alt. Die beiden haben einen Job und bekommen ein bisschen Geld für die Trainingsarbeit, der Rest der Mannschaft ist »vom Ort«, wie Trik sagt.

      Die Eingeweihten in der »Linde« diskutieren, ob das »Klopple« auf dem »neuen« Platz, der mittlerweile auch schon 30 Jahre alt ist, gespielt hat. Es kommt nicht zu einer Entscheidung, Tendenz: eher nicht. Fest steht: »Der Platz muss saniert werden – dringend«, weiß Gerhard Trik, der mit feinem Ohr dem Gras beim Wachsen zuhört.

       Wembley – von weitem

      Wir sitzen auf der Terrasse des Vereinsheims, in dem ein paar Pokale in der Vitrine stehen, die »s’Klopple« zu gewinnen half, und sehen sattes Grün. »Isch wie Wembley«, sagt Trik, und wir sehen mal davon ab, dass es Wembley nicht mehr gibt, »aber nur von weitem«. Im Winter ein Sumpf, im Sommer hart wie Beton. »Wir haben hier«, erklärt Trik, »einen Zeltsystem-Platz«.

      Wir machen ein paar Schritte übers Grün. Der Rasen ist butterweich, gestern war die B-Jugend drauf, ganze Rasenfetzen haben die Burschen herausgerissen. Nicht mutwillig, sondern bei völlig normalem Training. »Es kommt der Tag«, prophezeit Trik, »an dem wir nicht mehr spielen dürfen, weil die Verletzungsgefahr zu groß wird.« Die Gemeinde will nicht zahlen, der Verein hat kein Geld. Eine Sanierung würde 130.000 Euro kosten, davon zahlt der Württembergische Landessportbund 30 Prozent, die Gemeinde müsste einen Teil übernehmen, 30.000 Euro würden am Verein hängen bleiben. Auf das Vereinsheim wurde 2002 eine Solaranlage gesetzt, finanziert von 20 Gesellschaftern. Der Strom wird ins Netz eingespeist.

      Sieben Tage in der Woche wird in den Riedwiesen trainiert. Zu den Spielen kommen im Schnitt 100 bis 150 Zuschauer. Die Glattemer stehen auf dem steil zur Neunecker Straße ansteigenden Rasenstück, die Anhänger der Auswärtsmannschaft gegenüber. Vor drei Jahren, beim Landesliga-Relegationsspiel Spvgg Freudenstadt gegen die TSG Tübingen, waren über 3000 Zuschauer auf der Anlage. Freudenstadt führte 2:0, Tübingen gewann 3:2 und durfte in der Landesliga bleiben.

      Fortuna Köln und 1860 München waren zu Trainingsspielen hier; bei einem Freundschaftsspiel des FSV Mainz gegen den SV Linx kamen 800 Zuschauer – Kloppo war da noch Spieler. »Nur 800«, sagt Trik. Ob mal Borussia Dortmund nach Glatten kommt, wird der Trainer auf der Meisterfeier gefragt: »Das kann durchaus noch dauern«, antwortet Klopp, zu wenig spielstarke Gegner in der Gegend, da kann er ziemlich unsentimental sein.

       Der Waldplatz

      Wir fahren auf den Waldplatz, auf dem der junge Klopp gespielt hat. Sattes Grün, mit dem Stumpf einer Tanne auf der Auslinie. Auch als der Stumpf noch ein stattlicher Baum war, kein Hindernis. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein Fangnetz errichtet, damit die Bälle nicht in die Lauter fliegen, die keine fünf Meter hinterm Platz durchs Tal plätschert. »Ständig«, sagt Trik, sind Bälle in die Lauter geflogen, es gab eine Stange, um sie rauszuholen. Bei Niedrigwasser kein Problem, bei Normalwasser war der Ball »beim Teufel«. Und so, wie Trik das Wort »Teufel« ausspricht, sieht man Satan in der Fußball-Hölle, wie er mit den verdammten Seelen kickt – mit Bällen aus dem seit der Reformation protestantischen Glatten.

      Die Schranke, von Trik schick in gelb-schwarz – den Vereinsfarben des SV Glatten – gestrichen, soll verhindern, dass »Junge, Mittelalte und Alte nachts hierher kommen, und Unsinn machen«. Der Platz, lauschig und abgeschieden, schreit nach Unsinn. Die Tore hat Trik auch selbst gebaut, bis auf die beiden neuen. Er war auch schon im hölzernen Vereinsheim, das hier steht, tätig. Das wurde 1970 gebaut, ist 1986 abgebrannt, und wurde dann wieder neu aufgebaut. Jetzt ein Geräteschuppen.

      Alle Mannschaften, auch die drei der Frauen, die zwei Mal pro Woche trainieren, wechseln zwischen dem »neuen« Platz und dem »alten«. Vor allem im Sommer wird gerne im Wald trainiert, weil hier Schatten ist, den gibt es drüben nicht.

       Der Maulwurf

      Vor dem Tannenstumpf auf dem Waldplatz ist der schöne, ebene Rasen ein wenig hügelig und bröselig. Da sind kleine braune Erhebungen aus Erde – die schiebt der Höhlen grabende Maulwurf an die Oberfläche. Der Maulwurf schafft es, dem mit der Tugend der Gelassenheit reichlich versehenen Gerhard Trik die Fassung zu rauben. »Gegen die Maulwürfe kämpf ich mit allen Mitteln«, knurrt er, und zählt auf: Gift und Fallen. Dem einen oder anderen Maulwurf hat er den Garaus gemacht, aber diese Hügel, die sind ganz frisch. »Gestern«, sagt er, »waren die noch nicht da.«

      Muss er wieder mit Fallen arbeiten. »Das mache ich nicht gerne während des Trainingsbetriebs«, sagt der Platzwart. Er markiert die Stelle, an der er eine Falle aufstellt, mit einem Stecken, aber die Kinder ziehen den Stecken raus, und dann ist die Falle weg, weil er sie nicht wiederfindet. Verdammte Maulwürfe. Dabei weiß man als oberirdisch operierender Zweibeiner nicht mal sicher, mit wie vielen Gegnern man es aufnehmen muss. »Kann sei, des isch bloß oiner, aber der gräbt mir den ganzen Platz um«, schimpft Trik. Der durchaus Sympathie für die Talpidae hat: »Auf em Acker isch des in Ordnung, aber auf em Sportplatz hen die nix verloren.«

      Wir sitzen immer noch in der »Linde«, es ist dunkel, das Weizenbier macht durstig. Rafinha erzielt für die Bayern das 2:0 gegen Villareal, beifälliges Gemurmel der Zuschauer


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